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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Wiedersehen vorstellt – vier Wochen ist eine lange Zeit! Ach, sie kann dem Himmel doch danken, daß ihr eine so liebewarme Heimat wurde!

Sie öffnet nun eilig Schrank und Kommode und legt ihre Sachen für den Koffer zurecht, und je weiter sie damit kommt, je freier wird ihr ums Herz. Ihre Gedanken sind ganz dort, sind bei ihrem Gatten in dem eigenen, ihr so unendlich lieben Heim, und nun spinnen alle Verhältnisse, die sie dort gelassen, auch bereits ihre Fäden um sie. Ob die Frau Oberpräsident sie wohl sehr vermißt hat? Sie hat sie nach jenem unglücklichen Tage, an dem die Nachricht von Leos abermaligem Mißerfolg ihr zuging, an dem ihres Gatten Unwohlsein sie so tief erschreckte und aufrüttelte, nur einmal eine Viertelstunde in ihrem Salon gesprochen, als jene kam, um nach ihr zu sehen – gewissermaßen eine Kondolenzvisite zu machen. Darüber sind nun sechs – nein, fast sieben Wochen vergangen! Der Kummer ist nicht geringer geworden, wohl aber die Aufregung, die er erzeugte; man kann wieder ruhiger denken und dem anfänglich ihr so furchtbar peinlich scheinenden Begegnen mit den Bekannten nun mit Fassung entgegensehen! In vielen Familien passiert so etwas Niederdrückendes – viele Eltern sehen die Hoffnungen zerstört, die sie für ihre Kinder hegten, nicht jede Blüte reift zur Frucht aus! Aber daß sie ihren Mann in dieser Zeit hat allein lassen können, daß sie es nicht als Pflicht empfunden hat, ihm diese bitteren Täuschungen zu erleichtern – sie versteht das jetzt gar nicht! Wenn nur erst morgen wäre, wenn sie nur erst im Coupe säße – sie hat plötzlich eine brennende Sehnsucht nach ihm, ein ungestümes Verlangen nach seiner Nähe, seinem Trost, seinen besänftigenden Worten – auch danach, ihm zu zeigen, daß sie jetzt ruhiger über die über sie verhängte Prüfung denkt, daß sie mit mehr Würde ihr Schicksal trägt!

„Mama, was bedeutet das?“ Elfe ist in ihr Zimmer getreten und sieht bei dem Anblick des offenen Schrankes und der geleerten Schiebladen sie überrascht und erschrocken an.

„Was bedeutet das, Mama? Du packst? Zu welchem Zweck?“

„Nun, genau zu dem Zweck, zu dem man sonst zu packen pflegt: ich will morgen heimreisen.“

„Morgen – schon morgen?! Du hattest mir noch einige Wochen versprochen und Papa schrieb mir noch gestern, er überläßt diese Angelegenheit ganz Deiner Bestimmung!“

„Papa ist lange genug allein gewesen, Elfe.“

„Nein, Mama, das ist es nicht. Noch gestern hast Du nicht daran gedacht! Es ist etwas anderes, sage mir nur die Wahrheit!

Es gefällt Dir bei uns nicht! Aergert Walden Dich? Hat er es an etwas fehlen lassen –“

„Walden?“ unterbrach die Geheimrätin sie und eine dunkle Röte stieg in ihr Gesicht. „Walden – mich ärgern – wie wäre das möglich? Er könnte, meine ich, gar nicht liebenswürdiger, aufmerksamer und rücksichtsvoller sein! Aber Du hast recht,“ setzte sie plötzlich in veränderten: Tone hinzu, „Du hast recht, er ist die Ursache dieser beschlossenen Abreise. Ich schäme mich vor ihm, Elfe, und wenn er auch viel zu zart ist, ein Wort darüber zu sagen, ich fühle es, daß er von mir denken muß: wie hast Du Deine Tochter erzogen, daß sie in dieser Weise, wie heute beim Frühstück, zu ihrem Gatten spricht!“

„Aber, Mama!“

„Elfe, hast Du jemals bei uns zu Hause solche Scenen erlebt, wie Du sie täglich ausführst?“

„Aber, Mama, Du regst mich auf!“

„Hast Du jemals, Elfe, es gesehen, daß ich Deinem Vater in so achtungsloser Weise begegnet bin, wie Du es Dir Deinem guten Manne gegenüber erlaubst?“

„Nein, aber Papa ist doch auch ein anderer Mann!“

„Inwiefern? Es sind beides Ehrenmänner, es sind beides Männer von seltenen Vorzügen des Herzens und des Geistes, und Du hast, wie ich, das Glück, von diesen: Manne geliebt zu werden. Aber solch ein Betragen hätte sich Dein Vater nie und nimmer von mir gefallen lassen!“

„Mein Gott, was habe ich denn gesagt?“ rief die junge Frau ganz beleidigt, „ich hatte schlecht geschlafen, war verdrießlich, da werde ich doch wohl –“

