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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Schiffe über den Nordpol treiben zu lassen. Zu dem Zwecke mußte zunächst der Nachweis einer günstigen Strömung geliefert werden. Proben von Erde auf den Eisschollen an der Ostseite Grönlands, die er von seiner Durchquerung Grönlands mit heimgebracht hatte, erwiesen sich als wahrscheinlich von Nordasien stammend. Das Schiff de Longs, das vom Wrangellslande zunächst nach Neusibirien getrieben und dann gesunken war, hatte Trümmer bis nach Grönland verstreut. Daraus wurde aus eine Strömung von Nordasien über den Pol nach Grönland oder Spitzbergen zu geschlossen. An der Ostseite Grönlands und bei Spitzbergen ging die Eisbewegung meist südwärts, entsprechend der vermuteten Strömung. Hatte man also ein Schiff, das den Eispressungen widerstehen konnte, dann war das wesentlichste Erfordernis gegeben. Das Schiff „Fram“ (Vorwärts) wurde nach Nansens Angabe gebaut und zum Kapitän konnte er seinen bewährten Begleiter durch Grönland, Otto Sverdrup, gewinnen.

Die Fahrt selbst, über die von allen Tageszeitungen berichtet wurde, soll hier nur in kurzen Umrissen skizziert werden. Zunächst war es für eine Expedition, deren Dauer sich garnicht ermessen ließ, notwendig, für möglichst lange Zeit Proviant mitzunehmen. In dieser Beziehung war vollauf Genüge geschehen, denn das heimgekehrte Schiff hatte noch für drei Jahre Lebensmittel und auch noch Kohlen an Bord. Und wenn ängstlichen Gemütern die Zeit von drei Jahren, die das Schiff ausgeblieben ist, schon bedenklich erscheinen mochte wegen der sehr wichtigen Magenfrage – es hätte, ohne die Rationen verkürzen zu müssen, noch drei Jahre im Eis stecken können. Bei der Ausfahrt 1893 traf das Schiff im sibirischen Meere die günstigsten Eisverhältnisse. Norwegische Fischer fanden damals noch Mitte August auch im nördlichsten Teile des Karischen Meeres kein Eis, sogar ums Nordkap von Nowaja Semlja war noch im September das Fahrwasser frei. Daher hat sich das Schiff auf seiner Fahrt bis nahe der Lenamündung wahrscheinlich nicht so eng an die sibirische Küste zu halten gebraucht wie Nordenskiöld und eine Anzahl neuer Inseln entdecken können.

Von der Olenekmündung steuerte Nansen nun nordöstlich, bis er nahe dem 79. Grade n. Br. dichteres Eis fand, an dem er sich fest machte. Das geschah am 22. September 1893. Von nun rückte das Schiff in der Eistrift nur sehr langsam vor und brauchte etwa anderthalb Jahre, bis es sich nördlich von der Nordspitze Asiens befand, eine Entfernung, die es in einem eisfreien Meere hätte in wenigen Tagen durchsegeln können; allein das Schiff war doch schon bis nahe an den 84. Grad n. Br., also weiter als irgend eine Expedition vorher, gekommen.

————— die Route Nansens.
– – – – – der Kurs der „Fram“ nach der Trennung von Nansen.

