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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Zehn Jahre später bewohnte der Dichter die nach seinem Geschmack eingerichtete gartenumhegte Villa am Fuße der Wartburg, die er sich vom Ertrag seiner Schriften hatte erbauen können. Die besten seiner poetischen Werke, die „Ollen Kamellen“ bis auf den letzten Band von „Ut mine Stromtid“, waren in diesem Jahrzehnt unter seiner fleißigen Hand hervorgegangen, und in ihnen hatten all die scheinbar „verlorenen“ Jahre seiner Festungs- und „Strom-“ und Schulmeisterszeit sich als unerschöpflicher Gewinn für seine Kunst erwiesen, das Volk seiner Heimat und sein eigenes Erleben dichterisch darzustellen im verklärenden Elemente seines herzerfreuenden und herzbewegenden Humors. Und seine Lust, auf die Schnurren und Schwänke zu lauschen, die sich das plattdeutsche Volk der Heimat des Abends im „Kruge“ erzählt, seine Neigung, über dem geselligen Verkehr mit Leuten jeden Standes seine Zeit zu „verlieren“, und der seinem vorherigen Geschick so verhängnisvolle Hang, in froher Männer Runde bei heiterem Gespräche hinterm Becher aufzusitzen – ein Meister lustiger Unterhaltung, sie traten nunmehr für alle Welt in eine andere Beleuchtung. Sie waren die naiven Aeußerungen desselben Triebes, der ihn jetzt zum weltberühmten Meister in der Kunst werden ließ, als Dichter wahrhaft volkstümlich und mit einem Humor zu erzählen, der, von der Liebe zum Volk erzeugt, des Wegs zum Herzen des Volkes sicher war und immerdar auch bleiben wird!


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (14. Fortsetzung.)

12.

Ein Morgen von schneidender Kälte. Die Raben waren aus den Wäldern bis in die Dorfgärten geflogen, und mit aufgeblähtem Gefieder saßen die Meisen und Sperlinge frierend in den verschneiten Hecken. Laut krachte der Schnee bei jedem Tritt, und die Berge, in deren gefrorener Schneedecke sich matt die Farbe des Himmels spiegelte, hatten eisblauen Schimmer.

Es war gegen neun Uhr morgens, als Mathes in den Vorgarten des Purtschellerhofes trat. Er trug die Soldatenhose, die blaue Mütze und seine Sonntagsjoppe mit grüner Seidenkrawatte. Sorgfältig klopfte er den Schnee fort, der ihm bis zu den Knieen herauf in Klumpen an den Beinkleidern hing, und kratzte ihn mit einem Reis von den Schuhen; denn in der warmen Stube wäre der Schnee geschmolzen und hätte die Dielen beschmutzt, und so etwas ist immer ein Kummer für eine junge Frau, welche auf Sauberkeit in ihrem Hause hält.

Mathes sah frischer und jugendlicher aus als sonst; der mühsame Niederstieg über den verschneiten Berghang hatte sein Gesicht gerötet. Als er die Hausthür öffnete, zitterte seine Hand. In der Küche sah er die Magd beim Herd beschäftigt.

„Is der Herr Purtscheller daheim?“ fragte er.

„Ja. Geh nur ’nauf! Er is schon droben!“

Während er langsam und auf den Fußspitzen die weißgescheuerte Treppe hinaufstieg, pochte sein Herz mit hörbaren Schlägen. Da vernahm er aus der Wohnstube das gedämpfte Kichern und Kreischen einer Mädchenstimme. Die Thür wurde aufgerissen und mit zerrauften Haaren kam Zäzil über die Schwelle gestolpert. Eine Münze fiel ihr aus der Hand und rollte klingend über den Treppenflur bis vor Mathes’ Füße – ein Goldstück! Er wollte sich bücken, um es aufzuheben. Aber Zäzil kam ihm zuvor und raffte kichernd die Münze vom Boden auf. Mit verwunderten Augen sah sie den Burschen an, als wollte sie sagen: „Was willst denn Du da?“ … und die zerzausten Haare glättend, huschte sie mit leisem Lachen über die Treppe hinunter. Mathes sah ihr nach, und alle Farbe schwand aus seinem Gesicht. Eine Weile stand er, als käme er nicht mit den Gedanken zurecht, die sich ihm aufdrängten; dann ging er zögernd zur Thür und pochte.

„Herein!“

Er trat in die Stube und atmete auf, als er den Hausherrn allein fand.

Purtscheller saß in Hemdärmeln hinter dem Tisch, mit der qualmenden Cigarre. Neben sich in der Fensternische hatte er eine Flasche Tiroler stehen und einen Teller mit aufgeschnittenem Schinken. Der Tisch war mit Banknoten und Goldstücken bedeckt, Welche zu kleinen Stößen geordnet waren.

