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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Besitzes, speziell des Mählandes (friesisch Medeland), denn sonst würden diejenigen zu rasch verarmen, deren Grund und Boden in der Nähe des Strandes läge. Der Besitz besteht deshalb nur in der Grasnutzung von so viel Areal, als nach dem Kaufbrief zu einer Hofstelle gehört, und dieses Areal wird sämtlichen Gemeindemitgliedern alljährlich an einer anderen Stelle genau nach der Höhe ihres verbrieften Anspruches zugewiesen. Das hat zu einer geradezu bewunderungswürdigen Aufrechnung der Halligfluren geführt, die dem Verstande und der Gerechtigkeitsliebe der Bewohner zur höchsten Ehre gereicht.

Die Umgebung der Halligen besteht bei Flutzeit oder Hochwasser aus dem Meer, das unmittelbar an die Uferkanten herantritt, bei Hohlebbe oder Niedrigwasser aus weiten Landgefilden, den Watten, dem übriggebliebenen Fundament, auf dem vor Jahrhunderten die viele Quadratmeilen umfassenden Marschflächen sich erhoben, deren Reste wir eben in den Halligen erblicken. Teilweise bedeckt die Watten weicher grauer Schlamm oder Schlick, der feine Satz, den die Flüsse in erstaunlicher Menge unausgesetzt weit in die Nordsee tragen, wo ihn die vorherrschende Wind- und Stromrichtung den schleswig-holsteinischen Küsten zu gute kommen läßt. Ueber den festen, thonigen Untergrund oder Klaiboden lagert sich andernteils der aufgewehte Flugsand der Dünen und Seesande, doch nur in so dünner Schicht, daß auch diese Flächen als Ackerboden vorzüglich brauchbar sein würden. Es kommt nur darauf an, das amphibische Wattengebiet der Kultur zurückzugewinnen, wofür allerdings bedeutende Mittel, Arbeit und Zeit erforderlich sind, so daß einzig und allein der Staat das großartige Werk in die Hand nehmen kann, und dazu scheinen nunmehr wirklich Aussichten vorhanden zu sein. In Preußen und in Holland rüstet man sich, das von der Nordsee verschlungene Land wieder zu erobern.

Der niederländische Plan, den ich nach einem fachwissenschaftlichen Aufsatz von Ingenieur Eiselen im Jahrgang 1895 der „Deutschen Bauzeitung“ kurz erläutern will, geht dahin, zwischen der eingedeichten Insel Wieringen und dem Flecken Piaam südlich von Harlingen einen 30 km langen gewaltigen Sperrdamm durch die Zuidersee zu bauen, dessen Kosten bei neunjähriger Bauzeit nebst den auf Wieringen anzulegenden Schiffs- und Entwässerungsschleusen auf 611/2 Millionen Mark berechnet sind. Dadurch werden rund 360 000 ha oder 72 Quadratmeilen Wasserfläche von der Nordsee abgetrennt und in einen ruhigen Binnensee verwandelt, von welchem dann vier Polder, Kulturflächen, gewonnen werden sollen, deren Lage und Größe aus der beifolgenden Skizze ersichtlich sind. Ihre Gesamtfläche wird 21700, 31520, 107760 und 50850 ha betragen, zusammen 211830 ha, davon 194410 ha bebauungsfähiges, fruchtbares Land, während der Rest von 145000 ha das neue Ysselmeer bilden wird, dessen Süßwasser in Zeiten der Dürre weit in die Kanäle der anliegenden Landschaften geleitet werden kann. Das ganze Riesenunternehmen soll eine Bauzeit von 33 Jahren umfassen, wonach sich die gesamten Kosten mit Zins und Zinseszins zu 31/20/0 auf 5351/2 Millionen Mark belaufen werden, während man bei einem Durchschnittsertrag von 191/2 Millionen Mark eine dreiprozentige Verzinsung von 646 Millionen Mark zu erzielen hofft.

Die Kosten sind hier zweifellos sehr beträchtlich, weil mehrfache erschwerende Umstände das Werk verteuern: die Entschädigungen an die zahlreichen Fischerfamilien und an einzelne Kommunen, die Anlage von Schiffs- und Entwässerungskanälen, von mächtigen Pumpwerken, Schleusen und Verlängerungen der einmündenden Flüsse, der Bau des kolossalen Abschlußdammes und besonders der Umstand, daß alle Deiche in 5 bis 6 m tiefem Wasser errichtet werden müssen. Die Ausführung des großen Planes ist daher auch noch nicht völlig gesichert, doch steht zu hoffen, daß die bedeutenden Vorteile, die für den gesamten Staat daraus erwachsen würden, die finanziellen Bedenken endgültig beseitigen werden.

Wesentlich anders liegt die Sache für Preußen an der schleswig-holsteinischen Küste. Hier hat die Regierung bereits 1870 die Hamburger Hallig erworben, ihre gefährdeten Ufer mit Granitböschung versehen und 1872 eine mehr als 4 km lange Faschinenlahnung zur Verbindung mit dem Festlande angelegt, worauf durch unablässige „Grippel“-Arbeiten die Erhöhung des Schlickansatzes gefördert wurde. Ueberall nämlich, wo in gebrochener Strömung den im Seewasser aufgelösten und von Ort zu Ort getragenen feinen Schlickteilchen ein fester Halt geboten wird, setzen sich diese Teilchen an und erhöhen ganz allmählich die umgebenden Watten. Der Mensch kann den Prozeß fördern, indem er auf solchen Watten kleine Gräben, die „Grippeln“, senkrecht zur Stromrichtung zieht und ihren Thonboden auf die so entstandenen schlammigen Beete häuft. In verhältnismäßig kurzer Zeit schlicken die Grippeln wieder voll, werden wieder ausgehoben und so fort, bis das dazwischenliegende Beet über gewöhnliche Fluthöhe steigt. Schon ehe letzteres eintritt, besiedelt es sich mit dem wichtigen Queller, einer Salzwasserpflanze, die mit ihren Wurzeln die Anschlickungen bindet und zwischen ihren Zweiglein den treibenden Schlamm auffängt. Sie verschwindet, sowie sie nicht mehr vom Wasser erreicht wird, und macht solchem Gras Platz, dessen Wurzeln einen salzdurchdrängten Boden vertragen, wie wir es auf den Halligen kennengelernt haben. Das Ergebnis derartiger Bemühungen bei der Hamburger Hallig sind heute bereits 400 ha fruchtbaren Schlickbodens, der allerdings noch nicht ausgereift genug ist, um hinter Deichen einen neuen, wertvollen Marschkoog zu bilden, aber sicher dazu gelangen wird. Wer sich über diese Verhältnisse zu unterrichten wünscht, den verweise ich auf meine Monographie „Die Halligen der Nordsee“ (Stuttgart 1892), wo ich ausführlicher die gesamten Verhältnisse dargelegt habe.

Leider scheiterte in den siebziger Jahren, wo die Mittel aus der französischen Kriegsentschädigung vollauf zur Verfügung gestanden hätten, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0698.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)