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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

in den Straßen Hamburgs und Kiels, der wird wohl nicht mehr zweifeln, für welches Pflaster die Gemeindevertretungen sich zu entscheiden haben. Die Großstädte von heute gleichen nervösen Individuen, deren Nerven geschont werden müssen, wenn sie den wachsenden Anforderungen gegenüber leistungsfähig bleiben sollen.“

In ähnlichem Sinne hat sich auch die bekannte englische Zeitschrift „The Lancet“, eines der besten medizinischen Fachblätter, ausgesprochen. Dort heißt es: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß der in unsern Großstädten herrschende Lärm die Lebenskraft unseres Körpers untergräbt und das Leben abkürzt. Jede Reizung der Hörnerven reizt die Thätigkeit des Herzens, und eine übermäßige Wiederholung oder ungebührliche Stärke dieser Herzthätigkeit stellt steigende Ansprüche an die Lebensfähigkeit unseres Körpers. Unsere Fürsprache für ein geräuschloses Pflaster geht nicht etwa aus einem Verlangen nach einem wünschenswerten Luxus, sondern vielmehr aus der auf physiologischen Thatsachen gegründeten Ueberzeugung hervor, daß Ruhe für den Körper ebenso notwendig ist wie Schlaf oder Bewegung. Selbst aber, wenn man versuchte, sich gegen den Straßenlärm durch Schließen der Fenster zu schützen, so ist doch die Erschütterung der Häuser bei Granit- oder ähnlichem Pflaster nicht zu beseitigen; und auch diese macht den Aufenthalt in Häusern an verkehrsreichen Straßen geradezu unerträglich.“

Diesen Anforderungen der Gelehrten gegenüber ist es für Gemeinde-Verwaltungsbehörden etc. von großer Wichtigkeit, zu wissen, daß dort, wo gutes und billiges Steinmaterial nicht gerade in der Nähe zu haben ist, sich das Asphaltpflaster nicht unerheblich billiger stellt als Steinpflaster bester Beschaffenheit, welches allein mit jenem in Vergleich gezogen werden kann. Wenn man sich in den verkehrsreichen Großstädten so lange jenen nervenerschütternden, bis zur Unerträglichkeit gesteigerten, vom frühen Morgen bis zum späten Abend währenden Lärm, welchen der unaufhörliche Fuhrwerkverkehr auf Steinpflaster verursacht, hat gefallen lassen, so lag der Grund davon wesentlich darin, daß man es eben nicht anders kannte, daß man sich an diesen Lärm von Jugend auf gewöhnt hatte, ihn als ein unvermeidliches Uebel betrachtete. Nachdem indes der Beweis erbracht worden, daß dieser Lärm sich sehr wohl vermeiden läßt, wird zunächst wenigstens in den Großstädten die Forderung der Beseitigung des Steinpflasters nicht eher verstummen, als bis dem berechtigten Verlangen der Bevölkerung Rechnung getragen worden ist. Der Kostenpunkt kann in einer für das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung so ungemein wichtigen Frage nicht ausschlaggebend sein.

Geräuschloses Pflaster bildet eine unerläßliche Forderung an den für Ruhe- und Kurbedürftige bestimmten Aufenthaltsorten, wo die Bedeutung der Gesundheit und deren Erhaltung die Grundbedingung des öffentlichen Lebens und Verkehrs bilden muß. Ich war ungemein überrascht, auf meinen Reisen wahrzunehmen, daß in kleineren, ja selbst in großen, von In- und Ausländern vielbesuchten Kurorten jenen Anforderungen nicht entsprochen wird, gewiß nicht zum Vorteil derselben und aller Beteiligten.

Einen unerträglichen Lärm, ein Getöse, das „Stein erweichen, Menschen rasend machen kann“, bildet das Abmeißeln von Trägern und Eisenschienen bei Neubauten. Auch dieser Uebelstand ist nicht etwa unvermeidbar, sondern, wie ich erst neuerdings in Frankfurt a. M. bei der Veranlagung von Geleisen der Straßenbahn in Erfahrung gebracht habe, abstellbar, indem große Maschinen das Bohren und Abtrennen der Schienen geräuschlos besorgen. Auch aus Rücksicht auf die Gesundheit der mit dieser Handarbeit zu Beschäftigenden muß der Arzt auf Maschinenarbeit drängen. Alle diese Arbeiter werden mit der Zeit taub. Ich habe in Frankfurt bei derartigen Klagen der Anwohner bezügliche Anträge bei der Polizeibehörde gestellt, die in allen Fällen sofort Abhilfe geschafft hat.

Eine oft recht unangenehme Ruhestörung verursachen ferner verschiedenartige Maschinen unsrer Industrie. Vieles auf diesem umfangreichen Gebiete harrt allerdings noch der Vervollkommnung und es steht zu erwarten, daß die Möglichkeit gegeben wird, noch manche Erfindungen mit der Zeit so zu vervollkommnen, daß ihr Betrieb weniger geräuschvoll und lärmend sich vollzieht. Manches zur Abhilfe ist bereits geschehen. Ich erinnere hier nur an den durch Eintönigkeit und Heftigkeit ungemein belästigenden Lärm der Auspuffmaschinen, eine Belästigung, die in Erholungs- und Heilstätten, in der Nähe von Krankenhäusern durchaus nicht geduldet werden soll. Anwohner, deren Ruhe durch solche Maschinen gestört wird, mögen bei der zuständigen Behörde wegen Abstellung vorstellig werden, da Schalldämpfer erfunden sind, welche jenen durch den ausströmenden Dampf erzeugten Lärm geräuschlos machen.

