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Stachelbeeren und Himbeeren vergebens suchen. Vereinzelt kommen Kirschen vor, Erdbeeren dagegen giebt es in Hülle und Fülle, allerdings nicht im Walde, sondern in wohlgepflegten Anlagen. Das hauptsächlichste Obst sind Pfirsiche, die in großen Wäldern angepflanzt werden, und Trauben, während Birnen und Aepfel aus Uruguay, namentlich von Montevideo, importiert werden. Bananen und Feigen wachsen hier ebenfalls, haben jedoch nicht soviel Aroma wie in Brasilien, und Orangen kann man um geringen Preis das ganze Jahr haben. Im großen und ganzen lebt und ißt man kräftiger und besser als in Deutschland, wenn auch viel einfacher. Und doch ist das Leben in Argentinien nicht billig. Was es hauptsächlich verteuert, sind die Arbeitslöhne. Alle Handwerker, zumeist eingewanderte Europäer, lassen sich ihre Arbeiten sehr teuer bezahlen. Zu Umänderungen an Kleidungsstücken[WS 1], Reparaturen des Schuhwerks, zum Aufpolieren von Möbeln entschließt man sich darum äußerst schwer, weil neues nicht viel mehr kostet und besser aussieht. Eine Argentinierin bessert kein Leinenzeug aus, ebensowenig versteht sie Strümpfe zu stopfen oder zu stricken, und im Laufe der Zeit nimmt wohl auch die deutsche Hausfrau etwas von der Gleichgültigkeit und dem Sichgehenlassen ihrer südländischen Mitschwester an, weil das Klima eben dazu herausfordert.

In Deutschland arbeitet die Hausfrau am meisten an den gemütlichen langen Winterabenden im wohldurchwärmten Zimmer. In Argentinien kennt man die Annehmlichkeit geheizter Räume nur in sehr beschränktem Maße, da meistens nur ein Zimmer, gewöhnlich das Eßzimmer, sich einer Vorrichtung zum Heizen erfreut. Dieselbe besteht in einem offenen englischen Kamin, der bekanntlich den Davorsitzenden röstet, während die Entfernteren vor Frost schaudern. Es wird ja nun nicht sehr kalt in Argentinien, da das Thermometer fast nie auf den Gefrierpunkt sinkt, doch macht sich hier ein geringer Wärmegrad weit unangenehmer fühlbar, weil der Körper durch die große Sommerhitze viel empfindlicher wird. Wenn daher im Juni, Juli und August die kalten Winde wehen und das abscheuliche Regenwetter eintritt, geht die ganze Familie spätestens um 10 Uhr zu Bett, das den besten Schutz gegen alle Ungemütlichkeiten der Witterung gewährt. Im Sommer denkt man erst recht nicht viel an Stricken oder sonstige Handarbeiten in den Mußestunden. Wenn die Hausfrau bei +28 bis 30° Réaumur im Schatten die Kinder besorgt, die Zimmer gesäubert und die Mahlzeiten gekocht hat, ist sie in der Regel so müde und abgespannt, daß sie gern am Abend ausruhend im halbdunklen Patio sitzt, wo wenigstens hin und wieder ein Luftzug die heiße Stirne kühlt, während im Zimmer eine unerträgliche Schwüle herrscht und ein Schwarm Mosquitos, vom Licht angezogen, seinen Rundtanz um die Lampe aufführt.

Unter diesen Umständen ist eine deutsche Hausfrau in Argentinien auch gar nicht so sehr erpicht darauf, die in Deutschland vor allen großen Feiertagen üblichen Scheuerfeste zu feiern. Das im allgemeinen trockene Klima bedingt viel Staub, der beim geringsten Winde durch alle Ritzen dringt und sich überall festsetzt, bei heftig bewegter Luft aber alle Möbel und Geräte mit einer dicken Staubschicht bedeckt, so daß eine einigermaßen ordentliche Hausfrau Tag für Tag gründlich säubern lassen muß. Auch große Wäsche wird in den wenigsten Fällen abgehalten.

