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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

euch plaudern. Ich freue mich ordentlich darauf. Nicht wahr - ihr geht bald?“ schloß sie mit bebenden Lippen und ihre Augen wiederholten angstvoll die Frage.

„Natürlich, Lieschen, in den allernächsten Tagen. Es wird noch tüchtig zu thun geben bis dorthin. Aber mußt Du schon gehen?“ fragte sie, als Lisbeth aufstand und das Tuch um die Schultern schlang. „Mochtest Du nicht Gertrud abwarten? Sie muß bald hier sein.“

„Wir haben Besuch zum Abendbrot,“ entschuldigte sich jene, „Regierungsrat von Walden hat sich angemeldet, und Mama wird mich schon jetzt vermissen.“

„So geh, mein Kind – und ‚Walden’ sagst Du? Ist das eine neue Bekanntschaft?“

„Er arbeitet auf der Direktion unter Papa und ist erst im Frühling hierher versetzt worden. In der ersten Zeit ist er nur ganz offiziell in unserem Hause gewesen, jetzt kommt er öfter. Mir ist er nicht sympathisch, ich weiß daher auch wenig von ihm.“

„Walden – Walden - ach ja – das ist ja wohl der Regierungsrat, dessen Frau Eichberg einmal erwähnte. Er ist in der Kaltwasserheilanstalt, welche Hermine im Frühling besuchte, mit dieser dort zusammengetroffen, und sie haben dann viel miteinander musiziert, so daß er sie auch hier gleich aufsuchte. Frau Eichberg war von ihm sehr eingenommen: er soll von sehr angenehmen Umgangsformen sein und ist steinreich.“

„Ach so!“ erwiderte Lisbeth mit einer gewissen Ueberraschung. Nun wußte sie, weshalb sich der Beamte einer so großen Bevorzugung bei ihrer Mutter erfreute. Ohne ein weiteres Wort darüber nahm sie Abschied von der alten Freundin und eilte heim.

Sie kam wirklich zu spät, denn die Gäste waren bereits eingetroffen, und man wartete nur auf sie, um zu Tische zu gehen. Um den Kamin im Salon saßen Vater und Mutter, Referendar Groß und Leo in lebhafter Unterhaltung, während am anderen Ende des Gemachs Elfriede, im Schaukelstuhl ruhend, sich von einem Herrn, mit dem sie ebenfalls im muntersten Gespräch begriffen schien, langsam auf und nieder wiegen ließ. Ihr Antlitz war dabei lebhaft gerötet und ihr Mund lachte ihn an, während in ihren Augen ein Ausdruck von kühl berechneter Koketterie lag, wie Lisbeth ihn noch nie auf diesem jungen Gesicht gesehen hatte.

Er, dem dieses galt, war ein mittelgroßer, hagerer Mann, der eben durch diese schlanke Figur ein gewissermaßen jugendliches Ansehen sich bewahrt hatte. Aber das magere, blasse Gesicht, die wenigen sehr sorgfältig geordneten Haare, der schlaffe Zug um den Mund und die vielen kleinen Fältchen, welche die meistens sehr matt blickenden Augen umkränzten, führten schnell von dieser Täuschung zurück. Jetzt blickten diese Augen freilich nicht matt - ein wahres Entzücken lag darin, Entzücken und ein heißes Begehren, und er hielt es nicht für nötig, sein Empfinden zu verbergen.

In der Thür stehend, sah Lisbeth zuerst auf diese Gruppe und wieder war es ihr, als ob eine kalte Hand sich auf ihr Herz legte.

„Um Gottes willen,“ bebte es angstvoll in ihr, „nur dieses nicht – nur dieses nicht!“ – und als sie wenige Stunden später an das Bett der schlafenden Schwester trat, die mit der Unschuldsmiene eines Kindes sich in die Kissen gedrückt hatte, hauchte sie einen Kuß auf die klare Stirn und gab sich heimlich das Gelübde: ich will dich behüten, ich will dich schützen, mein Liebling, das sind keine Hände, die dich auf den richtigen Weg zum Glück führen können. - -

Im Schlafzimmer des Ehepaares herrschte in eben dieser Zeit noch lebhafte Unterhaltung. Der Herr Geheimrat hatte sich zwar zu Bett gelegt, aber die Abendzeitung, die durch den Besuch zu kurz gekommen war, lag auf dem Nachttisch und mußte jedenfalls heute noch durchgesehen werden. Vorerst hatte er die neuesten Telegramme gelesen und unterbrach seine Lektüre nun, denn daß seine Gattin sich auf die Chaiselongue hingekauert hatte und schweigend vor sich hin sann, war so gegen ihre Gewohnheit, daß es ihm die Ruhe raubte.

„Was sinnst Du, Käthchen?“

„Sag’ einmal, Erich, was hältst Du von Walden?“

„Nun, ich denke, er ist ein ganz angenehmer Gesellschafter.