Einschränken, wenn auch nicht völlig beseitigen läßt sich auch das Signalisieren mit der Dampfpfeife, mag dies im Eisenbahnverkehr oder in Fabriken geschehen. Ueber den durch Signalisieren mit der Dampfpfeife einer Fabrik die Anwohner störenden Lärm liegen bereits gerichtliche Erkenntnisse vor, nach welchen Abstellung verfügt worden ist, da der Sachverständige mit Recht begutachtet hat, daß dieser Lärm den Gesundheitszustand Nervöser in der Nachbarschaft zu stören geeignet sei. Als lästiger Straßenlärm ist auch das Musizieren bei offenem Fenster zu betrachten.

Es giebt musikalische und unmusikalische Menschen. Wenn selbst musikalische Leistungen in Bezug auf Raum und Zeit innerhalb gewisser Grenzen zu halten sind aus Rücksicht auf die Gesundheit, so gilt dies noch mehr für unmusikalische. Das Ableiern von Tonleitern, das gedankenlose, jämmerliche Getrommel, Geklimper auf dem Klavier kann eine Qual für die Anwohner werden. Nach uns vorliegenden Erkenntnissen der Gerichte[1] ist das Klavierspiel bei offenem Fenster auch während des Tages als grober Unfug anzusehen – selbst wenn es vollkommen ordnungsmäßig geschieht, ohne daß auf dem Instrumente Mißtöne irgend welcher Art hervorgebracht werden – falls dadurch die Nachbarschaft belästigt und in der Ausübung ihres Berufes gestört wird.

Die Ruhe von Städten und Dörfern wird oft bei Tag oder Nacht durch das schon von Schopenhauer in einer langen Epistel gerügte Peitschenknallen empfindlich gestört. Daß diese Gepflogenheit ganz unnütz ist, erweist das Verbot des Führens von Peitschenschmitzen (Treibschnuren, Fitzerle) gerade in Städten, in denen am meisten, raschesten und sichersten gefahren wird, in London, Paris, Wien. Dort geschieht das Ausweichen durch ortsübliche Zurufe und Anzeichen, und diese Gewohnheit hat sich vollkommen bewährt. Bereits sind andere große Städte diesem Beispiel gefolgt. In manchen Kurorten findet man Tafeln, an welchen geschrieben steht, daß das „unnötige“ Peitschenknallen im Orte verboten ist. Lichtenberg, der bekannte satirische Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, sagt in den „Nachrichten und Bemerkungen von und über sich selbst“: „Ich bin außerordentlich empfindlich gegen alles Getöse, allein es verliert ganz seinen widrigen Eindruck, sobald es mit einem vernünftigen Zweck verbunden ist.“ Ich kann diesen Aussprnch voll aus eigener Erfahrung bestätigen, indem das heftigste Lärmen, wenn der Zweck desselben unvermeidbar ist, mich nicht so stört wie das unvernünftige Peitschenknallen.

Es giebt noch viele andere Gepflogenheiten, die in den Straßen der Städte ungebührlichen Lärm verursachen und leicht entbehrt werden können. Die Beseitigung derselben dürfte um so leichter gelingen, als verschiedene deutsche Gerichte den Lärm als gesundheitsschädlich bezeichnet haben.

Manche unserer Leser werden derartige Forderungen für übertrieben halten. Es giebt abgehärtete Menschen, die in Bezug auf Lärm und Ruhestörung unempfindlich sind gegen jede derartige Beeinflussung. Solche harte gefestigte Naturen verstehen Personen mit Nerven nicht zu beurteilen. So wie wir unseren Körper abhärten, widerstandsfähig machen gegen äußere Einflüsse mannigfacher Art, ebenso gelingt es auch mitunter in seelischer Beziehung. Viele große Männer legen hiervon Zeugnis ab. Goethe, bei dem alles so wahr, tiefdurchdacht und selbstbeobachtet ist, sagt anläßlich seines Studentenlebens in Straßburg: „Ich befand mich in einem Gesundheitszustand, der mich bei allem, was ich unternehmen wollte und sollte, hinreichend förderte; nur war mir noch eine gewisse Reizbarkeit übrig geblieben, die mich nicht immer im Gleichgewicht ließ. Ein starker Schall war mir zuwider ... Allen diesen Mängeln suchte ich abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte, auf eine etwas heftige Weise. Abends beim Zapfenstreich ging ich neben der Menge Trommeln her, deren gewaltsame Wirbel und Schläge das Herz im Busen hätten zersprengen mögen.“

Man muß ein Mensch von Kraft und Frische wie der junge Goethe sein, um die Reizbarkeit der Nerven gegen störende Gehörserregungen in dieser Weise zu bekämpfen. Die Aerzte haben sich entschieden der Nervenschwachen anzunehmen, die nur zu oft und zu leicht als „eingebildet krank“ betrachtet und verlacht werden. Nur wenige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0810.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)
  1. Z. B. Entscheidung des Landgerichts München v. J. 1895.