Es ist im allgemeinen Sitte, täglich die angesammelte Kinder-, Küchen- und Wollwäsche auszuwaschen, da dieselbe bei dem eigentümlichen Klima ein Aufbewahren in schmutzigem Zustande nicht verträgt. Größere Stücke an Leib-, Bett- und Tischwäsche übergiebt man ebenso wie die Stärkewäsche den Waschanstalten, welche dieselbe erstaunlich schnell und billig waschen und plätten, und zwar beides ganz vorzüglich. Auf dem Lande übernehmen Wäscherinnen dieses Geschäft, aber niemals im Hause, sondern stets in ihrer Wohnung oder am Fluß.

Die argentinischen Dienstmädchen mögen nicht allzuviel arbeiten, sind aber, hiervon abgesehen, bei richtiger Behandlung stets willig und dienstbereit. Sie nehmen mit der einfachsten Kost, dem bescheidensten Lager vorlieb und sind namentlich von einer rührenden Anhänglichkeit an die Kinder des Hauses, welche sie ganz ausgezeichnet zu unterhalten und zu beschäftigen wissen. Ausdauernd sind sie dagegen leider gar nicht, und gar leicht wird ihnen regelmäßige tägliche Arbeit zu viel. Wenn sie 6 bis 7 Monate auf einer Stelle gewesen sind, fühlen sie plötzlich das Bedürfnis, sich wieder einmal einige Zeit dem dolce far niente hinzugeben, und gestehen dies der Señora in naivster Weise ein. Kein Zureden hilft, sie warten im besten Falle, bis man anderweitig Hilfe gefunden hat, oder lassen auch die Hausfrau in der größten Arbeit sitzen. In Argentinien besteht nämlich beim Dingen von Dienstboten keine gesetzliche gegenseitige Kündigungsfrist. Man kann ein Dienstmädchen ohne Angabe stichhaltiger Gründe von einem Tage zum andern entlassen, anderseits können Dienstboten eine mißliebige Herrschaft ebenso behandeln, wobei die letztere in den meisten Fällen viel schlimmer wegkommt, da Dienstboten dort im Lande sehr gesucht sind und teuer bezahlt werden. Gute Köchinnen erhalten 40 bis 70 Mark monatlich, Stubenmädchen und „Mädchen für alles“ 25 bis 35 Mark, Kindermädchen von 10 bis 14 Jahren bereits 10 bis 20 Mark, und deutsche Dienstboten machen meistens noch größere Lohnforderungen.

Das sind die eigenartigen Verhältnisse, in welche viele deutsche Frauen jenseit des Oceans auf Argentiniens Boden sich schicken müssen.



Blätter und Blüten.


Alt-Frankfurter Sprichwörter. Fast gleichzeitig mit der Enthüllung des Stoltzedenkmals in Frankfurt a. M. erfolgte die Veröffentlichung einer Auswahl der nachgelassenen Schriften des Dichters, die den 5. Band seiner Gesammelten Werke bildet. Der kulturgeschichtliche und linguistische Wert, der, wie an den Werken eines jeden volkstümlichen Dialektdichters überhaupt, an denen Stoltzes haftet, tritt hier recht deutlich in der Sammlung „Frankfurt in seinen Sprichwörtern und Redensarten“ hervor, in welcher Stoltze jeden einzelnen Spruch in Bezug auf Herkommen und Bedeutung erläutert. Wir entnehmen derselben einige Beispiele.

