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Hilfe hohler Vogelknochen. Der Indianer hält den mit einer Handhabe versehenen Teller in der rechten Hand, während er das Niopopulver durch die Vogelknochen, die er in die Nasenlöcher eingesetzt hat, einzieht. In ähnlicher Weise berauschen sich durch Schnupfen narkotischer Kräuter die Makusi, Omaguas, Muras, Maukas und Tecunas in den Gebieten des Orinoco und Amazonenstromes. Sie verfallen dabei in einen erregten, an Raserei grenzenden Zustand, der mehrere Stunden anhält und mit Ermattung oder voller Betäubung endigt.

In Europa wird gegenwärtig fast ausschließlich Tabak geschnupft. Es wird zwar behauptet, daß die Spanier diese Sitte von den Indianern Südamerikas gelernt hätten, aber diese Behauptung stützt sich keineswegs auf überzeugende Beweise; mit mehr Recht darf man annehmen, daß die Gewohnheit des Tabakschnupfens in Europa selbständig ausgebildet wurde. In der alten Welt schnupfte man seit uralten Zeiten, allerdings nicht des Genusses halber, sondern zu Heilzwecken. Den Aerzten des Altertums galt das Niesen als ein Zeichen der Gesundheit und sie verordneten darum den Kranken verschiedene Niespulver, die aus allerlei scharfen einheimischen Kräutern bereitet wurden. Die Nieswurz verdankt ja geradezu dieser Verwendung ihren Namen. Die Tabakpflanze wurde zunächst als ein heilsames Kraut, als eine neue Medizin, nach Europa gebracht. Mit dem neuen Mittel, das vielfach auch indisches Bilsenkraut genannt wurde, kurierte man flott alle möglichen Leiden und verfiel auch bald auf den Gedanken, es als Schnupfpulver zu verwenden. Zu einer besonderen Berühmtheit gelangte es um die Mitte des 16. Jahrhunderts durch folgenden Vorfall. König Franz II. von Frankreich litt oft an sehr heftigen Kopfschmerzen, gegen die alle angewandten Mittel nichts gefruchtet hatten. Auf den Vorschlag seiner Mutter, Katharina von Medici, wurden die Leibärzte bewogen, einen Versuch mit gepulverten Tabakblättern zu machen. Der König schnupfte, die Hofleute ahmten es nach und so kam das Tabakschnupfen am französischen Hofe in Gebrauch. Schließlich verdrängte der Tabak fast gänzlich alle einheimischen Schnupfmittel. Nur in der Volksmedizin haben sich hier und dort die Nies- und Schnupfpulver erhalten. Eine gewisse Berühmtheit besitzt z. B. der Schneeberger Schnupftabak, der aus aromatischen Kräutern in Schneeberg im Sächsischen Erzgebirge bereitet wird.

Die alten Aerzte begnügten sich jedoch keineswegs mit Kräutern, die Niesreiz erzeugen. Sie verordneten auch, um schmerzhafte Leiden zu lindern, Pulver aus einheimischen Giftkräutern, die narkotische oder betäubende Stoffe enthielten. Sie verfuhren dabei ähnlich wie die heutigen Aerzte, die z. B. Cocaïnpulver in die Nase einblasen oder schnupfen lassen. Mit jenen Pulvern aus Giftkräutern wurde nun in früheren Zeiten ein sträflicher Unfug getrieben. Manche von ihnen erzeugten ähnlich wie das südamerikanische Niopopulver Aufregung, Raserei, die mit Hallucinationen verbunden war, und zuletzt auch Bewußtlosigkeit oder schwere Vergiftung. Solche Pulver verwendete man auch gern zu Zaubereien. Namentlich in Frankreich waren sie unter den Namen poudres sorcières, Hexenpulver, bekannt. Zur Zeit der Hexenepidemien wurden sie gleich den Hexensalben, welche dieselben Giftstoffe enthielten, von den nervös erkrankten Hexen (vgl. „Gartenlaube“, Jahrg. 1895, S. 312) benutzt, die sich damit leichter in den Zustand der Verzückung versetzten. Mit diesen Pulvern soll auch, wenn die Mitteilungen alter Schriftsteller nicht auf Irrtum beruhen, ein verbrecherischer Mißbrauch zum Betäuben von Personen getrieben worden sein. Man beschuldigte namentlich die Zigeuner, daß sie solche Pulver herstellten und verwendeten. Dem Verbrecher kam hier der Umstand zu Nutzen, daß sein Opfer in der Meinung, ein Heil- oder Stärkungsmittel zu benutzen, größere Mengen des Pulvers verschnupfte.

