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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Herzogs Karl August, die Schauspielerin Jagemann, die Ausführung trotzdem durchzusetzen wußte. Ihr konnte es ja nur willkommen sein, wenn Goethe die Direktion niederlegte und somit sie selbst einen Einfluß gewann, der undenkbar war, so lange sein machtvoller Geist das Ganze beherrschte.

Auch Deny war in jener „Hundekomödie“ mit einer Rolle bedacht, aber er hatte sie sich durchaus nicht selbst erbeten, wie Gotthardi in seinen „Weimarischen Theaterbildern“ irrtümlich angiebt, sondern er empörte sich mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Wesens gegen die Zumutung, gemeinschaftlich mit einem dressierten Hunde zu agieren. Er verweigerte unter den heftigsten Ausbrüchen künstlerischen Zornes und unter schonungslosen Schmähungen gegen die Urheberin jenes Skandals die Annahme der Rolle, in der Ueberzeugung, daß ihm Goethe den Rücken decken würde.

Hiervon konnte nun freilich nicht mehr die Rede sein. Eine so offene Auflehnung und Weigerung war aber damals etwas ganz Unerhörtes und Karl August, der, was den Gehorsam seiner Diener betraf, keinen Spaß verstand, ließ Deny nur die Wahl zwischen Annahme der Rolle oder 14 Tagen Arrest auf der Hauptwache. Solchen Arrest hatte früher einmal Unzelmann zu kosten bekommen, der gegen das Verbot des „Extemporiereus“ gesündigt hatte. Deny spielte nun; aber selbst noch während der Vorstellung stieß er laute und maßlose Verwünschungen gegen die Urheberin des Skandals und deren Genossen aus.

Von der Zeit an warf jene Frau, die nach Goethes Abgang von der Direktion unbeschränkte Beherrscherin des Theaters wurde, einen tödlichen Haß auf Deny. Sie drangsalierte und quälte ihn, wie und wie sie immer konnte, und führte sein trauriges Ende unter Beihilfe ihrer Kreatur, des Schauspielers Hunnius, herbei, welchen sie zum Regisseur machte, als Oels nach Goethes Abgange die Regie freiwillig niederlegte und Graf Edling als Intendant an Goethes Stelle trat. Oels konnte mir die Qualen nicht lebhaft genug schildern, die ihm jene „Hundekomödie“ durch die Verhandlungen mit Karl August, Goethe, der Jagemann und dem Grafen Edling verursacht hatte.

Im Jahre 1820 fiel Deny infolge eines heftigen Aergers in eine lebensgefährliche Krankheit, welche zur traurigen Folge hatte, daß ihm von da an sein Gesangsorgan nicht mehr unbedingt gehorchte. Gewisse Töne schlugen ihm bisweilen und unvermutet in der Fistel um. In der komischen Oper hatte das weniger zu bedeuten, störend war es dagegen in der opera seria.

„Das Publikum sind alle Leut’,
Drum ist es dumm und auch gescheut“ –

und so kam es denn, daß einige von den „Dummen“ lachten, wenn Deny jenes Malheur passierte, uneingedenk der bekannten, höchst reizbaren Empfindlichkeit des Künstlers, welchem man so viele große und unvergeßliche Genüsse verdankte. Denys Stolz wurde dadurch aufs schärfste gekränkt, zumal er sich einredete, jene Lacher seien von seiner Feindin, der Jagemann, gedungen. Aber in richtiger Erkenntnis seiner Lage bat er wiederholt und dringend, ihn fortan von den Partien in der ernsten Oper zu entbinden. Umsonst! – man ließ ihn abschlägig bescheiden. Ja, es schien in der Folge, als werde er jetzt erst recht mit derartigen Partien bedacht. Seine gewiß wohlbegründete Entrüstung steigerte sich allmählich bis zur Wut gegen Hunnius und dessen Gebieterin.

Da – am 12. Januar 1822 – wurde die Oper „Wittekind“ gegeben, eine Komposition von dem damaligen zweiten Flötenbläser Lobe, welcher später, als Kapellist pensioniert, zum Professor des Leipziger Konservatoriums aufrückte und mancherlei Mitteilungen aus der Kunstwelt veröffentlichte. Deny sang den Clodion, obersten Heerführer der Sachsen. Gleich in seiner ersten Scene schlug ihm ein Ton um, und wiederum ließ sich jenes halblaute Gelächter vernehmen, das für Denys empfindliches Ohr so entsetzlich war. Er brach, nachdem er von der Scene abgegangen, in Wutflüche gegen Hunnius aus, der es für gut befunden hatte, ihm aus dem Wege zu gehen, und war nur mit Mühe zum Wiederauftreten zu bereden. – Unglücklicherweise geschah es an diesem Abende ein zweites Mal, daß ihm die Stimme umschlug. Das verhängnisvolle Gelächter ward diesmal noch hörbarer und da mit einem Male – es war ein fürchterlicher Augenblick, den ich selbst mit durchlebt habe – ging blitzschnell eine Veränderung mit ihm vor, welcher die Zuschauer vor Entsetzen erstarren ließ. Seine Gesichtsmuskeln begannen auf eine schreckliche Weise zu zucken, der Ausdruck veränderte sich ins Grauenhafte, die Augen stierten Wild um sich her – der Unglückselige war plötzlich wahnsinnig geworden!

