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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ich Dir ein solches Gerede ernsthaft übelnehmen. Es ist wirklich hohe Zeit, das; man Dich zum Mitanfassen bringt. Wie soll ich es denn sonst machen? Unsere Position in der Gesellschaft verlangt einen gewissen Aufwand, Papas amtliche Stellung eine derselben entsprechende Repräsentation.“

„Provinzial-Steuer-Direktor – Geheimer Oberfinanzrat,“ unterbrach sie die junge Dame mit leicht maskiertem Gähnen.

„Nun ja,“ sagte die Mutter, „mithin als Vorstand einer hohen Behörde eine der ersten Spitzen des Beamtentums und der gesellschaftlichen Kreise dieser Stadt. Man sagt immer, ohne Vermögen sei solche Stellung nicht auszufüllen. Nun – wir geben den Gegenbeweis, dafür müssen wir uns freilich im Hause einrichten.“

Fräulein Elfriede hatte sich langsam erhoben und war der Mutter in das anstoßende Zimmer gefolgt. Dort ergriff sie lässig eine Vase mit künstlichen Blumen und begann, die in Unordnung geratenen großen Mohn und Sonnenblumen wieder zur schönen Wirkung zu ordnen. Dabei sagte sie rückwärts gewendet:

„Lisbeth sagt immer, Du gehst zu weit mit Deiner Hausfrauentugend, Mama, Du gäbest zu viel aufs Aeußere, man könnte es sonst viel behaglicher haben.“

„Ach, Lisbeth,“ meinte die Mutter zurück, mit einer leicht hörbaren Geringschätzung im Ton, „die hat eben gar kein Standesbewußtsein. Bei ihr habe ich’s von Anfang an dadurch versehen, das; ich sie ihren Umgang nach eigenem Belieben wählen ließ. Bei Dir habe ich’s klüger angefangen und Du bist gewiß froh darüber, das; alles einen seinen und vornehmen Anstrich in unserem Hause hat. Nicht wahr, Du möchtest es nicht anders haben?“

„Nein, Mama, ich könnte mir meine Umgebung auch gar nicht anders denken. Aber das müßte sich doch auch vereinigen lassen mit einem bequemen und behaglichen Leben für die Hausfrau.“

„O gewiß,“ lächelte die-Mutter, „Du mußt nur dazu klüger wählen, als ich gewählt habe.“

„Was heißt das?“

„Sehr einfach – Du mußt einen reichen Mann heiraten.“

Ein Zug, der gar nicht zu diesem kindlichen Gesicht paßte, erschien plötzlich darauf. „Das versteht sich für mich von selbst.“

„Wie gut,“ meinte bedeutsam die Frau Geheimrätin, „das; es Dir von: Schicksal so leicht gemacht wird, den Traum zur Wirklichkeit werden zu lassen.“

Aus dem Saal, in dem sie bis jetzt gearbeitet hatte, trat nun Lisbeth, die Bohnerbürste und das Staubtuch noch in der Hand.

„Eben kommt Papa,“ sagte sie, „möchtest Du ihm nicht beim Frühstück Gesellschaft leisten, Mama? Was dann noch zu thun bleibt, besorge ich schon.“

„Gewiß, Lisbeth,“ antwortete die Mutter, streifte schnell die Handschuhe, die sie bei der Arbeit an den Händen getragen hatte, ab, zog die Wirtschaftsschürze aus und ging mit freundlichem Lächeln ihrem Gatten entgegen, der, ins Zimmer tretend, den Seinen liebevoll zunickte.

„Na, Kleine, wie lange haben wir denn heute wieder in den Federn gelegen?“ fragte er sein Töchterchen, das von der kleinen Arbeit schon längst wieder im Lehnstuhl ausruhte. Sie sprang auf, ihm entgegen; er zog sie einen Augenblick zu sich heran, drückte ihr Köpfchen an seine Brust und wandte sich dann zu Lisbeth:

„Ich habe Dir da eine Arbeit in Dein Zimmer gelegt, wir sprechen hernach noch darüber. – Und jetzt mein Frühstück, bitte!

Er gab seiner Frau den Arm und trat mit ihr und Elfriede in das benachbarte Speisezimmer, wo ein zierlich gedeckter Tisch sie erwartete. Wie alltäglich sorgte die gute Hausmutter nun für die kleinen Bedürfnisse ihres Gatten beim Essen und saß dann, mit einer Arbeit in der Hand, behaglich an seiner Seite.

„Höre einmal, Frauchen,“ begann der Geheimrat, während er sein erstes Ei aufschlug, „ich möchte Dir heute Schmidt erst um ein Uhr herauf schicken. Es ist so viel zu thun, Stöße von Akten liegen ungeheftet, es geht kaum anders. Schließlich gehört der Bote doch zuerst ins Bureau.“

„Liebster Mann, das ist unmöglich – ich wollte Dich gerade bitten, daß Schmidt vor zwölf Uhr herauf kommt. Wenn es sich nur um das Heften von Akten handelt, kann er sie ja herauf bringen und im Dienerzimmer daran arbeiten, nachmittags hilft ihm dann Lisbeth. Wir haben heute die Visite des neuen Obersten vom Kürassierregiment zu erwarten – Du willst doch nicht, daß Hanne ihnen aufmacht?“

„Nein,“ sagte kurz der Herr Geheime Oberfinanzrat, „dann muß es sein. Aber woher weißt Du es so bestimmt, daß sie gerade heute kommen?“

„Ich sprach gestern im Theater die Frau Rittmeister Fromm. Sie erzählte, daß Giersbachs mit ihren Besuchen beim Militär fertig seien und heute mit denen beim Civil beginnen.

