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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

sein Wort wie’s meinig’! Und wer net pariert, kann abfahren! Jetzt muß einmal ein anderer Zug in d’ Arbeit kommen!“

Die Leute sahen den Mathes mit scheuen Augen an; nur Zäzil lachte.

Mathes, der den üblen Eindruck, den Purtschellers grobe Worte gemacht hatten, wieder verwischen wollte, redete freundlich zu den Leuten und reichte jedem die Hand; nur Zäzil übersah er. Und dann sagte er noch zu allen: „Gelt, Leut’, wir kommen schon gut miteinander aus! Ich verlang’ von jedem nur, was recht is … und ’s Gröbste mach ich schon allweil selber! So helfen wir halt ordentlich z’samm’, daß der Purtschellerhof dasteht, wie er’s verdient! Gelt ja, Leut’?“

„Ja ja!“ sagte der Altknecht, und die anderen nickten. „Wenn wir den richtigen Wegweiser haben, laufen wir schon mit. Auf mich kannst Dich verlassen, Mathes!“

Purtscheller schmunzelte zufrieden; die Art, wie Mathes die Leute für sich gewonnen hatte, gefiel ihm. Und als sie weiterschritten, klopfte er ihn gnädig auf die Schulter. „Brav, Mathes! Ich merk’ schon, Du packst die Sach’ beim richtigen Zipfel an! Auf Dich kann ich mich verlassen.“ Er zeigte dem neuen „Maier“ noch den jetzt leer stehenden „Sportstall“, in welchem jedoch das Messingschildchen mit dem Namen „Herzbinkerl“ schon vertauscht war gegen ein neues, das in schöner Gravierung den Namen „Lüftikus“ trug. Dann war Purtscheller der Arbeit dieses Umherwanderns müde. „Jetzt muß ich schauen, daß ich zu meine Gamsböck’ ’naufkomm,“ sagte er. „Nimm Dir halt den Altknecht und laß Dir alles zeigen, was D’ sehen willst.“

Mathes versuchte noch eine Einwendung, da es doch manches zu besprechen geben würde; aber Purtscheller war nicht mehr zu halten. „Na, na, ich hab’ kein Zeit nimmer … und ich laß Dir freie Hand in allem, was D’ machen willst! B’hüt’ Dich Gott jetzt!“

Den Kopf schüttelnd blieb Mathes allein unter der Stallthür stehen und sah dem Purtscheller-Toni, der es so eilig hatte, mit bekümmerten Blicken nach. Dann rief er den Altknecht und ließ sich von ihm durch alle Ställe und Scheunen führen.

Von Schritt zu Schritt erkannte er mit wachsender Sorge die erschreckende Verwahrlosung, in der sich die ganze Wirtschaft befand. Er sah es gleich: hier kostete es entweder schweres Geld, oder zum mindesten ein Jahr rastloser und gedoppelter Arbeit, um den bös verfahrenen Karren wieder in gutes Geleis zu bringen und an der ins Stocken geratenen Maschine dieser weitläufigen Wirtschaft alle fehlenden Räder und Schrauben wieder einzusetzen. Und das wußte er auch: daß er trotz der zehntausend Mark, die er droben auf dem Tische hatte liegen sehen, einen schweren Stand haben würde, wenn er zu Purtscheller käme, um Geld für die Wirtschaft zu verlangen. Also blieb ihm zur Hilfe nur eines: seine Arbeit!

Der Altknecht, der sich vor Mathes’ sachkundigem Urteil der verlotterten Wirtschaft zu schämen schien, wollte mit scheltenden Vorwürfen alle Schuld auf den „Herrn“ schieben. Aber das wies Mathes mit ruhigen Worten zurück. „Wenn der Herr viel abg’halten is, müssen sich d’ Ehhalten doppelt fest zur Arbeit stellen,“ sagte er. „Und so wollen wir’s halten, gelt? Und ordentlich z’samm’helfen!“

Als sie aus der Wagenremise in den Hof traten, hörten sie vom ersten Stock herunter trotz der geschlossenen Fenster die in Jähzorn schreiende Stimme Purtschellers.

„Da! Jetzt schimpft er wieder mit der Frau!“ brummte der Altknecht. „Ich sag’ Dir’s, Mathes, die arme Frau hat ein unguts Leben! Und sie wär’ doch eine, wie man’s so bald net wieder find’t! Wenn die was z’reden hätt’, möcht’s anders ausschauen auf’m Hof! Aber gar kein Recht net laßt er ihr! Gar keins!“

Schweigend blickte Mathes zu den Fenstern hinauf, und seine Lippen zitterten. Dann sagte er: „Jetzt geh’ ich heim und hol’ mein’ Kufer. Essen thu ich droben … heut’ hab’ ich ja herunt’ noch nix g’arbeit’t. Aber bis um zwei, wenn Futterzeit im Stall is, bin ich schon wieder da.“

Durch das Hofthor trat er auf die Straße – dabei sah er die Stelle an, auf welcher Karlin’ am Morgen nach der Brandnacht gestanden und zu ihm gesagt hatte: „Vergeltsgott, Mathes!“

