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mit Reue, daß sie aus seinen Worten eine Anklage gegen sich heraushören könnte, während er doch nur an den bezüglichen Wunsch und die dringende Bitte Leos gedacht hatte.

„Käthchen,“ sagte er sanfter, „bedenke, wie soll ich es denn einrichten? Was hat dieses Jahr in Berlin mich nicht gekostet! Es ist ganz unmöglich, wenn ich nicht in Schulden kommen soll, das so weitergehen zu lassen. Und dann, wir müssen doch zusehen, was für seine Zukunft geschehen kann! Dieses Faulenzerleben, das er seit die Prüfung vorüber dort führt, muß nun entschieden ein Ende finden!“

Sie kräuselte bei seinen letzten Worten spöttisch die Lippen, doch verhinderte die Sorge, ihn zu erregen, auch jetzt, daß sie ihm direkt widersprach.

„Du hast mir einen Besuch bei Elfe erlaubt, Erich,“ sagte sie nach kurzem Besinnen, „wenn Du damit einverstanden bist, möchte ich also übermorgen abreisen.“

„Aber, Frauchen, das könntest Du thun?“ – sagte der Geheimrat, der aufgestanden war, und blieb vor ihr stehen, sie verwundert betrachtend.

„Es ist durchaus kein Grund vorhanden, daß ich es nicht könnte,“ erwiderte sie. „Ehrenpforten werden wir für den Heimkehrenden doch wohl nicht errichten, und ich denke, ihm müßte es lieber sein, je weniger er hier zum Empfang vorfindet.“

Eine schwere Wolke lag auf der Stirn des Gatten, er wandte sich schweigend ab und nahm seinen Gang wieder auf.

„Mama, Du kannst unmöglich Papa den Aufregungen der ersten Begegnung mit Leo allein überlassen,“ flüsterte Lisbeth ihr zu, „Du siehst doch, wie es ihn bewegt!“

Ein stummer Kampf mit ihren Gefühlen, dann sagte sie: „Wenn es Dir übrigens lieber ist, Erich, kann ich die Abreise auch hinausschieben. Sagen wir, fünf bis sechs Tage nach Leos Rückkehr, dann aber – nicht wahr, wünschest Du es selbst, daß ich Waldens Bitte erfülle? Er ist so dringend damit und hoffte doch auch, Du kämest mit. Vielleicht ist dies zu ermöglichen? Eine Zerstreuung wäre doch auch Dir so nützlich!“

Der Geheimrat blieb vor ihr stehen und reichte ihr, erleichtert aufatmend, die Hand.

„Habe Dank, daß Du meine Bitte erfüllst, noch ehe ich sie ausgesprochen! Wenn Du uns noch eine Woche schenken willst, sind wir gewiß alle befriedigt, und ich dränge dann selbst zur Abreise. Und wenn ich Dich leider auch jetzt nicht begleiten kann, so will ich zusehen, daß ich mich später auf ein paar Tage frei mache, um Dich abzuholen. Morgen werde ich also an Walden schreiben und Dich anmelden.“

Wieder gingen ein paar Tage hin, dann schlug die Stunde, der alle Drei mit gleichem Bangen entgegengesehen hatten. Leo war angekommen und sofort in seines Vaters Privatbureau getreten, ohne Lisbeth, die ihm entgegeneilte, bemerkt zu haben. Als diese dann in der Absicht, den Bruder dort zu begrüßen, ihm folgte, hörte sie vor der Thüre schon ein so lebhaft geführtes Gespräch zwischen Vater und Bruder, daß sie von ihrem Vorhaben abstand und ihr Stübchen aufsuchte, in welches er dann auch nach einiger Zeit, noch im Reisemantel, eintrat.

Die Fassung, die sie so lange hatte bewahren müssen, verließ sie, als er sie in seine Arme schloß, und die Thränen flossen ihr plötzlich über die Wangen.

Er runzelte finster die Stirn. „Was, auch Du von Sentimentalität überströmend? Das wäre ja zum Verzweifeln! Das beste Mittel, mich zu verjagen! Ihr thut ja wahrhaftig, als käme der verlorene Sohn nach Hause. Na, so weit sind wir noch nicht, ich werde die Scharte schon auswetzen. Was ist’s denn mit Mama? Papa ist ja in einer Weise ängstlich, als ob man allen Ernstes für sie zu fürchten hätte! Und zu Waldens will sie – ob das gerade der Platz für ihre Erheiterung ist? Komm, setze Dich zu mir, Lisbeth, Du mußt mir viel erzählen! Ich habe wahrhaftig nicht oft an die Krähwinkelei hier gedacht, es wird mir Mühe machen, mit ihr von neuem zu rechnen!“

Nach einer halben Stunde trat er in das Wohnzimmer, in welchem die Frau Geheimrat am Fenster mit einer Handarbeit beschäftigt saß.