Zu den Redensarten, die weit über das Weichbild der einstigen Freien Reichs- und Kaiserkrönungsstadt am Main bekannt worden sind, gehört: „Wenn Frankfurt ausfährt, fährt es vierspännig“ oder genauer „Frankfurt fährt selten aus, fährt’s aber aus, so fährt’s vierspännig.“ Die Veranlassung zu ihrer Entstehung gab der Brand von Hamburg 1842. Als die Kunde davon nach Frankfurt kam, ließ der Senat die „Ständige Bürgerrepräsentation“ und den „Gesetzgebenden Körper“ einberufen und stellte in beiden den Antrag, die Abgebrannten in Hamburg mit einer Summe von 2500 Gulden aus städtischen Mitteln zu unterstützen. Die Bürgerrepräsentation fand diese Summe für die Schwesterstadt viel zu niedrig, und derselben Ansicht war der Gesetzgebende Körper. Hier erhob sich Dr. Reinganum und sagte: „Frankfurt fährt selten aus, wenn es aber ausfährt, so fährt’s vierspännig.“ Die Versammlung faßte darauf den Beschluß, dem Senat von Hamburg für die Abgebrannten sofort die Summe von 100 000 Gulden aus der Stadtkasse zur Verfügung zu stellen. „Frankfurt fährt selten aus, fährt’s aber aus, so fährt’s vierspännig,“ sagt heute der Frankfurter scherzweise, wenn er bei einer Festlichkeit, bei einer öffentlichen Veranstaltung ein übriges thut. –

Die alten Frankfurter haben sich auch einmal das Sprichwort: „Was soll Saul unter den Propheten“ ins Ortstümliche übersetzt, und zwar in: „Wie kimmt e Christ zu em Derk?“ Das bezog sich auf die Figur eines Türken am Haus zum „Türkenschuß“ an der Ecke der Zeil und Hasengasse. Der „Türkenschuß“ war damals ein Wirtshaus und der W[i]r[t] und Besitzer hieß Christ. Dieses Türken, der ein Pistol abschießend dasteht, hat sich der Volkswitz noch in anderer Weise bemächtigt. Beim Umbau des Hauses kam auch an Stelle des alten Türken ein neuer. Der alte hatte nun mit seiner Pistole nach der „Schlimmen Mauer“, jetzt Stiftsstraße, geschossen, während der neue seine Waffe nach „Hinter der Rose“, jetzt Brönnerstraße, gerichtet hält. In den zwanziger Jahren befand sich dort das Etablissement „Vauxhall“, das dann fallierte. Als nun der neue Türke an den „Türkenschuß“ kam und nach „Hinter der Rose“ schoß, sagten die Frankfurter: „Jetz batt’s nix mehr! Häst de friher dem Vauxhall was vorgeschosse!“ – Wie hier äußert sich der behende Witz, der in der reichen Meß- und Handelsstadt allzeit in Flor stand, und die Freude am Wortspiel auch in der Redensart „Geldern leit in Flandern“. Geldern liegt weit von Frankfurt entfernt. Aber der Frankfurter wollte damit gar nicht sagen: Geldern liegt in Flandern, er gebrauchte das Wort leit, weit dieses wie „leiht“ klingt. Wenn es sich um Gelder handelte, die einer vom andern geborgt haben wollte, und jener war weit davon entfernt, das zu thun, so sagte er ihm mit jener Wendung: „Leiht euch in Flandern Gelder und nicht bei mir!“ – „Schaad for den scheene Dorscht!“ ist eine jetzt weitverbreitete Redensart, die ihren Ursprung dem alten Frankfurt verdankt. Sie stammt von drei armen reisenden Handwerksburschen. Eben durchs Thor gekommen, traten sie an den Adlerbrunnen, der sich damals noch nach der Zeil zu am Paradeplatz, dem jetzigen Schillerplatz, befand, und löschten da ihren Durst. Einer nach dem andern trank aus dem großen eisernen Löffel in vollen Zügen, und als sie sich alle drei satt getrunken hatten, sagte der eine seufzend zu dem andern: „Schaad um den scheene Dorscht!“ Sie hätten ihn lieber in Bier gelöscht, wenn sie sich dafür schon das Geld erfochten gehabt hätten. Stoltze fand die Redensart in seiner „Vadderstadt“ schon in frühester Kindheit im Schwange. P.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Keidungsstücken
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0723.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)