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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

angeschwemmte Schutt fast bis zur Höhe der Kreuzstücke lag, fand er richtig das kleine Fenster schon offen.

Ein „Bußl“, das kaum enden wollte, leitete die zärtliche Zwiesprach’ ein, die mit Lispeln und Flüstern durch das eiserne Fenstergitter gehalten wurde. Und schließlich gab es für den Daxen-Schorschl noch eine ungeahnte Ueberraschung.

„So, Schorschl! Jetzt is’ aber g’nug! Jetzt geh’ schön heim, gelt, und schlaf Dich g’hörig aus!“ so hatte Vroni gemahnt. „Hast Dich ja auch müd g’rackert den ganzen Tag über! Und morgen mußt wieder an d’ Arbeit! Gut’ Nacht, mein Liebster Du!“

„Gut’ Nacht, mein Schatzl, mein lieb’s!“

„Tausendmal gut’ Nacht!“ Erst noch ein Kuß, und dann kam der Nachsatz: „Aber wart’ ein bißl, jetzt kriegst noch was!“

„Was denn?“

„Paß nur auf!“

Vroni verschwand vom Fenster, und als sie wieder kam, sah Schorschl im Mondschein etwas blinken wie Gold.

Seine C–Trompete!

„Die hab’ ich g’funden und hab’ Dir s’ aufg’hoben, daß nix passiert dran!“

„Jesses na!“

In der ersten Freude dieses Wiedersehens wollte Schorschl die Trompete gleich an die Lippen setzen. Doch erschrocken griff Vroni mit beiden Armen zum Gitter heraus und stotterte: „Aber Schorschl! Was fallt Dir denn ein!“

„Meiner Seel’! Jetzt hätt’ ich schier gar vergessen …“

Da ging nun das Geflüster von neuem an, bis Vroni, um ihres Liebsten Schlaf und Ruhe besorgt, einen Gewaltstreich übte und jählings das Fenster schloß.

Schorschl plauderte noch eine Weile seine Zärtlichkeiten an die im Mondlicht blinkende Scheibe hin; aber die wollte sich nicht wieder öffnen.

„No also, in Gott’snamen! Gut’ Nacht halt, Schatzer!! Vieltausendmal gut’ Nacht!“

Seufzend nahm er die Trompete unter den Arm und trat mit hurtigen Schritten den Heimweg an.

Als er in die Nähe des Dorfes kam, konnte er der Versuchung, die ihn auf dem ganzen Weg gequält hatte, nicht länger widerstehen – er mußte seine Trompete hören, mußte das selige Glücksgefühl, das in ihm sprudelte und kochte, mit hellen Tönen hinausschmettern in die Nacht.

Lachend setzte er die Trompete an den Mund, und um der jubelnden Freude, die sein Herz erfüllte, so recht den passendsten Ausdruck zu geben, blies er mit schmachtenden Klängen, aber mit aller Kraft seiner gesunden Lunge in den stillen Mondschein:

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Das ich so trau–au–rig bin …“

Klingend warfen die Wälder und Berge das Echo zurück, als stünde am Fuß jeder Felswand und in jedem Waldwinkel ein Trompeter, der „so traurig“ war!

*  *  *

Tage und Wochen vergingen, der Frühling wandelte sich in Sommer, auch auf den höchsten Zinnen war längst das letzte Flecklein Schnee geschwunden, das Almrausch blühte in leuchtendem Rot, und gleich einem gestickten Fürstenmantel schmiegte sich in wechselnden Tönen das satte Grün der Halden und Wälder um die Flanken aller Berge.

Da war es an einem Tag in der zweiten Juliwoche. In der vergangenen Nacht hatte sich ein schweres Ungewitter über den Bergen entladen. Die Bäche waren noch gelb vom Regen und rauschten mit verdoppelter Macht; doch der Himmel leuchtete in reinem Blau – nur ein paar kleine kugelige Wölklein noch, die letzten Nachzügler der verschwundenen Wetterwolken, schwammen sacht und in silberweißem Glanze über die Berge hin. Alle Farben an Wald und Wiesen hatten gesteigerte Leuchtkraft, und die Luft war so rein und frisch, daß sich auch in den heißeren Mittagsstunden noch jeder Atemzug wie eine Erquickung genoß.

Alle Gehänge des zur Ruhe gekommenen Berges waren belebt; bald hörte man lachende Stimmen, bald einen Jodelruf oder die muntere Weise eines Liedes. Auf den tiefer liegenden Halden, welche durch die Erdbewegung und Überschwemmung weniger gelitten hatten, war schon die Heuernte im Gang, und mehr in der Höhe, auf den zerrissenen Wiesen, arbeiteten die Leute mit Pickel und Spaten, füllten die tiefen Bodenschrunden aus und bestreuten den geebneten Grund mit Grassamen. Von einzelnen Gehöften, die seit dem Herbste verlassen gestanden, hörte man Hammerschläge und das Geräusch der Säge; da waren die Maurer und Zimmerleute bei der Arbeit, um die übel zugerichteten Gebäude wieder in wohnlichen Stand zu bringen.

