Seite:Die Gartenlaube (1896) 0707.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

unseres Vaterlandes niemals Totenköpfe erscheinen. In der Nähe meines gegenwärtigen Wohnsitzes zu Lübben am Spreewald habe ich 1893 und im vorigen Jahre je einen frisch geschlüpften Falter am 7. bezw. 8. Oktober gefunden. Raupen, nach denen ich anfangs August suchte, fand ich nicht, dagegen vielfach Fraßstellen und Kot, kam also zu spät, weil die Tiere schon zur Verpuppung geschritten waren. Wie könnten diese Raupen aus Eiern stammen, welche ausgangs Juli aus dem Süden zugeflogene Weibchen hier abgelegt haben!

Hierbei möchte ich den nicht minder verbreiteten Irrtum berichtigen, wonach die Totenkopfraupe sich am Tage in der Erde verbergen und nur des Nachts fressen soll. Ich habe die Tiere im glühendsten Sonnenschein frei an der Kartoffelstaude sitzend, oft schon von weitem, gesehen und an den verlassenen Fraßstellen stets nur den Kot ganz ausgewachsener, also sicher schon verpuppter Raupen gefunden.

Als einen weiteren Grund, dem Totenkopf das Heimatsrecht in Deutschland abzusprechen, führt der Herr Verfasser des oben angezogenen Aufsatzes den Umstand an, daß die Raupen niemals von den bei uns vorkommenden Schmarotzern heimgesucht würden. Ich habe zu meinem Leidwesen mehrfach eine entgegengesetzte Erfahrung gemacht, indem statt des schönen Schwärmers der Erde eine ganze Sektion gemeiner, grauer, rotäugiger Schmeißfliegen entstieg, deren Maden die Raupe schon vor der Verwandlung zur Puppe derart aufgezehrt hatten, daß nur noch kaum erkennbare Hautreste übrig waren. Dagegen war, um dies bloß als Gegenstück anzuführen, von einigen dreißig Oleanderschwärmerraupen – also unzweifelhaften Fremdlingen –, die ich in einem Jahre in Norddeutschland fand, auch nicht eine angestochen oder mit Schmarotzereiern belegt. Fritz Wachtl in Wien hat übrigens schon 1882 aus einer Acherontiaraupe eine Schlupfwespe (Masicera pratensis) gezogen.

Nach dem Vorstehenden möchte ich meine Ansicht über die Heimat und Lebensweise von Acherontia atropos wie folgt zusammenfassen. Der Totenkopf ist ein in ganz Deutschland heimischer Schwärmer, kommt aber häufiger im Süden unseres Vaterlandes vor, weil er dort bessere Entwicklungsbedingungen findet und zuweilen wohl auch über die Alpen aus den Ländern am Mittelmeer oder aus Oesterreich, wo er z. B. bei Wien keineswegs selten ist, Zuflug erhält. Die in Norddeutschland gefundenen Raupen stammen zwar zum Teil von Weibchen, die aus Süddeutschlaud zugeflogen sind, können aber auch norddeutschen Müttern ihren Ursprung verdanken, Wenigstens schließt dies die Winterkälte in Norddeutschland ebensowenig aus, wie die auch in Süddeutschland oft recht niedrige Wintertemperatur Acherontia atropos verhindert, dort Standfalter zu sein. Der Totenkopf kommt normal jährlich nur in einer fortpflanzungsfähigen Generation, und zwar von Mai bis Juli, vor, welcher sämtliche bei uns vom Juli bis September gefundenen Raupen entstammen. Die von August bis Oktober erscheinenden Falter sind durch ungewöhnliche Wärme getriebene, für die Nachzucht verlorene Exemplare. Alles, was von der Entwicklung des Windenschwärmers bekannt ist, gilt auch für den Totenkopf. Wenn letzterer gleichfalls in der Dämmerung auf Blumen schwärmte, so würde man ihn auch bei uns in warmen Jahren an Herbstabenden überraschend häufig fangen, namentlich wenn die Feldmäuse nicht zu zahlreich sind, denn diese verzehren sicherlich eine große Menge der in der Erde liegenden Puppen. Blieben einmal unsere norddeutschen Aecker einen Herbst, Winter und Frühling über undurchwühlt, so würden wir wahrscheinlich in dem darauffolgenden Mai bis Juli den Totenkopf und den Windenschwärmer ebenso oft finden, wie dies alljährlich mit dem Ligusterschwärmer geschieht, dessen Puppen unter der Bodenkultur selten zu leiden haben.

Der Hauptgrund für den so häufigen Mißerfolg bei Ueberwinterung der in den Aeckern gefundenen Totenkopf- und Windigpuppen ist der Verlust des Erdkokons und der hohen darüber lagernden Bodenschicht. Diese Schutzmittel erhalten die ungestörten Puppen auch während der Winterkälte genügend warm und feucht; sie sind künstlich durch Ofenwärme und Besprengen mit Wasser nur unvollkommen zu ersetzen. Auch die neuerdings verwendeten sogenannten Brutapparate bringen zwar die Falter zu einer ziemlich sicheren, frühzeitigen Entwicklung, begünstigen aber nicht eine volle Ueberwinterung, wie sie für eine Weiterzucht erforderlich ist. Wer fortpflanzungsfähige Totenkopfschmetterlinge im Frühjahr erhalten will, muß die im Herbst vorher verpuppten Raupen ungestört in der Erde lassen und die betreffenden Puppenbehälter, am besten große Blumentöpfe, in einem kalten Raume überwintern.

