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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

stammelte Michel. „Das macht uns nix! Das muß ganz droben g’wesen sein in der Höh! Der Boden hat sich net g’rührt bei uns, und kein bißl net hat ’s Häusl ’zittert! Das hätt’ ich ja spüren müssen … da hab’ ich ein G’fühl dafür, ein ganz ein feines! Thu’ Dich net sorgen, Mutter! Beten wir weiter! Und nur recht fest einfallen, Kinder! Recht fest!“ Zähren erstickten fast seine Stimme, als er wieder die Litanei aufnahm: „Du Pforte des Himmels! Du Morgenstern!“

„O bitt’, o bitt’ für uns!“ fielen die anderen ein, und ihre Stimmen klangen wie ein vereinter Schrei um Hilfe.

„Du Heil der Kranken!“

„Bitt’ für uns!“

„Du Trösterin der Betrübten!“

„Bitt’ für uns!“

„Geh, sei doch so gut und thu’ doch für uns ein bißl, grad’ ein bißl was … Du Hilfe der Christen, Du!“

„O bitt’ für uns!“ riefen die Mutter und Mathes, während Vroni sich zitternd erhob. „Vater! Vater!“ stammelte sie. „Hörst denn das g’spaßige Sausen net, droben in der Höh’! Kann’s denn ein Wetter sein, was aufzieht?“

„Thu’ beten, mein Madl! Thu’ net ums Wetter fragen … ein Wetter thut uns nix!“ Michel hob die verschlungenen Hände gegen die Decke. „Du Königin der Engel!“

„Bitt’ für uns!“

„Du Königin der Propheten!“

„O bitt’ für uns!“

Wie ein Frühlingssturm, der mit Toben und Brausen über die Berge fährt, so klang es durch die Nacht von der Höhe der fernen Almen herunter, immer deutlicher, immer näher dem bedrohten Haus.

„Du Königin der Apostel!“ betete Michel mit versagender Stimme, zitternd an all seinen müden Gliedern. „Königin der Märtyrer!“

„O bitt’, o bitt’ für uns!“

„Du Königin der Jungfrauen! Königin aller Heiligen!“

„Bitt’ für uns!“ fielen Vroni und die Mutter ein, während Mathes aufsprang, vor Erregung bleich bis in die Lippen. „Vater! Vater! Ja hörst denn net?“ Mit beiden Händen umklammerte er den Arm des Vaters. „Das kann ja kein Wetter net sein! So thut kein Sturm! Hör’ an, Vater, so hör’ doch an! Das thut ja, als ob ’s ein Wasser wär’ …“

„Wasser…“ stotterte Michel. Dann war lautloses Schweigen in der Stube, und mit verhaltenem Atem lauschten sie alle.

Da hörten sie es deutlich, dieses dumpfe Strömen und Rauschen, das über die Gehänge des laufenden Berges niederkam. Jetzt klang es schon ganz in der Nähe … jetzt war ’s, als hätt’ es den Garten schon erreicht … jetzt ging es mit dem Tosen eines mächtigen Wasserfalles zur Linken und Rechten des kleinen Hauses vorüber und jagte dem Thal entgegen. Und mitten in diesem dumpfen Brausen hörte man, wie freundliches Kinderplaudern, das helle Glucksen und Geplätscher der kleinen Wellen, die gegen den Sockel der Mauern schlugen.

„Heilige Mutter!“ schrie Michel wie von Sinnen und raffte sich auf. „’s Wasser is da! ’s Wasser! ’s heilige Wasser!“ Nach Atem ringend fuchtelte er mit den Armen, und in seiner jäh erwachten Hoffnung und Freude stürzten ihm die Thränen aus den Augen, „’s Wasser is g’stiegen aus der Tief’! ’s Wasser is wieder am Licht! ’s Wasser hat uns g’holfen … und die heilige Mutter!“ Seinen Buben beiseite stoßend, rannte er zur Thüre und eilte hinaus in die von rauschendem Lärm erfüllte Nacht.

Als ihm Mathes mit stammelnden Worten folgte und Vroni und die Mutter ihm schluchzend nachliefen, hörten sie ihn bald im Hof und bald ihm Garten schreien: „Ja schauts doch das Wasser an! Das schöne Wasser! Das viele Wasser! Meiner Lebtag’ hab’ ich so viel Wasser noch net g’sehen!“

Rauschende Bäche, deren tanzender Schaum auch in der dunklen Nacht noch weißlich schimmerte, sprudelten von allen Seiten über die steile Böschung nieder und überschwemmten fußhoch den ganzen Hofraum, während die größeren Massen des aus dem Inneren des Berges hervorgebrochenen Wassers brausend ihren Weg durch die das Gehöft begrenzenden Mulden und Gräben nahmen.

„Michel! Michel! Wo bist denn?“ rief Mutter Katherl mit Schluchzen. Und Mathes und Vroni schrieen: „Um Gottswillen! Vater! So komm’ doch!“

Bis zu den Hüften von Wasser triefend, lachend und weinend, kam er aus einem der Sturzbäche hervorgestiegen und ließ sich zur Hausthür führen. Da machte er seine Hände wieder frei und fuchtelte.

