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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 39.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Geschwister.

Roman von Philipp Wengerhoff.

     (1. Fortsetzung.)

2.

Wie hübsch und behaglich es am Abend wieder bei Geheimrats aussah! Der Erkersalon, das rote Boudoir und das Speisezimmer waren erleuchtet. Die große Lampe brannte über dem Eßtische, der mit dem gemalten Tafelservice, dem glänzenden Krystall und Silber und dem geschmackvoll geordneten Bouquet aus Herbstlaub, Astern und Vogelbeeren einen gar einladenden Anblick bot, und vor den Kamin hatte man schon einen Korb mit Tannenzapfen gestellt, um im rechten Augenblick ein helles Flackerfeuer zu entzünden. Lisbeth legte noch die Servietten in eine zierliche Form und plauderte dabei mit der Schwester, die, sich im Schaukelstuhl wiegend, wieder die Zuschauerin bei der häuslichen Arbeit abgab.

„Wo steckt denn Mama eigentlich, Liesel?“

„In der Küche.“

„Aber was thut sie da nur immer? Es ist doch wirklich, als ob wir, wie den Diener, auch die Köchin geborgt hätten. Ich begreife euch nicht. Ihr beide habt wirklich entsetzlich plebejische Neigungen.“

„So unüberwindlich wäre diese Neigung wohl nicht, aber wenn eine billige Köchin ein feines Souper liefern soll, da braucht es Nachhilfe. So ist es ja mit allem andern auch, überall stehen wir eben vor der Notwendigkeit.“

Elfriede wollte etwas erwidern, da wurde die Thür geöffnet und die Frau Geheimrätin trat ein.

„Ach, Lisbeth, Du bist flink dabei gewesen, aber ich bin auch fertig. Das Aufgeben und Tranchieren mag Hanne besorgen, ich muß mich nun abkühlen. Das Herdfeuer erhitzt zu sehr, und schließlich sehen es die Gäste einem noch an, daß man selbst Kochfrau gespielt hat.“

„Wäre das so schlimm, Mama?“

Die zuckte die Achseln. „In meiner Stellung – allerdings. Umstände bestimmen die Sache. Als eines Kanzlisten Frau würde ich mich wahrscheinlich zur Frau Kollegin mit dieser Arbeit brüsten.“

„Das letztere,“ meinte Lisbeth, „wäre ja wohl nicht nötig. Aber, daß wir es so ängstlich verbergen müssen, was unser eigentlicher Frauenberuf ist, das kann ich nun auch nicht begreifen. In erster Reihe bist Du doch Hausfrau, und Papas amtliche Stellung kann doch erst in zweiter Linie in Frage kommen.“

„Wir wollen dieses Thema lassen,“ gab die Mutter zurück. „Du bist nicht so beschränkten Geistes, daß Du das Gegenteil von dem, was Du eben behauptest, nicht wüßtest. Es ist nur der Widerspruchsgeist in Dir, der sich immer gegen die gesellschaftliche Ordnung wendet. Kann denn eine Gattin diese Pflichten trennen? Glaubst Du, daß Papa überhaupt in dieses hohe Amt gekommen wäre, wenn ich nicht von Anfang an mit ganzer Kraft danach gestrebt hätte, unser äußeres Auftreten dieser Stellung entsprechend einzurichten? Die Frau

Großvaters Uhr.
Nach dem Gemälde von C. Cej.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0649.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)