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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

streng dazwischen gefahren war, wenn sein junges Töchterchen einmal einen Blick in den Spiegel geworfen hatte.

Geschäftig flog sie nun durch die Wohnung, trug zusammen, was ihr für die lange Fahrt gut dünkte, und behielt bei aller Hast doch immer die Uhr im Auge, damit man es ja nicht verpasse, zur rechten Zeit nach dem Wagen zu schicken. Sicher war es doch erst, daß sie nach Berlin kam, wenn man im Coupé saß.

Aber auch dieser Augenblick kam. Strahlend vor Freude lag sie in dem Fenster des Waggons und winkte der Mutter und den Brüdern den Abschiedsgruß zu, während mit schrillem Pfiff, stöhnend und prustend, das Dampfroß sich in Bewegung setzte. Und immer länger zog sich die Rauchfahne, immer kürzer wurden die lauten Atemzüge der Lokomotive, und nun flog der Zug dahin – nach Berlin – nach Berlin!! Annie richtete sich in die Höhe und drückte die Hand auf das laut klopfende Herz, da knisterte es leise bei dieser Berührung wie von steifem Papier – ein feiner, nur ihr hörbarer Ton – aber ihr Auge suchte doch erschrocken den Vater: ob er ihn wohl auch vernommen? – In dem Couvert, das sie in ihrem Mieder verborgen, lag ihr Schatz, ihr Heiligtum: eine kleine Visitenkarte, und darauf stand mit großer, kräftiger Männerschrift: Auf Wiedersehen! – Und sie war jetzt auf dem Wege nach Berlin, jeder Augenblick führte sie dem Ziele näher, das ihr diese Hoffnung erfüllen konnte: auf Wiedersehen – auf Wiedersehen!! (Fortsetzung folgt.)


Es kommt ein Tag, der der letzte ist.

Verschwendrische Fülle beglückender Zeit,
Vom Morgen des Lebens gespendet,
Die lockenden, blühenden Wege so weit,
Ein Frühling, der nimmermehr endet!

5
      Wer denkt je, wo Jugend die Flagge gehißt:

      Es kommt ein Tag, der der letzte ist!

Aufsteigende Sonne mit zündendem Licht
Die Rose der Liebe entflammte;
Wo wäre der Frost und der Sturm, der sie bricht,

10
Da ewigem Lenz sie entstammte!

      Doch wie auch die Lippe der Liebe dich küßt –
      Es kommt ein Tag, der der letzte ist!

Die Liebe verblaßt, es entlodert der Zorn,
Von Hast wird umdüstert die Seele;

15
Doch am Herzen reifst dir der Neue Dorn,

Nagt Schuld dir und eigene Fehle.
      Wohl dem, der zu spät nicht vergiebt und vergißt!
      Es kommt ein Tag, der der letzte ist!

Nie rastend wirk’ für die Deinen, die Welt!

20
Denn plötzlich stehst du sich neigen

Die Sonne, welche dein Dasein erhellt,
Und Nebel weben und steigen.
      Ob nah’ deinem Ziel dann, ob fern du ihm bist –
      Es kommt ein Tag, der der letzte ist!

25
Und hat dir das Schicksal die Fäden verwirrt,

Magst kämpfen du nicht mehr und werben,
Ward müde dein Fuß, der in Nächten verirrt,
Blieb nichts als der Wunsch dir, zu sterben
      Harr’ aus, harr’ aus noch die kurze Frist:

30
      Es kommt ein Tag, der der letzte ist!

 Ernst Scherenberg.


Die Eröffnung des Eisernen Thores.

Von Paul Lindenberg. Mit Originalzeichnungen von V. Schramm.


