Seite:Die Gartenlaube (1896) 0674.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Aber jetzt achten Sie doch wirklich ein wenig auf Ihre Mienen, und – bitte, bitte, bekümmern Sie sich heute so wenig als möglich um mich, sonst – müßten Sie morgen vergeblich warten.“ – Und wieder dieser innige Blick.

Er verbeugte sich und ging, während sie auf das kleine Fräulein Annie von Giersbach zulief, das eben vor der Geheimrätin einen Courknix, wie ihn der Tanzlehrer ihr eingeübt, vollführte.

„Ach, ich bin Ihrem Herrn Bruder so dankbar, daß er Papa diesen Ball für mich abgerungen hat,“ rief sie mit glückstrahlendem Lächeln Elfe entgegen, „es ist doch zu köstlich hier – und nun kommt gleich der Walzer. – Tanzen Sie auch so gern Walzer? -– Freilich, einen tüchtigen Tänzer muß ich dabei haben – es ist doch eigentlich der schwerste Tanz - kommen Sie nie aus dem Takt?“

„Nein,“ sagte Elfe und kräuselte die Lippen etwas geringschätzig, „ich tanze nun den zweiten Winter, da macht man sich um den Walzertakt keine Sorgen mehr.“

„Wir haben immer geübt,“ erzählte Annie weiter, ohne von der Herablassung Notiz zu nehmen, „Mama und ich walzten an jedem Abend um den Eßtisch und gestern mußte sogar Papa heran, während Mama den Donauwalzer dazu sang.“

„Das muß ja ein köstliches Vergnügen gewesen sein,“ meinte Elfe und sah sich etwas gelangweilt um, „aber da kommt ja Leo – nun wünsche ich, daß es ihm glückt, ein würdiger Nachfolger Ihres letzten Walzertänzers zu werden.“

„O, er tanzt gewiß noch viel besser als Papa,“ flüsterte Annie und erwiderte die Verbeugung des Herrn Referendars nun auch mit einem so nach allen Regeln ausgeführten Knix, daß dieser etwas verblüfft auf diese Bestrebungen der kleinen Dame schaute.

Er reichte ihr den Arm und sie traten in die Reihen der Tanzenden, und bald war es seiner Unterhaltungsgabe geglückt, den offiziellen Ton, den sie, erfüllt von der Feierlichkeit des ersten Balles, angeschlagen hatte, in natürliche Bahnen zu leiten.

Die Frau Geheimrätin blickte immer wieder und wieder sehr mißfällig auf das plaudernde Paar, das über der lustigen Unterhaltung ganz seine Umgebung vergaß und dessen helles Lachen zuweilen sogar bis zu ihr herüber tönte.

„Nein, dieser Junge, was hat er nur an dem Backfisch,“ sagte sie ganz ärgerlich vor sich hin, „ich glaube wirklich, er kokettiert mit dem Kinde nur, um seine Unabhängigkeit von meinem Einflüsse zu beweisen. Wie Grimms das wohl aufnehmen werden? Dora ist so empfindlich in diesem Punkte, ich fürchte wirklich, er verschlägt sich dort damit alle Aussichten. Und das nun so ruhig mit ansehen zu müssen! Ach, wie viel schwerer sind doch Söhne zu leiten als Töchter!“

„Also, wenn Sie wirklich nur noch einen Tanz über hier bleiben, dann müssen Sie mir noch eine Tour versprechen,“ bat Leo nach Beendigung des Walzers, während er seine Tänzerin in sehr, sehr langsamem Schritte zu ihrem Platz zurückführte.

„O, sehr gern,“ sagte Fräulein Annie, „das ist reizend, nun freue ich mich auch auf den nächsten Tanz! Ich dachte erst, ich machte mir nichts daraus, wenn Papa jetzt schon nach Hause ginge, das schönste ist ja doch vorbei – ich meine nämlich den Walzer,“ erklärte sie, voll Verlegenheit über ihre eigenen Worte erglühend.

„Aber wie wollen Sie das machen? Es schickt sich doch nicht, daß der Herr seine eigene Dame stehen läßt, um sich eine andere zu holen.“

„So, schickt sich das nicht? Haben Sie das auch in der Tanzstunde gelernt?“

Sie nickte ernsthaft. „Sie dürfen es auch nicht. Papa würde schelten, wenn ich die Veranlassung zu solcher Unhöflichkeit wäre.“

„So mache ich es anders. Mit dein Herrn Papa wollen wir es nicht verderben. Ich habe den Tanz noch frei und behalte ihn auch, dann kann ich mich wohl durch eine Extratour entschädigen.“

Ein herzliches Lächeln dankte ihm.

„Wie nett Sie immer sind; wirklich, so ist uns geholfen.“

Aber der Frau Geheimrätin war garnicht damit geholfen.

Leo lehnte in der Thür zum Nebensaal, sah dem Tanze zu und holte sich dann einmal nein, zweimal nach einander die kleine Giersbach zu einer Extratour. Das mußte doch auffallen! Da war ja völlig ein Gerede provociert! Was macht der alte Oberst wohl für ein Gesicht dazu, und – Grimms! Die Kommerzienrätin pflegte sonst sie immer zuerst zu begrüßen, heute war sie noch nicht heran gekommen. Was man für eine Not mit dem Jungen hat! – ach, welche Aufregungen solch ein Ball für eine Mutter mit sich bringt!

