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nur selten und ausnahmsweise geboten. Die überaus wichtige Aufgabe, die sich die Berliner „Urania“ gestellt hat, besteht nun in dem Bestreben, diesem Uebelstand abzuhelfen und die Ergebnisse der modernen naturwissenschaftlichen Forschung durch Experiment, Vortrag und scenische Darstellung lebhaft und sinnfällig dem Publikum vor die Augen zu führen. In diesem Sinne war es ein geradezu genialer Griff des Direktors der „Urania“, Wilhelm Meyer, die Bühne auch für die Ausbreitung naturwissenschaftlicher Bildung nutzbar zu machen. Wir verdanken ihm, wenn der Ausdruck erlaubt ist, die Erfindung des naturwissenschaftlichen Theaters.

Die neue Berliner „Urania“ enthält ein höchst geschmackvoll eingerichtetes Theater, das über 760 Plätze verfügt und mit allem Komfort ausgestattet ist, den der verwöhnte Bewohner der Reichshauptstadt verlangt; Foyer, Wandelgang – alles ist hier vorhanden. Auf der verhältnismäßig sehr geräumigen Bühne werden dem Zuschauer unter Verwendung der vollendetsten Mittel moderner Bühnentechnik die großen sich ewig wiederholenden Schauspiele vorgeführt, welche die Körper im Weltenraum und auf unserer Erde vollbringen. Was einst Jules Verne in Form des Romanes gab, giebt die „Urania“ in dramatischer Form. Die Phantasie wird also aufs lebhafteste durch die Dekoration, durch Wandelbilder und durch Beleuchtungsesfekte unterstützt. Der Zuschauer folgt einer Reise durch den Sternenraum; man zeigt ihm die interessantesten Gegenden unseres vielzerklüfteten Nachbars, des Mondes; oder man läßt vor seinem Auge sich die wechselvollen Vorgänge abrollen, die sich während einer Sonnenfinsternis vollziehen. In dem neuesten naturwissenschaftlichen Schauspiel, mit dem das Institut eröffnet wurde, führte man eine große Reihe prächtiger Ansichten von den herrlichen Gegenden vor, durch welche die neue St. Gotthardbahn jetzt ihren Weg nimmt (vergl. die obige Abbildung).

Bei naturwissenschaftlichen Vorträgen war man bisher gewohnt, den Vortragenden in mehr oder minder lehrhaftem Ton seinen Stoff entwickeln zu hören. In der „Urania“ spricht ein Bühnenkünstler den vom Direktor, oder einem anderen in volkstümlicher Darstellungsweise erfahrenen Schriftsteller verfaßten Text, der sich fast immer in anmutigen, gewandten, ja zuweilen poetischen Formen bewegt. Die Vorgänge auf der Bühne geben dazu die Illustration.

Um die seltsame Beleuchtung während einer Sonnenfinsternis, um den drohenden Anblick einer vom Gewitter überzogenen Landschaft natnrwahr hervorrufen zu können, bedarf man besonderer Einrichtungen. Noch der alte Werner Siemens hat bei der Begründung der alten „Urania“ durch Rat und That hier mitgewirkt. Durch 900 Glühlampen von blauer, roter und weißer Färbung, die durch ein höchst geistvoll erdachtes Schaltungssystem in alle möglichen Zusammenstellungen gebracht werden und auch in beliebigen Helligkeitsgraden wirken können, ist es möglich geworden, jede natürliche Farbenabstufung wiederzugeben.

Die naturwissenschaftlichen Schauspiele wechseln in der „Urania“ mit Experimentalvorträgen ab, die von den besten Demonstrationsapparaten unterstützt werden und zumeist in ganz volkstümlicher Weise die Zuhörer über die neuesten Fortschritte der Wissenschaft unterrichten. Die Vorträge über die Roentgen-Strahlen und über die Hertzschen und Teslaschen Versuche haben z.B. auf das Publikum der Reichshauptstadt wie die Premiere eines berühmten Dramatikers oder das erste Auftreten einer Diva gewirkt. Man fühlt aus diesem Interesse in der That den Herzschlag einer neuen Zeit heraus.

Das „Theater“ bildet aber nur eins der vielfachen Mittel, dem Publikum durch Anschauung naturwissenschaftlichen Unterricht zu erteilen. In sieben geräumigen Sälen sind interessante, zum Versuche fertige Apparate, Sammlungen, Modelle, Zeichnungen u. dergl. ausgestellt. Jede Versuchszusammenstellung ist aufs genaueste vorbereitet, und der Besucher vermag durch einen Druck auf einen Knopf das Naturschauspiel selbständig hervorzurufen. Eine kurze, klargefaßte Beschreibung klärt zudem über die Bedeutung des Vorganges aus.

Unser Künstler hat in seinen Bildern aus den verschiedenen Sälen eine Reihe solcher Selbstversuche festgehalten. Man erhält durch sie Augenblicksbilder, die direkt dem Leben abgelauscht sind.

Man betrachte z.B. die Scene aus dem Saal für Astronomie und Geophysik auf S. 635. Es wölbt sich über den Raum die mehrere Meter im Durchmesser umfassende Halbkugel des nördlichen Sternhimmels. Genau der „Sterngröße“ entsprechend leuchten gold auf blau in naturgetreuer Form die bekannten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0634.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)