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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

seine Lippen auf die ihren drückend, als wollte er ihren Atem aufsaugen, murmelte er: „Leb’ wohl, Elfe, leb’ wohl für ewig!“ –

Wenige Minuten später war sie wieder oben. Sie fand die Thür des Vorsaales nur angelehnt, wie sie dieselbe gelassen hatte, und au der Thür zum Wohnzimmer lauschend, horte sie der Eltern und Lisbeths Stimme in ebenso lebhafter Unterhaltung wie vorhin. Man hatte sie also gar nicht vermißt! Wie gut, daß sie gerade den Tag von Liesels Rückkehr sich für das Rendezvous ausgewählt! Lautlos huschte sie in ihr Stübchen und warf sich hochatmend in den Stuhl. Gottlob, das war vorüber! Wie sie sich davor gefürchtet hatte! Der Fredi, der arme, liebe Fredi – sie hatte ihn doch sehr lieb – schade, schade! Sie warf einen Blick in den Spiegel.

Himmel, wie sie aussah! Das Gesicht gerötet vom Weinen, die Frisur zerzaust, und die Stirnlöckchen hingen von der feuchten Lust wie Zwirnstränge hernieder. Wenn sie nun jemand so sah und nach der Ursache fragte! Schnell steckte sie die Spirituslampe an, legte die Brenneisen auf und griff einstweilen zur Puderquaste.

Da öffnete die Frau Geheimrätin die Thür.

„Ach, Elfchen, Du bist schon bei der Toilette? Nun, mache Dich nur recht niedlich, und hörst Du, bleibe hier, bis er da ist, und dann kommt ihr zusammen hinein und stellt euch vor!“

„Wie wird Lisbeth es aufnehmen, Mama?“ fragte Elfe unsicheren Tones, ohne sich umzuwenden, und beugte sich tiefer über die Spirituslampe, damit der Flamme die Röte ihres Gesichtes zuzuschreiben sei.

„Wie soll sie es aufnehmen?“ tönte es zurück. „Wenn Du sie vorher um Rat gefragt hättest, würde sie wohl allerlei dagegen zu sagen gewußt haben: aber in eine vollendete Thatsache findet sich ein vernünftiger Mensch immer. Uebrigens, was kann man ernstlich dagegen einwenden? Walden ist ein prächtiger Mensch, er hat Dir in Wahrheit eine Zukunft zu bieten, und ihr liebt euch – sind da nicht alle Bedingungen erfüllt?“

Sie ging und setzte sich wieder zu ihrem Gatten, der eben vor Lisbeth allerlei Briefe von Leo ausgebreitet hatte und, über deren Schulter mit einsehend, genauere Erklärungen zu den einzelnen Bemerkungen gab. Auch die Geheimrätin griff nach einem Blatte. „Er schreibt doch reizend interessant, unser Junge,“ sagte sie mit so viel mütterlichem Stolz im Ton, als sich nur irgend hinein legen ließ. „Was sind das für flotte Schilderungen vom Berliner Leben! Wie schneidig kritisiert er die neuen Bühnenstücke und wie pikant scherzt er über die allzu freien Amüsements der Spezialitätentheater hinweg. Wirklich, man könnte jeden dieser Briefe direkt zum Druck geben! Das wäre doch etwas anderes als diese sogenannten Plauderbriefe der professionsmäßigen Zeitungsschreiber.“

„Das ist alles sehr schön,“ sagte Lisbeth, indem sie einen Brief zusammenfaltete; „ich dächte nur, es wäre besser, wenn Leo dieses Studium des Berliner Lebens bis nach dem Examen ließe. Was wird ihm für Zeit dadurch verloren gehen und wie sehr wird ihn das zerstreuen! Hernach wäre es ein wohlverdienter Lohn für die Anstrengung, und er könnte es auch mit viel leichterem Herzen genießen.“

„Nach dem Examen soll er nicht dort bleiben,“ erwiderte die Mutter, „ich brauche ihn dann zu nötig wegen unserer gesellschaftlichen Verpflichtungen und sehne mich auch schon zu sehr nach ihm.

Außerdem ist auch noch eine andere da, die schwer unter der Sehnsucht nach ihm leidet; hoffentlich kommt auch das nach seiner Rückkehr schleunigst in Ordnung!“

Der Geheimrat erhob sich.

„Aha, nun sind wir wieder bei dem richtigen Thema. Du mußt nämlich wissen,“ wandte er sich lächelnd an Lisbeth, „diese letzte Bemerkung geht auf Fräulein Dora Grimm. Sie hat es herausgebracht, daß Mama an jedem Sonntag ihren Brief von Leo bekommt, und seitdem macht es sich immer so zufällig, daß sie Montags hier eine Visite zu machen oder irgend etwas zu besprechen hat – kurz, sie tritt hier an, läßt sich ,von ihm’ erzählen, erwidert seinen Gruß, und wenn dann schließlich der Brief hervorgeholt und ihr vorgelesen wird, lauscht sie eifrig wie einem Evangelium. Du siehst also, hier diese unsere Mutter verbirgt unter ihrem Kleide ein paar echte, richtige Engelsflügel, die sie sich von dem berüchtigten, neckischen Götterknaben geliehen hat, und ist sozusagen der postillon d’amour der beiden.“

Die Mama lächelte geschmeichelt.