Er brauchte anderthalb Stunden, um durch den tiefen Schnee in die Simmerau hinaufzuwaten. Zu Hause kam er gerade recht, um sich zum gedeckten Tisch setzen zu können. Der Vater und die Mutter bestürmten ihn mit Fragen, wie er die Wirtschaft im Purtschellerhof gefunden hätte. Aber er sagte nur: „No ja, es schaut net gar so schlecht aus, und ich mein’ doch, es laßt sich bald alles wieder in gute Ordnung bringen.“

Nach dem Essen halfen ihm die Mutter und Vroni den Koffer packen. Als dann Mutter Katherl für einen Augenblick die Stube verließ, fragte Vroni hastig und leise: „Hast d’ Linerl ’troffen?“

„Ja.“

„Was hast denn g’red’t mit ihr?“

„Net viel. Ein paar Wört’ln halt! … Aber ’s Kindl hat mir so viel g’fallen!“

„Geh?“

„Ja! Und ganz ihre guten, stillen Augen hat’s.“

Mutter Katherl trat wieder ein, und die beiden schwiegen. – Um die gleiche Stunde saßen drunten im Purtschellerhof die Dienstboten in der Gesindestube um den Mittagstisch. Sie schwatzten vom „neuen Maier“, und ohne sich durch die für Mathes freundliche Stimme der anderen beirren zu lassen, führte Zäzil mit spöttischen Reden das große Wort. Plötzlich verstummte sie – die Purtschellerin, mit dem Tonerl auf den Armen, war in die Stube getreten.

Verwundert musterte Karlin’ den Tisch. „Wo is denn der Mathes?“

Als sie hörte, daß Mathes heimgegangen wäre, um seinen Koffer zu holen, setzte sie sich neben den Altknecht und fragte: „Hat er alles ang’schaut? Und was sagt er denn?“

„G’sagt hat er net viel … aber was er g’sagt hat, hat Hand und Fuß g’habt! Ja, Frau! Mit dem hat der Herr ein’ guten Griff g’macht! Reden thut er net viel … aber zwei Arm’ hat er! Sakradi! Da passen S’ auf: wenn der einmal ’s Schaffen anfangt! Der bringt was vom Fleck!“

Karlin’ lächelte, drückte ihr Kind an sich und streichelte ihm das Köpfchen, als hätte sie zu ihm sagen mögen: „Schatzerl, der schafft für Dich!“

Als die Dienstboten nach beendeter Mahlzeit das Gebet sprachen, betete sie mit heller Stimme mit. Dann ging sie, um das kleine Bürschlein, dem schon die Lider zufielen, für das gewohnte Mittagsschläfchen zur Ruhe zu bringen. Vom Hausflur rief sie der Magd in der Küche zu: „Morgen untertags, mein’ ich, wird der Herr wieder heimkommen. Gelt, schau, daß ein gut’s Stückl Wildbret für ihn bei der Hand is, damit er sein’ Sach’ gleich kriegt!“ Und leichteren Schrittes als sonst stieg sie über die Treppe hinauf.

Wenige Minuten vor zwei Uhr brachte Mathes atemlos seinen Koffer auf einem kleinen Schlitten in den Hof gezogen. Er war schon im Arbeitsgewand und hatte sich abgehetzt, um die Futterzeit nicht zu versäumen. Den Koffer, für dessen Bergung am Abend noch Zeit war, ließ er auf dem Schlitten stehen und eilte gleich in den Stall.

Als Karlin’ im Lauf des Nachmittags – sie hatte in der Waschküche etwas nachzusehen – herunterkam und über den Hof ging, vernahm sie seine Stimme. Da trat sie unter die Stallthür und hörte, wie er die Leute mahnte, beim Auslegen des Futters nicht so viel zu verstreuen. Und die Kühe, meinte er, müßten am Barren näher aneinandergerückt werden, damit sie durch Wühlen und Schleudern nicht so viel Futter verderben könnten. Diese Umstellung begann er auch gleich ins Werk zu setzen. Karlin’ sah dieses emsige Schaffen eine Weile mit an, und als seine Augen einmal für einen flüchtigen Blick den ihren begegneten, nickte sie ihm lächelnd zu. Dann kehrte sie ins Haus zurück. Vor der Thüre blieb sie sinnend stehen, atmete auf und strich die losen Härchen hinters Ohr.

Droben in der Stube setzte sie sich zur Arbeit; vor zwei Tagen war große Wäsche gewesen, und da waren nun all diese hundert Linnenstücke durchzusehen und die schadhaft gewordenen auszubessern. Karlin’ arbeitete bis zum Abend und dann bei der Lampe noch bis in die späte Nacht hinein. Sie hatte noch immer das Ihre gethan und in dem beschränkten Wirkungskreis, den Purtscheller ihr als Hausfrau zugestand, nie das geringste versäumt – aber so flink und eifrig wie heute war ihr die Arbeit noch selten von der Hand gegangen.

Alle anderen im Hause lagen um neun Uhr abends schon in den Federn. Nur Mathes saß in seiner dunklen Kammer noch auf, rauchte sein Pfeiflein, und während er die Arbeit des kommenden Tages überlegte, blickte er auf den Schnee hinaus, über den aus einem Fenster des oberen Stockes die rötliche Helle der Lampe fiel. –

(Fortsetzung folgt.)


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