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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

unermüdlich gespendeten Beiträge der sämtlichen Werkelmänner (Drehorgelmänner) Wiens verstärkt. Dazwischen sang, pfiff und schrie ein jeder, was er wollte, die Verkäufer priesen ihre Waren an, die Kinder jauchzten und tollten. An vielen Orten waren Tanzböden errichtet, Kirchtagsbäume und andere Kurzweil. Aus den besagten Gründen werden diese „Monstrekirtage“ nicht mehr abgehalten. Nichtsdestoweniger bleibt auch das Bild eines von der Großstadt nicht beeinflußten ländlichen Festes anziehend genug. Und einen solchen Kirtag wollen wir schildern.

Die Ernte ist geborgen, die Hauptarbeit gethan und Wochen vorher rüstet sich die ganze Einwohnerschaft zu dem Freudentage. Da wird gewaschen und gerieben, gescheuert und gefegt und die weibliche Einwohnerschaft späht nach jedem Stäubchen in Küche und Keller, in Stube und Stall; denn jedes einzelne Haus des Dorfes muß blinken und gleißen und geschmückt sein zum Empfang der Festgäste aus den Nachbargemeinden. Verwandte und Freunde kommen ins Haus, und da ist es Ehrensache, daß sich der Tisch „biegt“ von der Fülle des Gebotenen. Der große Kirchenplatz hat sich mittlerweile in einen Jahrmarkt verwandelt. Wie ganz anders, wie feiertäglich und bewegt sieht der alte Platz nun aus! Fast ist er nicht mehr zu erkennen in seiner wunderlichen Toilette. Wo das Auge nur hinblickt, überall Ungewohntes, Sehenswertes, Begehrenswertes für jung und alt! Schon in aller Morgenfrühe verkünden die Kirchenglocken feierlich den Beginn des Festes. Die Sonne blinkt freundlich in die Stube, wo die „Miazl“ mit klopfendem Herzen vor dem kleinen Spiegelscherben sitzt und mit der Anordnung ihrer Zöpfe nicht fertig wird. Denn heute soll der Nazz von Jakobsdorf herüberkommen. Und der Nazz, den sie bei der G’frörer Mahm’ kennengelernt hatte, war am Jakobsdorfer Kirchtag nicht nur sehr freundlich mit ihr gewesen, er war ihr auch in der Thomasnacht „erschienen“, als sie den „Bettstaffel“ getreten und dabei den unfehlbar wirkenden Spruch gebetet hatte:

„Bettstaffel, i tritt di,
Heiliger Thomas, i bitt’ Di:
Laß m’r erschein’
Den Liebsten mein!“

Kirtagsmarkt in Niederösterreich.

Darauf hatte sie sich mit dem Kopf zu Füßen gebettet und richtig war er ihr im Traum erschienen. Sie hatte es nicht anders erwartet.

Auch ihr zehnjähriges Brüderchen, der Sepp, war heute schon mit dem ersten Hahnenschrei aus dem Bette. Er fuhr in sein Höslein, rieb sich die Augen und klimperte vergnügt mit den zehn Kreuzern, die er für den „Kirta“ zum Verprassen bekommen hatte. Diese „Summe“ öffnete seiner kindlichen Phantasie Thür und Thor. Auch sonst hatte er heute allen Grund, den „Protzenbauer“ hervorzukehren; denn sein älterer Bruder, der Hiesl, war mit dem Grubner Hans zum „Hüttenburschen“ gewählt worden. Und der Hüttenbursch’ ist eigentlich neben dem Herrn Pfarrer derjenige, der den „Kirtag“ macht. Die beiden Hüttenburschen oder „Kirtagsburschen“ haben unumschränkte Vollmacht, den Kirtag beim Wirt „aufzunehmen“. Da wird alles vorher mit dem Wirte abgemacht, was er zu kochen und zu braten hat, für wie viel Personen er sich rüsten muß und in welchen Grenzen er sich mit den Speise- und Getränkepreisen zu halten hat. Die Hüttenburschen haben auch die Musikanten zu dingen, und ihrem Geschmack bleibt es überlassen, innerhalb der vorhandenen Mittel die Tanzhütte möglichst pompös auszustatten. Die Tanzhütte ist ein Holzgerüst, dessen Jnnenraum mit Laubwerk, Fahnen, Blumenguirlanden, farbigen Lampions, Papierketten ausgeschmückt ist; auch die Außenseite ist möglichst pompös verkleidet. Manchmal wird im Wirtslokale selbst oder auf dem freien Platz hinter dem Wirtshaus getanzt. Vor dem Festplatz wird der beliebte „Kirtabam“, ein hoher abgeästeter und geschälter Fichtenstamm, errichtet, der oben mit ähnlichem Flitterwerk wie der Christbaum aufgeputzt ist und an dessen Spitze irgend ein begehrenswerter Gegenstand, eine Flasche „Strohwein“, ein blumengeschmückter Schinken, oder gar ein seidenes Busentuch befestigt ist. Solch ein Gegenstand bildet dann den Inhalt der ehrgeizigen Wünsche der Dorfschönen und mancher Bursche vermißt sich mit einem feierlichen Versprechen, das Kleinod für seinen Schatz herabzuholen.

Der kleine Sepp horcht jetzt auf und ist mit einigen lustigen Sprüngen vor dem Thore draußen. Er hat den Musikanten gehört, der die Schläfer aus dem Bette bläst. Sepp ist nicht mehr der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0677.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2023)