„Ja, ja,“ meinte sie, „und doch, was hat mir der Junge mit seinem Leichtsinn in diesem Punkte schon für Sorgen gemacht! Noch die letzten Tage seines Hierseins! Erstens bekam ich ihn nicht dazu, bei Grimms eine Abschiedsvisite zu machen, das sei nicht üblich, das thäte man nicht, wenn man zum Examen ginge, sagte er, und dabei blieb er. Als ob man in solchem Fall, wo so viel auf dem Spiele steht, nicht eine Ausnahme machen könnte; gerade dadurch wird sie doch bedeutungsvoll. Und dann, denke Dir nur die Geschichte: bei seiner Abreise begleite ich ihn also nach dem Bahnhof. Wir haben uns verabschiedet, er sitzt schon im Coupé, da reicht er mir ein Blatt Papier aus dem Fenster zu: ,Begleiche doch die Rechnung bei dem Gärtner, Mamachen’, und leiser flüstert er hinunter: ,Für Fräulein Dora“. Ich drohte ihm wegen dieser bequemen Manier, seine Rechnungen los zu werden, und freute mich doch im Herzen, daß er auf solche feine Art sich empfiehlt; und wie ich dann im Wagen sitze, schlage ich das Blatt auseinander – was ist das? – zwei Bouquets vom heutigen Tage stehen da notiert! Ich hielt es natürlich für einen Irrtum, es war doch nicht möglich, gleich zwei Bouquets zu schicken: das wäre ein bißchen knüppeldicke Galanterie, auch ein wenig knüppeldick für meinen Geldbeutel! Aber im Geschäft, wo ich, die Sache zu ordnen, vorfahre, erwartet mich ein neuer Schrecken: denke Dir, die Rechnung stimmte! Zwei Bouquets je fünfzehn Mark, das eine für Fräulein Dora Grimm, das andere für Fräulein Annie von Giersbach, jedes von seiner Karte begleitet, mit einen:: ,Auf Wiedersehen!’ Wie findest Du das? Ich war außer mir. Was hatte nun diese ganze zarte Aufmerksamkeit für einen Wert, wenn Dora es hörte, daß er dieselbe noch für eine andere gehabt? Und wie leicht konnte das geschehen! Ich habe wirklich ein paar Nächte nicht geschlafen und ihm dann einen Brief geschrieben – solch einen hat er von mir noch nicht erhalten! Hernach machte es sich besser als ich geahnt: die kleine Giersbach hat niemand von diesem Bouquet etwas gesagt. Wahrscheinlich hatte sie Äugst vor dem brummigen Alten und hat es in ihre Schieblade gesteckt, um es dort in aller Heimlichkeit zu bewundern. Wir waren acht Tage später bei Grimms zu einem Diner geladen, da wußten weder der Oberst noch seine Gattin etwas von Leos Abreise, und als Dora das Gespräch darauf brachte, saß die Kleine so verschüchtert und so verlegen dabei wie ein verflogenes Hühnchen auf der Stange; da wußte ich, was die Glocke geschlagen hat.“

„Das arme, kleine Ding,“ sagte Lisbeth mitleidig. „Es ist abscheulich, daß Leo so mit ihrem Herzen spielt!“

„Ach ja, es ist nicht recht von ihm,“ erwiderte die Mutter, „aber so ein wenig Flirt glauben sich die jungen Herren von heute erlauben zu dürfen, und es ist ja auch weiter nichts dabei. Wenn jede Galanterie sogleich als ein Grund zum Herzbrechen aufgefaßt würde, könnten sie schließlich gar nicht mehr in Damengesellschaft gehen. Nach einer Seite verlangt man so viel Ritterlichkeit und Höflichkeit als möglich, und nach der anderen erklärt man das für ein frivoles Spiel mit Herzen. Was sollen sie denn thun, um allen Ansprüchen gerecht zu werden? Man kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie es schließlich vorziehen, nur noch ins Gasthaus zu gehen!“

„Es ist schon etwas Wahres daran,“ meinte Lisbeth beschwichtigend, „er müßte sich aber doch diejenigen ansehen, denen er so kommt, ob sie es auch verstehen. Sieh, wenn er sich mit Fräulein Dora so amüsiert, die hat es selbst oft geübt, die verträgt’s schon, auch wenn es ihm mir ein Spiel wäre -“

„Da wird er sich schön hüten,“ schaltete die Mutter ein, „so unvernünftig ist er nicht, wenn er auch immer so thut.“

„Aber dieses junge Kind, das noch an jedes Wort glaubt, ist doch wohl zu gut, um als Versuchsobjekt für seine Unwiderstehlichkeit zu dienen.“

Draußen hatte die Glocke eben hell und laut angeschlagen, nun hörte man flüsternde Stimmen auf dem Korridor. Das Ehepaar sah sich verständnisinnig an und dann lächelnd auf Lisbeth. Da wurde die Thüre weit aufgeschlagen, Regierungsrat von Walden trat ins Zimmer, und an feinen: Arm hing, ebenso strahlend und glücklich aussehend wie er – Elfe.

„Liebste Lisbeth,“ sagte der Geheimrat heiter, „laß Dir das neueste Brautpaar vorstellen und begrüße unseren lieben Walden als Deinen künftigen Schwager!“

Lisbeth stand noch ganz erstarrt und blickte wortlos auf das Paar, da fiel ihr Elfe um den Hals.

„Lieb’ Schwesterherz, gratuliere uns doch, Du siehst es ja: Wir lieben uns und sind glücklich!“

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