An Bord der „Fram“ herrschte während dieser Fahrt die musterhafteste programmmäßige Ordnung. Alle Mitglieder der Expedition erfreuten sich der besten Gesundheit und es konnten wichtige wissenschaftliche Beobachtungen angestellt werden. Man unternahm Tiefseelotungen, untersuchte die Temperatur des Wassers, seinen Salzgehalt, die Bildung und Bewegung des Eises; man führte astronomische und meteorologische Beobachtungen aus, widmete den Erscheinungen des Nordlichts die gebührende Aufmerksamkeit und jeder that freudig seine Pflicht. Durch eine Windmühle, die an Bord der „Fram“ in Betrieb gesetzt wurde, gewann man die nötige Kraft zur Erzeugung des elektrischen Lichtes, das allen Erwartungen entsprach. Gefahrlos war aber die Fahrt keineswegs; denn das Eis, in dem das Schiff eingefroren war, wurde von Zeit zu Zeit unruhig, es warf sich und türmte sich in Riesenblöcken auf und preßte und drängte gegen das Fahrzeug. Am 4. und 5. Januar 1895 war die „Fram“ den stärksten Eisschraubungen ausgesetzt. Bereits schien dem Fahrzeug der Untergang zu drohen; Proviant, Segeltuchboote und die nötige Ausrüstung wurden aufs Eis geschafft, und man war bereit, auf dasselbe zu flüchten, falls das Schiff sinken sollte. Als aber das Eis sich hoch über die Schiffswände türmte, wurde das Fahrzeug von dem Eise, in dem es eingefroren war, losgerissen und langsam in die Höhe gehoben. Nicht ein bißchen war es beschädigt. „Nach dieser Erfahrung,“ schreibt Nansen, „betrachte ich die ‚Fram‘ so gut wie unbesiegbar vom Eise.“ Aus dem bisherigen Lauf des Schiffes glaubte indessen Nansen annehmen zu müssen, daß die Eistrift ihn nunmehr nicht nach Norden gegen den Pol, sondern westwärts am Pol vorbeiführen würde, und so entschloß er sich, in Begleitung von Johansen, das Schiff zu verlassen, also noch einmal, wie an der Küste Ostgrönlands, alle Brücken hinter sich abzubrechen und zu Schlitten nach dem Nordpol zu steuern.

Am 14. März 1895 teilte sich also die Gesellschaft. Die Ausrüstung Nansens und Johansens bestand aus 28 Hunden, drei Schlitten und zwei Segeltuchbooten. Die letztern waren ähnlich wie die Kajaks oder „Grönländer“ der Eskimos gestaltet. Ihr Gestell bestand aus Bambusstäben; ihr Ueberzug aus ölgetränktem Segeltuch. Etwa 20 Fuß lang, wogen die Boote nur 8 bis 10 Kilogramm. Der Hundeproviant war für 30 Tage berechnet, der Proviant für die beiden Forscher genügte für 100 Tage. Dieser Vorstoß Nansens gegen Norden ist zweifellos die kühnste That eines Polarfahrers, die wir kennen. Vorwärts ging es über bewegtes Eis, das sich in allen Richtungen aufschraubte; da galt es, sich ununterbrochen einen Weg zu bahnen und die beladenen Schlitten über die hochgetürmten Eisrücken hinwegzubringen. Am 7. April wurde die höchste Breite von 86° 14’ erreicht, und zwar bei einer Temperatur, die sich während drei Wochen auf etwa – 40° C. hielt. Von ihrem nördlichsten Lagerplatze machten die Forscher noch eine Schneeschuhtour nordwärts und überzeugten sich dabei, daß ein Vorwärtskommen unmöglich war. „Ueberall bis zum Horizont lag das Eis aufgetürmt wie eine zu Eis erstarrte Brandung.“ Nirgends wurde Land entdeckt; den Nordpol scheint ein Meer zu umspülen.

Am 8. April traten die Polarforscher ihren Rückmarsch an; sie wollten über Franz Josefland nach Spitzbergen gelangen! Südwärts nahmen die Eisspalten zu und erschwerten den Marsch. Der Proviant nahm ab und von den Hunden mußte einer nach dem andern geschlachtet werden, um als Nahrung für die Ueberlebenden zu dienen. Endlich wurde Franz Josefland erreicht und der Entschluß gefaßt, dort zu überwintern. „Wir schossen Bären zur Nahrung,“ lautet Nansens Bericht, „Walrosse für Brennmaterial, bauten eine Hütte aus Steinen, Erde und Moos und deckten als Dach Walroßfelle darüber. Den Speck benutzten wir zum Kochen, zur Beleuchtung und zum Heizen. Bärenfleisch war unsere einzige Nahrung, Bärenfell unser Bett.“ Der Winter verlief gut und bei ausgezeichneter Gesundheit traten die Mutigen die Reise nach dem noch weiten Spitzbergen an. So kamen sie ans Kap Flora, wo sie ein Lager bezogen. Am 17. Jnni dieses Jahres war Nansen mit dem Kochen der Suppe beschäftigt, als er Hundegebell vernahm. Es mußten also Leute auf dem Lande sein. Nansen machte sich auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0655.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2023)