Schließlich noch eine von mir gemachte Wahrnehmung, die ich noch nirgends erwähnt gefunden habe. Fast derselbe Laut, wenn auch schwächer, welchen der Totenkopffalter bei der Berührung hören läßt, ist auch seiner Raupe eigen. Sie giebt ihn, anscheinend mit den Freßzangen, fast stets von sich, wenn man die Staude abschneidet, an welcher das Tier bei der Auffindung sitzt. Merkwürdigerweise wiederholt sich dieser Ton später in der Gefangenschaft beim Futterwechsel nach meiner vielfachen Beobachtung niemals. B. Theinert.     



Blätter und Blüten.


Vom sächsischen Volkstrachtenfest in Dresden. (Zu dem Bilde S. 689.) Eines der schönsten Feste, die in der „Ausstellung des sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes in Dresden“ (vergl. den laufenden Jahrgang, S. 439) veranstaltet worden sind, ist das sächsische Volkstrachtenfest gewesen, das am 5. Juli stattfand und dem auch die Mitglieder des königlichen Hauses beiwohnten. Der damit verbundene Festzug offenbarte so recht, daß auch in Sachsen noch eine Fülle von Volkstrachten besteht und daß es nur der aufmerksamen Beobachtung bedarf, sie in den Landbezirken zu erkennen. Allerdings ist das Streben nach Erhaltung einzelner Trachten nicht allzugroß, und nur einzelne Kirchspiele hängen zäh an ihrer eigenartigen, von den Vätern überkommenen Kleidung. Der Zweck des Volkstrachtenfestes war ein zweifacher: es sollte in einem großen Festzuge vorführen, welche Trachten in Sachsen und den angrenzenden Gebieten, soweit sie in Hinsicht der Bevölkerung ineinander gehen, noch getragen werden, und es sollte anregen, die schöne Sitte der Eigentracht zu erhalten. Der Zug umfaßte neun einzelne Abteilungen, in denen alle fünf Stämme des Sachsenvolkes vertreten waren, alles in allem gegen 1500 Personen. Die größte Abteilung im Zuge bildeten die Wenden, die in überaus stattlicher Zahl (gegen 800 Personen) in nicht weniger als 17 Gruppen sowohl aus Sachsen wie aus den angrenzenden preußischen Gebieten erschienen waren. Unser Bild führt einzelne Typen aus dieser Gruppe vor und giebt einen annähernden Begriff von der Mannigfaltigkeit der Trachten dieses Völkchens.

Das rechte Bild in der oberen Reihe zeigt uns drei Brautjungfern aus der Hoyerswerdaer Gegend in ihrer heutigen Tracht: über das seidene Gewand schmiegt sich der weiße, schürzenartige Ueberwurf, der reich gestickt ist und mit dem weißen Ueberärmel an der Achsel und am Oberarm harmoniert. Vornehm und reich wirkt der Festschmuck aus großen Perlen und meist in Herzform geschnittenen goldigen Glasblättchen, während der dunkle Sammetkopfputz den Mädchen eine bestimmte Würde verleiht. Das Bild links zeigt die Tracht der katholischen Wendinnen aus einem Hochzeitszuge. Hier macht das ganz helle oder in abgetönten zarten Farben gehaltene Kleid mit dem dunklen Mieder und der großen Schleife aus mehrfarbigem, schwerem Seidenstoff einen festlichen Eindruck, zu dem der haubenartige Kopfputz im harmonischen Gegensatz steht, indem er mehr den schlichten, häuslichen Sinn zum Ausdruck bringt. Prächtig hebt sich die vielfach geschlungene Perlenschnur und der Münzenschmuck von Hals und Mieder ab. Zwischen beiden Bildern sind Musikanten aus Schleife bei Muskau zu sehen, die in einfacher bäuerlicher Tracht, hellem Beinkleid und kurzem dunklem Rock aus derben Stoffen, allen hervorragenden Schmuckes entbehren. Das Mittelbild der unteren Reihe zeigt wieder eine Frauentracht aus der Gegend von Schwarzkollm und Hoyerswerda: sie wird bei Hochzeiten und Taufen getragen, vorzugsweise schmücken sich aber mit ihr die Ostersängerinnen, d. h. Mädchen, die sich am Vorabend des Osterfestes auf dem grünen Dorfplatze versammeln, singend durch das Dorf gehen, indem sie vor jedem Hause einige Strophen eines geistlichen Liedes vortragen, und am anderen Morgen feierlich in die Kirche ziehen. Auffallend bei dieser Tracht ist der mit einem Sträußchen versehene Kopfputz, während der wundervolle Hals- und Miederschmuck und die weißgestickte Aermelzier an die oben beschriebene Brautjnngferntracht erinnert. Links und rechts sind Ansichten von Bauern aus der Gegend von Schleife, und zwar ist das Bildnis rechts die Tracht des Hochzeitsbitters. Der dunkle lange Rock und der mit Bändern versehene hohe Hut giebt der Gestalt die nötige Würde, während die farbige, gestickte Schärpe und der an die Brust geheftete Blumenstrauß der Tracht das Gepräge des Festlichen verleihen. Das frei hängende bunte Taschentuch deutet auf eine charakteristische Eigenart des Kirchspiels hin. Die Tracht, wie sie das andere Bild giebt, steht insofern in einem gewissen Gegensatz zu der ernsten Würde der Hochzeitsbittertracht, als sie auf heitere, freundliche Stimmung hinweist; die weiße Kleidung hat das Gepräge einer fröhlichen, festlichen Zeit und der farbige (meist grüne) Ausputz des langen Rockes erhöht noch den freundlichen Eindruck, unser Gruppenbild mit diesen verschiedenen Trachten will nur andeuten, welche Mannigfaltigkeit noch in den Wendentrachten zu finden ist und wie sich auch in Sachsen gar manche Eigenart in Sitten und Gebräuchen erhalten hat. G. Irrgang.     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0707.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)