Mir wäre es freilich lieber, er spielte Skat statt Klavier. Ich finde, er ist ein wenig freigebig mit dieser Kunst - aber ihr seid ja stets sehr entzückt davon. Spielt er denn gut?“

„Ausgezeichnet – völlig künstlerisch: aber das meinte ich nicht. Wie steht er amtlich da? Ist er tüchtig, leistet er etwas, und wie sind seine Personalakten? Meinst Tu, daß er Aussicht hat, Carriere zu machen?“

„Na, das ist solche Sache. Ein gescheiter Mensch ist er ja, ohne Frage. Wenn er auf seine Arbeit sich hätte stützen müssen, dann würde er es sicher zu etwas gebracht haben. Aber ohne den Willen, ohne das Streben danach macht niemand Carriere, auch nicht der klarste Kopf. Nun hat er das Malheur, sehr reich zu sein, und ist sein Leben lang in Berlin gewesen da kommt denn der Dienst in zweiter Linie, erst heißt es immer: leben, genießen! Jetzt scheint er aber wohl davon genug zu haben, sonst wäre er nicht hierher gekommen – vielleicht also, wenn Berlin ihn nicht zu müde gemacht hat, rafft er sich noch auf.“

Die Frau Geheimrätin zog etwas verdrießlich die Stirn kraus. „Den Eindruck von Ruhebedürftigkeit,“ hob sie an, „macht er gar nicht auf mich. Im Gegenteil, ich finde, er hat etwas sehr Frisches, Jugendliches in seinem Wesen. Außerdem ist er doch schon Regierungsrat - er kann sich also gar nicht so lange bei den Studien Zeit gelassen haben, denn - wie alt wird er sein? Mitte - vielleicht Ende der Dreißig.“

„O bitte, Liebe, Tu irrst, er ist fünfundvierzig Jahre.“ „So – das sieht man ihm nicht an, durchaus nicht. Auch das spricht also entschieden dagegen, daß er bisher nur dem Genusse gelebt hat. Das glaube ich auch nicht, wir Frauen haben ein sehr feines Gefühl dafür.“

„Nun, Käthchen, ich wollte ihm damit weiter nichts Böses nachsagen. Solche reiche Leute, wenn sie jung und unabhängig sind –“

„Brauchen darum doch nicht im Taumel des Genusses dahinzuleben, und davon kann hier auch gar nicht die Rede sein. Er hat seinen Dienst versehen, hat seine Kunst gepflegt - und sehr gepflegt, das alles spricht für ihn. Aber sage einmal, ist er wirklich reich?“

„Sehr reich, unzweifelhaft! Ich sah noch letzthin seine Steuerveranlagung, er ist jedenfalls der wohlhabendste unter allen hiesigen Beamten.“

„Nun, wenn das in der That alles so stimmt, dann wird er im Amt schon vorwärts kommen,“ sagte beruhigt die Frau Geheimrätin. „Ein kluger Mensch findet sich schon zurecht, und hier, wo ihn so viel weniger das äußere Leben abzieht, wird er sich, wenn man ihn nur darauf hinweist, durch seine Arbeiten schon bemerkbar machen, außerdem, sobald er erst verheiratet ist, auch durch die Repräsentation seines Hauses.“

„Verheiratet!?“ fragte ihr Mann verwundert, „hat er die Absicht, und sprach er Dir davon?“

„Aber, Erich, glaubst Du wirklich, daß Deine oder meine Gesellschaft ihm so verführerisch ist, daß er nun das vierte Mal in drei Wochen den ganzen Abend hier bei uns sitzt?“

Er sah sie starr an, und als ob ihm plötzlich ein Licht aufginge, so schnell richtete er sich in die Höhe.

„Mein Himmel, das ist mir noch gar nicht eingefallen!

Ja, wer kommt denn gleich auf solche Dinge! Und Du meinst, daß er ihr gefällt?“

„Ich habe sie noch gar nicht danach gefragt: dazu ist ja später noch Zeit.“

„Nun,“ sagte nachdenklich der Geheimrat, „er ist allerdings eine sehr gute Partie, eine bessere könnte sie, wenn wir die äußeren Verhältnisse erwägen, gar nicht machen; aber diese dürfen uns in solchem Falle doch nicht allein bestimmen. Ich will mich erst mehr um seinen inneren Menschen kümmern, ehe ich meine Meinung sage, es spricht doch auch viel dagegen, schon der große Altersunterschied: er fünfundvierzig – sie fünfundzwanzig Jahre!“

„Fünfundzwanzig!! – mein Gott, Erich, Du denkst doch nicht, daß es sich um Lisbeth handelt?“

„Nicht um Lisbeth –Frau? Also um unsere Elfe, um das siebzehnjährige Kind? Und da meinst Du, daß die Sache einer Erwägung wert wäre? Für mich nicht, das sage ich Dir, für mich ist sie abgeschlossen, und ich werde bei nächster Gelegenheit ihm das zu verstehen geben.“

„Dann würdest Du sehr unbesonnen handeln, Erich. Einmal hat er uns noch gar nicht gefragt, und dann – war ich denn älter, als ich Dir mein Jawort gab?“

„Aber, das ist doch ein gewaltiger Unterschied, Frauchen. Wir verlobten uns aus heißer, unbezwinglicher Liebe füreinander und waren beide jung genug, um es abzuwarten, bis wir das ferne Ziel des eigenen Herdes erreichten.“

„An und für sich ist das ganz das Gleiche. Ich fühlte mich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0651.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2016)