„Die Schale der üblen Laune über den Gatten leeren können, nicht wahr, so meinst Du es? Schäme Dich, daß Du so etwas sagst! Je näher sich Menschen stehen, desto zarter müssen sie miteinander umgehen! Und jeder Frau müßte das, wenn nicht die Liebe, doch die Klugheit sagen, denn die Frau ist in einer unfriedlichen Ehe in erster Reihe die Verlierende. Dem Manne gehört die ganze Welt. Bietet ihn: sein Haus nicht, was er erhoffte, dann giebt’s außerhalb desselben tausend anderes, was ihm Ersatz für das versagte Eheglück sein kann. – Aber die Frau - - weißt Du, was eine Frau ist, die sich die Liebe ihres Mannes nicht zu erhalten versteht? Seine Haushälterin ist sie, weiter nichts! Erst sein Herz, erst seine Liebe giebt ihr im eigenen Hause die Stellung an seiner Seite. Und ob sie Sammet und Seide und Brillanten trägt, ob sie im Ballsaal die Königin ist, in ihrem Hause ist sie nichts als das, wozu die Achtung und die Zuneigung ihres Gatten sie macht! Hält er sie hoch, so steht sie hoch, läßt er es daran fehlen, so ist sie in der That erniedrigt. Was meinst Du, wie lange die Liebe Waldens derartigen Auftritten standhalten wird, und hast Du sie verspielt, dann wirst Du Dich zurücksehnen nach dem verscherzten Gut.“

„Du hast leicht reden, Mama, Du, die Du Deinen Mann so zärtlich liebst!“

„Auch hierbei sind wir in dem gleichen Fall. Oder hättest Du den Mut, einzugestehen, daß Du aus einem anderen Grunde sein Weib wurdest?“

„Ich glaube doch, daß ich diesen Mut habe, Mama. Ich will niemand einen Vorwurf machen, aber daß ich so oft äußere Ehre und Reichtum als die wichtigsten Ziele unseres Strebens schildern hörte, das hat mich verlockt. Ach, Mama, und wie wenig ist das alles wert!“

Der bisher so sichere Ton der Mutter stimmte sich merklich herab, als sie jetzt einwand:

„Du schätzest nicht, was Du besitzest. Rang und Reichtum sind ein großer Vorzug – strebe danach, ihn mit den Gütern zu vereinen, die Du vermissest! Denke daran, Elfe, welche glückliche Braut Du warst, wie Du gar nicht Deine Hochzeit erwarten konntest, und jetzt nach einem Jahre –“

„Ach, das ist natürlich, was weiß ein Mädchen denn von der Ehe,“ unterbrach Elfe sie. „Ich verlangte nach der Hochzeit, weil Walden mir tausend Freuden versprochen hatte, die nach derselben mir werden sollten. Ich dachte an Italien, an die zauberischen Feste in der Residenz, an die Erlangung alles dessen, was mein eitles Herz begehrte –“

„Nun, und hat er nicht Wort gehalten?“

„O gewiß, nur die Freude an allem war hin, als ich es empfing. Was nützt nur alles, wenn ich mir nicht mehr selbst gehöre! Wie verkauft kam ich mir immer vor!“

Ein Schauder lief über ihren Körper und sie schlug die Hände vor das erglühende Gesicht.

„Aber, Elfe, den: geliebten Manne anzugehören, sollte Dich glücklich machen!“

„Ja, dem geliebten,“ sagte die junge Frau mit starker Betonung, „in dem einen Worte liegt eine Welt der Unterscheidung.“

„Ich kenne Dich gar nicht wieder, Elfe. Dein Zustand macht Dich grüblerisch. Arbeite dem entgegen und traue meinem Worte: in ein paar Monaten denkst Du anders, verstehst diese Reflexionen gar nicht mehr! Eine ehrbare Frau liebt immer den Vater ihres Kindes. Die kleinen Hände werden euch vereinen. Das ist ein Band, fester als jedes andere in der Welt.“

Ueber Elfes Gesicht flossen plötzlich die Thränen.

„Ach, Mama,“ rief sie, „wie beneidenswert ist die Frau, die des geliebten Mannes Kind in ihren Armen hält, die ihn in diesem hilflosen Wesen zum zweitenmal liebt – und ich“ – sie weinte heftiger – „ich habe mich auch um dieses Glück gebracht! Ich fürchte mich vor dein Kinde, ich liebe es nicht, mir ist es kein Liebesband – nur ist es eine neue Kette, die mich fesselt!“

Ihr Weinen war in lautes Schluchzen übergegangen, ihr Busen hob und senkte sich stürmisch und ihr Körper zuckte krampfhaft von der Heftigkeit dieses Gefühlsausbruches.

Die Mutter trat zu ihr und hielt sie schweigend umfangen, ohne ihre Erregung hemmen zu können. Da öffnete sich hastig die Thür, Walden trat ein, stutzte bei den: Anblick, der ihm wurde, und indem er die Geheimrätin sanft beiseite schob, schloß er um Elfe seinen Arm, mit der anderen Hand ihren Kopf an seine Brust drückend.

„Was ist Dir, Liebling, bist Du unwohl? Was ist Dir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0794.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)