Dereinst suchten die Völker sich gegenseitig abzusondern und zwischen ihren Reichen Schranken aufzuführen, heute ist man bestrebt, diese Hindernisse fortzuräumen und die Länder mehr und mehr mittels des emsigsten Handels und Wandels und eines regsten Verkehrs zu verbinden. Als eine der Völkerschranken galt Jahrtausende hindurch das Eiserne Thor, jene gefährliche Stelle der südöstlichen Donau, welche bis vor kurzem noch die Grenze zwischen dem Orient und Occident bedeutete. Unheimliche Stromschnellen, spitze, unmittelbar unter dem Wasserspiegel verborgene Klippen, zackige, tief in den Fluß hineinreichende Vorsprünge waren die unzählige Opfer erheischenden Feinde der Schiffer, die schon in grauer Vorzeit diesen Teil der Donau fürchteten; bereits Julius Cäsar trug sich mit weitgehenden Plänen, die gefahrbringenden Hindernisse fortzuräumen, dann suchte Kaiser Trajan dieselben zu umgehen, indem er längs des rechten Ufers für seine Legionen eine Straße anlegte, deren Spuren noch heute erhalten sind und uns mit Bewunderung erfüllen ob der Ausdauer und Kühnheit der römischen Baumeister und Ingenieure, denn der Weg mußte zum Teil in die Felsen hineingehauen werden, zum Teil lief er auf schweren Balken dahin, die zur Hälfte in das Gestein getrieben waren. Auch später noch versuchte man mehrmals, die Tücken des Stromes, die größeren Schiffen nur bei hohem Wasserstande die Fahrt gestatteten, zu besiegen, aber es blieb bei wenig ersprießlichen Anfängen, bis 1878 infolge eines Beschlusses des Berliner Kongresses das am meisten mit seinem Handel und Verkehr hierbei beteiligte Ungarn die Beseitigung der obenerwähnten Hindernisse auf sich nahm und sie nach Erledigung der jahrelangen Vorarbeiten von 1889 bis heute mit einem Kostenaufwande von über acht Millionen Gulden, zu denen sich für die noch ausstehenden, letzten Arbeiten noch weitere vier Millionen gesellen werden, durchführte. Schon vor einigen Jahren (vgl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1893, Seite 7) sind unsere Leser durch einen reich illustrierten Artikel über die landschaftliche Lage des Eisernen Thores und die Tragweite der damals rüstig fortschreitenden Regulierungsarbeiten unterrichtet worden. Es handelte sich dabei wahrlich um ein schwieriges Unternehmen, das nur mit Anspannung aller Kräfte zu einem guten Abschluß gebracht werden konnte; mußten doch viele Hunderttausende Kubikmeter Felsen unter dem Wasser im freien Strome und ebenso viele oberhalb desselben an den Ufern weggesprengt werden, galt es doch ferner, einen achtzig Meter breiten Kanal in die Felsen des Strombettes einzusprengen und ihn durch sechs Meter hohe und gegen zwei Kilometer lange Steindämme zu schützen! Ferner mußte man den Strom an anderen Stellen einengen und endlich eine ganze Landspitze abtragen. Besondere Maschinen, Fahrzeuge, Geräte etc. wurden zu diesem Behufe konstruiert, und nicht weniger als zehntausend Menschen waren unausgesetzt acht Jahre hindurch thätig, um den gewaltigen Plan verwirklichen zu helfen. Mit Anspannung aller Kräfte gelang dies, und als glänzendes Schlußstück der ungarischen Millenniumsfeierlichkeiten konnte die festliche Einweihung des Kanals am 27. September dieses Jahres stattfinden.

Die österreichische Grenzstadt Orsova, Hauptstation der Donaudampfschiffahrt und der Knotenpunkt des Handelsverkehrs mit den unteren Donauländern, bildete den Ausgangspunkt der Einweihungsfeste. Der Glanz derselben wurde durch die Gegenwart des Kaisers von Oesterreich und der Könige von Rumänien und Serbien erhöht, und so groß war der Fremdenandrang, daß viele der geladenen Gäste in den Häusern der Stadt keine Wohnung erhalten konnten, sondern in Eisenbahnwagen und auf den Schiffen der Donauflottille Nachtquartier nehmen mußten. Kaiser Franz Joseph kam bereits am Sonnabend den 26. September nach Orsova, wo er mit lautestem Jubel von den zahlreich herbeigeströmten Volksscharen empfangen wurde. Leider trübte das launische Wetter durch strömenden Regen diesen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0744.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)