Die Aufregung, in der sie sich seit seiner Ankunft befunden, ließ sie noch bleicher erscheinen als sie es in dieser Zeit immer gewesen war, so daß Leo wirklich bei ihrem Anblick erschrak. Dasselbe Gefühl erfaßte sie, als sie in sein mageres, durchfurchtes Gesicht sah, welchem die letztverlebte Zeit ihren Stempel sehr merklich aufgedrückt hatte. Sie machte eine Bewegung, als ob sie sich erheben wollte – sonst war sie nach einer kurzen Trennung ihm stets mit geöffneten Armen entgegen geflogen – und als wollte er sich den Kontrast mit dein Jetzt nicht zu deutlich vorführen lassen, trat er rasch ganz dicht an sie heran, um sie am Aufstehen zu hindern.

„Erlaube, Mama, daß ich Dich begrüße,“ sagte er, ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. „Papa sagt mir, Du seiest leidend, schliefest schlecht und hättest viel mit Herzklopfen zu thun. Das thut mir sehr leid! Laß uns also Deinen körperlichen Zustand berücksichtigen und – uns alle Erörterungen sparen. Es hilft ja doch nichts! Von Walden habe ich Dir die herzlichsten Grüße zu sagen – ein prächtiger Mensch! Man lernt ihn jetzt erst kennen, ich wenigstens habe ihn früher durchaus falsch beurteilt. Elfe habe ich in letzter Zeit nicht gesprochen, sie geruhte nicht, mich zu empfangen. Walden sieht übrigens wahrhaft überglücklich Deinem Besuch entgegen; er hofft durch ihn auf einige ruhige und behagliche Wochen. Für ihn und seine Häuslichkeit giebt’s jetzt nur eine Frage: Diner, Souper oder Ball?“

„Wie unvernünftig“, sagte die Mutter, „jetzt gerade, wo Elfe Schonung so nötig hat!“

Leo zuckte die Achseln.

„Walden denkt darüber gerade wie Du, ist aber Elfe gegenüber zu schwach, um seinen Willen durchzusetzen. Sie wird in der Gesellschaft so furchtbar verwöhnt: alt und jung reißt sich mit gleichem Eifer um sie, beim Kriegsminister ist sie enfant gâté, man beabsichtigt sogar, Waldens alten Namen benutzend, sie bei Hofe vorzustellen –“ Die Frau Geheimrätin errötete vor Genugthuung und richtete sich straffer in ihrem Lehnstuhl auf. „Da giebt es für sie keine anderen Rücksichten.“

„Für ein so junges Wesen ist es unter diesen Umständen schwer, die Grenze zu finden,“ meinte sie dann nach einer Weile entschuldigend, „da muß ihr Gatte sie leiten und sie aus Rücksicht auf ihr körperliches Befinden zurückhalten. Mir scheint, Walden ist da wohl nicht auf der Höhe seiner Aufgabe.“

„Er klagt sehr über den Gesellschaftstrubel und mehr noch über die Unvernunft, mit der Elfe jede Rücksicht auf ihren Zustand vernachlässigt. Seine einzige Hoffnung bist Du, um durchzusetzen, daß nunmehr wenigstens die Wünsche des Arztes Beachtung finden.“

„Himmel, was für eine Schwäche!“ rief die Frau Geheimrat ganz entrüstet. „Aus dieser übergroßen Verliebtheit kommt doch in der That nichts heraus! Elfe ist so leicht zu lenken, wenn sie einen festen Willen über sich fühlt. Es scheint mir wirklich, als ob ich dort jetzt am nötigsten sei.“

Damit endete das erste Zusammensein zwischen Mutter und Sohn. Nicht eine Silbe sagte Frau Brückner über den Schmerz, den er ihr gemacht hatte, aber auch nicht ein Wort hatte die früher so liebevoll besorgte Mutter für seine Enttäuschung und sein Ergehen gehabt.

Er ging von ihr fort, innerlich tiefer gekränkt und verletzt, als er je geahnt, daß er es werden könnte, und dieses Gefühl wurde er nicht mehr los, mich wenn er sich nach ihrem Aussehen die Wunde vorstellte, die sein Mißerfolg ihr geschlagen hatte. Die ganzen Tage blieb er nun für sich allein, nur zu den Mahlzeiten kam er ins Familienzimmer und verließ dieses, sobald er, ohne unhöflich zu sein, es konnte. Lisbeth ging zuweilen mit ihrer Handarbeit zu ihm auf sein Zimmer und versuchte durch ihre Unterhaltung, ihn zu zerstreuen, aber sie fand ihn von Tag zu Tag verdrossener und unfreundlicher, so daß sie auch schon die Stunde der Abreise ihrer Mutter herbei sehnte, welche diesem unerquicklichen Zusammenleben ein Ende machte. Später, so hoffte sie, würde sich das schon wieder ausgleichen. Wie alle, so mußte doch auch die Mutter sehen, wie sehr Leo litt, und das Mitleid mit ihm, der in diesem Fall doch der Bedauernswerteste war, würde dann ihr Herz für den, der ihr von ihren Kindern immer das liebste gewesen, wieder erwärmen!

Am Abend vor der beabsichtigten Reise, als sie eben den Thee eingenommen hatten und Leo sich erhob, um sich zurückzuziehen, wandte sich die Geheimrätin plötzlich an ihn: „Bleibe noch ein wenig da, ich will mit Papa Deine Angelegenheit erwägen. Es scheint mir, als wäre es Zeit, die nötigen Schritte zu thun, die Dir den Weg für einen anderen Lebensberuf öffnen. Ich habe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0790.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2016)