„Mutter! Kinder! ’s Wasser is wieder da! Jetzt können wir ausschnaufen! Unser Häusl is g’sichert jetzt! Das hat ja die Kammissoni g’sagt: wenn ’s Wasser wieder steigt, so muß er sein Laufen einstellen, der närrische Berg! Der! Hat g’meint, er kann treiben, was er will! Jetzt hat er aber doch eine g’funden, die noch ein bißl stärker is als er! … Katherl! Kinder! Kommts her!“ Die Freudenthränen erstickten seine Stimme fast. „Jetzt sagen wir aber gleich der Gottesmutter unser Vergeltsgott! Aber recht ein fest’s!“

Sie wollten ihn in die Stube ziehen, aber er that es nicht anders: inmitten des den Hofraum überschwemmenden Wassers warf er sich auf die Kniee nieder und lallte das Salve Regina, in dessen Worte er das Gestammel seines eigenen Dankes mischte:

„‚Gegrüßt seist Du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Süßigkeit und Hoffnung, sei gegrüßt!’ … Schau, tausendmal sag’ ich Dir Vergeltsgott, Hunderttausendmal, daß Dich ein bißl ang’nommen hast um Dein’ alten Michel und sein Häusl! … ,Zu Dir rufen wir Kinder Evas, zu Dir seufzen wir Trauernde und Weinende in diesem Thal der Zähren!’ … Und schau, ich will Dir’s danken, daß D’ mich g’hört hast, danken mein Leben lang! Und so oft ich’s auf meine alten Tag’ noch anschau’, mein Häusl, mein liebs, will ich mir sagen: das hat Dir die Himmelsmutter geschenkt! … ,O Du, unsere mächtige Fürsprecherin, wende Deine barmherzigen Augen auf uns!’ … No freilich hast Deine gütigen Augen g’wendt auf uns! Und schau, vergelten will ich Dir’s nach meiner schwachen Kraft! An die hundert Markln hab’ ich mir g’spart! Die g’hören Dir ganz! Da b’halt’ ich kein’ Pfennig davon! Dein heiligs Bildl will ich schön g’wanden lassen! Und wächserne Kerzln zünd’ ich Dir an, Tag für Tag eins, bis sie sich jähren thut, die heutige Freudennacht! … ‚O Du gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria!‘“

Taumelnd erhob er sich, umhalste unter Thränen sein Weib und seine Kinder, riß sich los von ihnen und watete wieder in einen der schäumenden Bäche hinein. „Das Wasser schauts an, das schöne Wasser!“ Lachend, wie ein Berauschter, griff er mit beiden Armen in das Gesprudel, als hätte er kein köstlicheres Gut an sein Herz zu drücken als diese tanzenden Wellen.

In Sorge jammerte Mutter Katherl über diese „Narretei“, und Mathes mußte hinzuspringen, um den Vater mit Gewalt aus dem kalten Sturzbad herauszuziehen: fast hätten die schießenden Wellen den von Mühsal und Freude Entkräfteten zu Boden geworfen.

Sie führten ihn in die Stube und Vroni lief, um ein trockenes Gewand für ihn zu holen.

Als er umgekleidet war, merkte er schon die Erkältung, die er sich in dem eisigen Schneewasser geholt hatte. Er mußte niesen.

Mutter Katherl schlug vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammen. „No also, schau, jetzt hast Dich richtig verkühlt!“

„Macht nix, Mutterl!“ wollte er sagen. Aber da mußte er wieder niesen, gleich ein paarmal. Und als es vorüber war, lachte er: „Helf’ Gott, daß ’s wahr is!“


15.

Das dumpfe Rauschen der Bäche, die sich über die Gehänge des laufenden Berges in das Thal hinunterstürzten, weckte im Dorf die Bauern aus dem Schlaf und ließ sie mit Sorge an ihre Felder denken. Ehe der Tag noch anbrach, eilten sie schon mit Spaten und Pickeln aus allen Häusern.

Als der Daxen-Schorschl, der nach seiner schweren Tagesarbeit einen festen Schlaf gethan, in der ersten Dämmerung des klaren Frühlingsmorgens das Thor seiner Werkstätte öffnete, sah er auf der Straße die Leute rennen.

„He! Was is denn?“ fragte er.

„Auf dem närrischen Berg da droben is ’s Wasser wieder ausbrochen!“ rief man ihm zu. „Die ganzen Felder herunt’ überschwemmt’s, und droben reißt’s die halbe Simmerau davon!“

„Mar’ und Josef! ’s Wasser wird mir ja doch da droben das Madl net mitreißen?“ stotterte Schorschl im ersten Schreck. Dann rannte er um die Hausecke und spähte im Zwielicht des Morgens gegen die Simmerau hinauf. Was er gewahrte, weckte ein Gefühl in ihm, als hätte sich eine eiserne Klammer um sein Herz gelegt. Am vergangenen Abend, als vor dem Schlafengehen seine Blicke in einer Sehnsucht, die er sich selbst nicht hatte eingestehen wollen, suchend über die dämmrige Höhe emporgeglitten waren, hatte er, das kleine braune Dächlein mitten im welken Grün der Halden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0718.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)