Da ist es bald ausgerechnet, daß sie um halb ein Uhr etwa hier sind. Sie fahren natürlich zuerst zum Oberpräsidenten, die Excellenz nimmt nie an, dann zum Regierungspräsidenten, da sind die Damen noch verreist, dann also zu uns.“

„Ja, aber warum willst Du sie denn annehmen, wenn es so gegen die Gepflogenheit ist?“

„Ich habe es mir überlegt, Erich, es paßt nach vielen Seiten hin besser, und ich denke, ich darf es mir erlauben, auch einmal den Ton anzugeben.“

Ihr Mann sah sie fragend an.

„Es gefällt mir gar nicht,“ fuhr sie fort, „daß man bei der ersten Visite nicht angenommen wird. Wenigstens wir Spitzen untereinander sollten endlich von dieser Sitte absehen. Es ist doch nötig, daß man gleich etwas Fühlung miteinander bekommt, und nehmen wir sie nicht an, so können sie es doch auch nicht gut – so gehen Wochen hin, ehe man den neuen Kommandeur des Regiments kennenlernt. Und dann noch eins: Frau von Giersbach müßte doch, wenn eine Einladung von uns an sie kommt, abermals einen Besuch hier machen kann ich wissen, ob das für uns so paßt?

Vielleicht ist Schmidt nicht da, oder die Zimmer sind nicht geheizt und erleuchtet und dann macht sich unsere neue Saloneinrichtung am Tage so viel schöner. Oeffne nun die Flügelthüren, Lisbeth: nicht wahr, Erich, es ist wunderschön bei uns, und wer so aus der Mietwohnung kommt, dem imponiert das immer mächtig.“

„Na, dann will ich Dir also den Schmidt schicken, Käthchen.“

„Kinder,“ wandte sich die Mutter an die beiden Mädchen, „macht schnell Toilette! – Elfchen, Du ziehst das weiße Kleid an.“

„Wo ist denn Leo?“ fragte der Vater im Gehen, „ich habe den Jungen seit gestern mittag nicht zu Gesicht bekommen.“

„Doch wohl in seinem Zimmer,“ kam die Frau Geheimrätin der Antwort ihrer Töchter zuvor. „Als ich um sieben Uhr ihm den Kaffee hinein brachte, saß er schon bei den Büchern.“

„Du, Liesel,“ flüsterte Elfe der Schwester zu, „als ich vor einer Stunde hier im Vorsaal die Ehre einer Begegnung mit ihm hatte, kehrte er schon von einem Spaziergange heim.“

Lisbeth seufzte ein wenig, ging über den Flur nach ihres Bruders Zimmer, und als dann auf ihr Klopfen kein Ruf ertönte, öffnete sie die Thür und schaute hinein.

„Natürlich, wieder fort,“ sagte sie leise und sorgenvoll vor sich hin, „nun frühstückt er wieder auswärts, kommt mit unfreiem Kopf nach Hause und hat später das Mittagsschläfchen gerade beendet, wenn er es an der Zeit findet, zum Abendschoppen auszugehen. Wie soll das nur werden? Ob ich’s nicht doch Papa sage – es wäre doch nur zu seinem Besten.“

Sie stand noch in unruhigem Sinnen, als die Mutter sich ihr näherte.

„Du bist’s, Lisbeth? – Sage nur Papa nichts davon, daß Leo fortgegangen ist. Er hatte eine notwendige Besorgung und –“

„Mama, Du solltest Leos Faulheit wirklich nicht immer beschönigen. Es wäre recht gut, wenn Papa ihm einmal ordentlich den Kopf wüsche. In wenigen Wochen soll er nach Berlin zum Examen wie kann das enden, wenn er diese Zeit so wenig benutzt!“

„Ich begreife Dich nicht! Arbeitet er noch nicht genug?

Immer kann doch solch’ ein junger Mensch nicht bei den Büchern sitzen. Er ist außerdem so gescheit, so vorzüglich beanlagt und Papas Sohn, der wird doch wohl das Examen machen, auch ohne daß er sich krank studiert. Mache mir ja zu Papa nicht solche Bemerkungen, er kann es weniger ermessen, wie ungerecht Dein Urteil ist, und macht sich dann unnütze Sorgen.“

Es räusperte sich jemand auf dem Küchenvorplatz, die Frau Geheimrätin wandte sich schnell nach vorn. Ein älterer Mann stand in ehrerbietiger Haltung vor ihr und sah sie fragend an: der Herr Geheimrat hätte gemeint, er solle heute auch diese Stunden im Bureau arbeiten ob die gnädige Frau damit einverstanden sei.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0630.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2021)