Aus dem Gärtlein der Simmerau hallten die schweren Schläge einer Axt, und zu diesem eintönigen Pochen gesellte sich mit drolliger Disharmonie die Weise des Liedes, das die beiden Kinder mit lustig kreischenden Stimmchen sangen:

„Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!
Zwitschert Wald aus und ein,
Wo mag mein Schatzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!“

Die Kinder saßen, von lindem Sonnenglanz umzittert, mitten im hohen Gras einer Wiese und banden einen Blumenstrauß für den „Daxen-Vetter“ und die „Daxen-Mahm’“ – für Schorschl und Vroni, die vor drei Tagen fröhliche Hochzeit gehalten hatten.

Schorschl hätte sich freilich die junge Frau am liebsten schon im Mai in seine Schmiede geholt; aber der Simmerauer hatte sein Mädel bei der Arbeit gebraucht und wollte nichts von der Hochzeit wissen, ehe nicht sein Häuschen wieder so schmuck und freundlich dastand wie im vergangenen Sommer, ehe der Berg sein „närrisches Laufen“ begonnen hatte.

Nun blinkten aber auch die frisch getünchten Mauern wieder so weiß wie Schnee; Hausthür und Fensterläden waren mit grüner Oelfarbe neu angestrichen, die Scheiben spiegelten, und auf allen Gesimsen blüthen die roten Nelken. Auf dem Dache waren die neuen Ziegel so verteilt, daß sie zwischen den älteren, schon gebräunten Platten die Anfangsbuchstaben von Michels Namen zeigten, die Jahreszahl und die verschlungenen Initialen I. H. S. „Jesus, Heiland, Seligmacher.“

Der Brunnen war wieder in Ordnung, der Hofraum mit feinem Kies überstreut, der Zaun ohne Lücken. Auch die Scheune war gründlich repariert und Michel kränkte sich nur darüber, daß sein „schöner Stadel“ durch das Gemisch der alten und neuen Bretter einen so „schecketen“ Anblick bot!

Im Garten freilich sah es noch übel aus. Der brauchte Jahre, um sich ganz zu erholen. Wohl hatte man allen Schutt entfernt, den die Erdbrüche und das Wasser bis an die Mauern geworfen; auch die Beete waren neu hergerichtet und schon mit Gemüse und Blumen angepflanzt. Aber an die zwanzig Obstbäume waren zerstört, und die jungen Wildlinge, auf welche Michel schon im Mai die Edelreiser gepfropft hatte, wollten in dem steinigen Boden nur langsam vorwärts kommen und hatten noch kaum die ersten Blättchen getrieben. Jene Bäume, die nur zu kränkeln schienen, hatte der Alte all die Wochen her gepflegt wie leidende Kinder, hatte gute Erde um ihre Wurzeln gelegt und die Stämme, von denen die Rinde abgeschunden war, mit wachsgetränkten Lumpen umwickelt. Ein Paar dieser Patienten hatte er auch glücklich durchgebracht – aber die anderen waren abgestorben, als die Sommerhitze begonnen hatte. Und nun mußten sie umgeschlagen werden, damit doch das Holz sich noch verwerten ließe!

Seit dem Morgen waren Michel und Mathes mit den Aexten bei der Arbeit – und so oft von den dürren Bäumen einer mit Krachen niederstürzte, rollten dem Alten ein paar Zähren über die runzligen Wangen. Und von jedem fallenden Baum beteuerte er: „Der hat die besten Aepfel ’tragen! Solchene giebt’s fein nimmer in der ganzen Gegend!“ Bei diesem Kummer war es ihm aber doch ein Trost, wenn er von einem der jungen Stämmchen zum andern ging und die kleinen blaßgrünen Blättchen musterte, welche die zarten Pfropfreiser getrieben hatten.

„Ich sag’ Dir, Mathes, die strecken sich mit jedem Stündl! Weißt, jetzt spüren s’ halt die warme Sonn’! Und allweil mein’ ich, daß ich von denen noch ein’ guten Apfel erleb’!“

„Ja, Vater! Der soll Dir noch schmecken!“ sagte Mathes, während er die Axt aus den Händen legte und nach der Säge griff, um einen gefällten Stamm in Stücke zu schneiden.

Sein Aussehen hatte sich gebessert seit dem Frühjahr. Wohl

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0751.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)