„Mathes? Du? Ah, da schau her!“ Purtscheller lehnte sich behaglich zurück und lachte. „Hast Dir mein’ Antrag endlich überlegt? No freilich! Was der Purtscheller ei’m antragt, schiebt man net von der Hand! Also, grad’ ’raus g’sagt … willst einstehen bei mir?“

„Ja, Herr Purtscheller … wenn S’ mich brauchen können!“

„Brauchen! Was, brauchen!“ Purtscheller blies eine Rauchwolke vor sich hin. „Einer wie ich, der alle haben kann, steht am End’ auf ein’ einzigen net an! Aber ich weiß, was ich krieg’ an Dir, drum sag’ ich Dir Grüßgott im Haus und im Dienst … und die Sach’ is abg’macht!“ Freundlich winkte er mit der Hand über den Tisch. „G’legen kommst mir auch g’rad! Ich hab’ ein’ harten Winter vor mir und muß viel außer Haus sein … da is mir’s lieb, daß ich ein’ daheim weiß, auf den Verlaß is.“

„Wollen S’ die Arbeit im Holzschlag droben überwachen?“

„Was?“ Purtscheller lachte, als hätte ein Kind gesprochen. „Ah na! Den Schmarren da droben hab’ ich verkauft bei Butz und Stingel, wie er liegt. Und da weiß ich mir was Besseres, als in der Kälten da droben stehn! Aber Plag’ werd’ ich g’nug haben den Winter durch! Schau nur an: jetzt nimmt die Zimmerstutzen-Fexerei in der ganzen Gegend überhand, alle paar Tag’ is wo ein Schießen … und natürlich, wegbleiben kann man net, wenn man Purtscheller heißt! Und ein Winter wie der heurig’, der treibt’s Hochwild in ganze Rudel auf d’ Felder ’runter … da muß natürlich fleißig abg’schossen werden in der ganzen Gegend, wenn uns der Wildschaden net übern Kopf wachsen soll … und da geht die halbe Woch’ mit die Jagden drauf. Und gestern in der Stadt drin hab’ ich mir ein’ neuen Traber ’kauft … morgen kommt er, und den tauf’ ich auf den Namen ‚Lüftikus‘!“ Purtscheller lachte wieder. „Weißt, gleich gestern beim ersten Versuchsfahren wär’ er durchgangen, wenn net der Herr Purtscheller am Bockschlitten sitzt. Gegen mich kommt er net auf! Ein närrischer Kerl … aber ich g’wöhn’ ihm seine Mucken ab! Bei mir lernt er was! Mein ‚Herzbinkerl‘ selig is g’wiß ein feiner Traber g’wesen … aber aus’m ‚Lüftikus‘ trau ich mir noch was Bessers ’rausz’bringen! Freilich, den halben Winter wird’s kosten! Aber spitzen sollen s’, die g’wissen Herrn, beim Frühjahrsrennen … was mein ‚Lüftikus‘ für Arbeit macht …. Geh, so setz Dich doch ein bißl! Sonst trägst mir am End’ den Frieden aus’m Haus, wie ’s Sprichwort sagt!“

„Auf mich paßt’s net!“ erwiderte Mathes ernst. „Was an mir liegt, will ich beitragen dazu, daß der Frieden daheim is in Ihrem Haus.“ In einiger Entfernung vom Tische setzte er sich auf die Wandbank und nahm die Mütze zwischen die Kniee.

„No also, wann kannst denn einstehn?“

„Wenn’s Ihnen recht is, heut’ noch! Aber ein’ Fürhalt muß ich machen.“

„Oho?“

„Im Frühjahr, wenn der Berg wieder ’s Laufen anfangt, müssen S’ mich frei geben.“

„Für ganz?“ fragte Purtscheller enttäuscht.

„So lang’ mich der Vater halt braucht.“

„No ja, meinetwegen. Auf die paar Tag kommt’s mir net an! Lang’ dauert’s ja net im Frühjahr, wenn’s Wasser einmal stark wird – da wird bald alles drunten liegen im Bach.“ Purtscheller steckte eine frische Cigarre in Brand. „Sei g’scheit und red’ dem alten Trotzkopf zu, daß er ’runterzieht, eh’ der Winter ausgeht. Sonst passiert noch ein Unglück!“

Mathes schwieg.

„Also, und so wären wir in der Ordnung. Magst gleich ein’ Vorschuß haben? … Schau her, Geld liegt da wie Heu!“

„Z’erst will ich arbeiten. Mit’m Lohn hat’s Zeit, wenn ’s halbe Jahr aus ist.“

„Gut! Is mir auch recht! Die gleich ’s Geld allweil sehen wollen, die g’fallen mir eh’ net zum besten!“

Mathes erhob sich. „So weisen S’ mich halt gleich in d’ Arbeit ein!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0643.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)