Endlich kam die Pause. Giersbachs traten alle an, um sich zu empfehlen, und Leo lehnte nun wieder an einer Säule, ohne sich um seine weiteren Verpflichtungen zu kümmern. Da plötzlich – die Geheimrätin atmete auf – schien er sich dieser zu erinnern, denn er schritt jetzt auf eine Gruppe zu, die am Ende des Saales neben einer Ottomane plaudernd stand. Ihr Mittelpunkt war Fräulein Dora Grimm, ein großes, blühendes Mädchen mit sehr voller, eleganter Figur und einem Stumpfnäschen in dem runden Gesicht, das sie so hocherhoben trug, als wollte sie damit sagen: wie schlecht es hier riecht! Sie unterhielt sich sehr lebhaft mit einem Hauptmann von flotter, schöner Erscheinung, der freilich schon im Kampfe des Lebens viel Haare hatte lassen müssen und für diesen Mangel nun durch einen schneidigen Schnurrbart, an den: er beständig drehte, die Mitwelt entschädigte.

Herr Leo Brückner trat grüßend heran. Man dankte, aber Fräulein Dora Grimm hielt das begonnene Gespräch mit dem Offizier fest und nahm keine Notiz von seiner Annäherung, ja sie ging so weit, sich auf das Sopha niederzulassen und dem Hauptmann mit einer Handbewegung den zweiten Platz anzubieten. Den interessierte aber offenbar ein anderer Kreis im Saale mehr, und nachdem er stehend das Gespräch zu Ende geführt hatte, beurlaubte er sich.

Leo war zu Seiten des Diwans getreten und wartete schweigend auf diesen Augenblick; nun jener gegangen, beugte er sich ein wenig näher und fragte mit einem etwas sehr sicheren Tone: „Und welche Tänze haben Sie für mich notiert, gnädigstes Fräulein?“

„Daß ich nicht wüßte,“ war die kühle Antwort, „ich erinnere mich nicht, darum gebeten worden zu sein.“

Er lachte, und sie wandte ihr Gesicht ganz von ihn: ab.

„Wollen Sie mir nicht gütigst Ihre Tanzkarte gestatten, ungnädigstes Fräulein?“

„Warum?“ tönte es zurück, „sie wird mit der Ihren doch wohl nicht in Einklang zu bringen sein; auf diese hat für den heutigen Abend wohl ganz und gar Fräulein von Giersbach Beschlag gelegt?“

„Aha,“ er pfiff leise durch die Zähne, „nun verstehe ich erst: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“

Eine dunkle Blutwelle flog über ihr Gesicht.

„Was heißt das nun wieder aus Deutsch?“

„Sehr einfach, meine Gnädigste: Sie sind eifersüchtig, Schönste der Schönen!“

„Sie sind unverschämt, Herr Referendar!“

„Herr Gott, es fällt nur gar nicht ein. Ich will nur das, was Sie mir verwahrt haben. Geben Sie mir schnell Ihre Karte, ich kann sie Ihnen doch nicht aus dem Gürtel ziehen; da kommt eben Dorguth an, der bettelt Ihnen, wenn Sie sich länger zieren, noch einen Tanz ab, und dann ärgern Sie sich ja wieder den ganzen Abend darüber, daß Sie ihn selbst sich so verkümmert haben.“ Herr Assessor Dorguth war näher getreten und beeilte sich, seine ergebenste Bitte um einen Tanz ihrer Berücksichtigung zu empfehlen.

Sie hatte die Karte hervorgezogen und hielt sie verdeckt in der Hand.

„Nichts mehr zu haben, Herr Kollege, bereits alles ausverkauft,“ antwortete statt ihrer Leo.

„Wirklich, gnädiges Fräulein?“ beharrte der andere. Sie zog die Schultern hoch mit einem bedauernden Lächeln, obwohl sie noch einen Augenblick vorher entschlossen war, den dreisten Usurpator zu strafen, und der Assessor nahm daraufhin seinen Rückzug. Dann aber wandte sie sich scheinbar sehr entrüstet an Leo: „Was soll denn das eigentlich heißen? Mit welchem Rechte erlauben Sie sich, über mich zu verfügen?“

„Einen Augenblick!“ erwiderte er kaltblütig, zog aus ihrer Hand die nur lose gehaltene Karte und als er darauf an drei Stellen ein L. B. eingeschrieben fand, nickte er ihr mit herausforderndem Selbstbewußtsein zu.

„Na, natürlich!“ sagte er, „und da beginnt auch gerade meine Quadrille. Warum sperren Sie sich dann erst, wenn Sie doch so gütig an mich gedacht.“ Und er ergriff ihre Hand, zog sie durch seinen Arm und ging, immer dieselbe festhaltend, durch den Saal.

Und die Frau Geheimrätin lächelte jetzt ganz beruhigt: „Dieser Leo, wie er sich seinen Platz ertrotzt! – wahrhaftig er ist unwiderstehlich, mein lieber, schöner Junge!“ (Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0674.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)