Noch in halbem Bewußtsein stürzte er sich auf einen Statisten, riß diesem eine Pike aus den Händen und raste von der Scene fort, um – Hunnius zu durchbohren.

Der Vorhang fiel. Eine lautlose Stille herrschte im Zuschauerraume. Keiner wagte auch nur zur Seite zu blicken, keine Verkündigung erfolgte von der Bühne herab, daß die Oper nicht zu Ende geführt werden könne. Schweigend und tief erschüttert erhob sich einer nach dem andern und verließ das Haus, das nach zehn Minuten vollständig geleert war. Draußen hörte man dann die Kunde von dem grauenvollen Auftritt hinter den Coulissen, der die Bestätigung der schlimmsten Befürchtungen gab.

Hunnius hatte sich schleunigst in Sicherheit gebracht; gleichzeitig stürzte man sich von allen Seiten auf Deny, um ihm die Waffe zu entwinden. Der Angriff brachte bei ihm die Tobsucht vollständig zum Ausbruch, er setzte sich wütend zur Wehr, bis es endlich gelang, ihn zu überwältigen.

Geknebelt an Händen und Füßen, wurde der beklagenswerte Mann aus dem Theater und tags darauf in die Irrenheilanstalt nach Jena gebracht. Dort raste er sich in kürzer Zeit zu Tode.

Der Schmerz um den Verlust des als Schauspieler allgemein beliebten Deny und die Teilnahme für seine Familie war in allen Kreisen eine große. Noch hoffte man auf Rettung. Aber schon damals wendete sich die Entrüstung der empörten Gemüter gegen die bekannten Urheber des traurigen Ereignisses.

Im Zuschauerraume des damaligen Weimarischen Theaters sah es anders aus als in dem heutigen. Während jetzt die Männer von höherer Bildung und Stellung sich vielfach vom Besuche des Theaters abgewandt haben, waren damals die derselben Gesellschaftsklasse angehörenden Männer fast sämtlich regelmäßige Besucher des Theaters. Das Parterre namentlich war es, welches in jener Zeit ein ganz anderes Gesicht zur Schau trug als jetzt. Dort saßen regelmäßig die Räte, Assessoren und Sekretäre der „Regierung“, wie vordem das Landesjustizkollegium hieß, der Landesdirektion, des Landschaftskollegiums und andere desselben Ranges und derselben Bildung. Der Abonnementspreis war so niedrig – ungefähr 5 Mark jetzigen Geldes im Parterre für 12 Vorstellungen –, daß selbst ich als Gymnasiast von meinem Taschengelde denselben erschwingen und meine grenzenlose Theaterlust befriedigen konnte. Jenes Parterre nun bildete das Tribunal, von welchem Stücke und Schauspieler abgeurteilt wurden, und das übrige Publikum erkannte es willig und unbedingt als obersten Gerichtshof an. – Man applaudierte den Schauspielern, sofern sie gefallen hatten, jedesmal bei ihrem Abgange, aber nur mäßig mit 4 bis 6 Schlägen, nach dem Beispiele Goethes, der dieses Maß nie überschritt. Das genügte dem Schauspieler jener Zeit. Mußte er aber ohne dieses Beifallszeichen von dannen gehen, so war das für ihn eine schwere Demütigung. Sogenannter „rasender und nicht enden wollender Applaus“ kam nie vor. Nie störte man den Gang und Zusammenhang einer Scene durch einfallendes Klatschen. Der Hervorruf, mit dem jetzt sogar bei offener Scene von dem Theaterpublikum ein solcher Unfug getrieben wird, daß dadurch jede Illusion zerstört wird und daß er längst für den vernünftigen Schauspieler jeglichen Wert verloren haben sollte, war nur für außerordentliche Gäste und nur am Ende des Stücks erlaubt, kam aber auch da selten vor. Ich erinnere mich, ihn damals nur bei Jffland, der 1813 das letzte Mal in Weimar gastierte, bei Eßlair und Ludwig Devrient erlebt zu haben. Des überdies streng verbotenen Pfeifens und Pochens als Ausdrucks der Mißbilligung bedurfte es folglich auch nicht. Ein Schauspieler, der in einer bedeutenden Rolle ohne jenes Zeichen des Beifalls abgehen mußte, fühlte sich tiefer gedemütigt als heute ein zehnmal ausgepfiffener. Es kam dies auch äußerst selten vor, Deny zum Beispiel hatte es nie erlebt.

Mit ängstlicher Spannung und tiefer Teilnahme vernahm jetzt ganz Weimar die von Jena herkommenden Nachrichten von seinem Zustande. Leider lauteten sie sehr betrübend, und als am 9. März die Meldung kam: Deny ist in Raserei gestorben, ging durch die Stadt ein Schrei der Entrüstung gegen die, welche man offen seine Mörder nannte, und ein tiefes Bedauern um seinen Verlust. Dieses allgemeine Gefühl vereinigte das Publikum zu eurem Racheplan, der jedoch in aller Stille vorbereitet wurde. Als der Vorstellungsabend kam – es wurde die „Reise zur Hochzeit“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0782.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)