Dank der fortschreitenden Aufklärung sind heutzutage derartige Vergiftungen und Betäubungen geradezu unmöglich geworden, von dem Arzt würden sie als solche auch sofort erkannt werden. Daß der Schnupftabak, wie andere beißende Pulver, von Verbrechern ihrem Opfer in die Augen gestreut wird, um dasselbe zu blenden und vorübergehend widerstandsunfähig zu machen, ist ein bekannter „Kunstgriff“, den wir nebenbei erwähnen. Wir möchten uns aber zum Schluß noch gegen das Schnupfen verschiedener scharfer Kräuter, wie es hier und dort gegen Augenleiden im Volke üblich ist, aussprechen. Es nützt in den seltensten Fällen, führt aber häufig Erkrankungen der Nase herbei.



Blätter und Blüten


Friedrich Helbig †. Den Lesern der früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ ist der Name Friedrich Helbig wohlbekannt. Mit ihm war ja eine Reihe fesselnder Kultur- und zeitgeschichtlicher Artikel gezeichnet. Vor allem war aber Friedrich Helbig durch eine Anzahl von Aufsätzen bekannt geworden, in welchen die traurigen Schicksale der Opfer der irrenden Justiz geschildert wurden und die warm für eine Entschädigung unschuldig Verurteilter eintraten. In den letzten Jahren war Helbigs Name in den Spalten unseres Blattes nicht mehr vertreten, denn ein langwieriges Herz- und Nierenleiden hat leider den einst so regen und arbeitsfreudigen Geist frühzeitig gelähmt. Die Hoffnungen auf allmähliche Genesung haben sich trügerisch erwiesen und am 8. August wurde Friedrich Helbig in Jena vom Tode ereilt. In derselben Stadt erblickte er am 1. Dezember 1832 das Licht der Welt. Er wählte die Rechtswissenschaft zu seinem Beruf, widmete sich aber daneben eifrig kulturgeschichtlichen Studien und war auch dichterisch thätig. Er verfaßte eine Anzahl von Dramen, deren Stoffe er vornehmlich der thüringischen Geschichte entlehnte, und schrieb auch einige Festspiele für Thüringer Jubiläen. Bis zum Jahre 1893 war er als Rat am Landgericht in Gera thätig und siedelte dann nach seiner Vaterstadt Jena über. Seine volkstümliche schriftstellerische Thätigkeit war vom besten Erfolg begleitet und den schönsten Lohn brachte ihm das mannhafte Eintreten für das Los unschuldig Angeklagter und Verurteilter. Helbigs Artikel in der „Gartenlaube“ haben wesentlich zu einer ersprießlichen Lösung jener wichtigen Frage des Gemeinwohls beigetragen. Dieses Verdienst wird auch gegenwärtig von der Tagespresse anerkannt, welche dem Verblichenen den ehrenden Beinamen eines „Anwalts der Unschuldigen“ gegeben hat. Möge er als solcher im dankbaren Andenken der Nachwelt fortleben! *     

Die Makua – ostafrikanische Elefantenjäger. Das Elfenbein ist noch immer der einzige Handelsartikel, den uns das Innere Afrikas zu liefern vermag, und die Elefantenjagd erscheint darum als ein für unsere ostafrikanische Kolonie, deren weite Gebiete der Meeresküste so fern liegen, sehr beachtenswerter Erwerbszweig. Ursprünglich wurde der Dickhäuter mit den kostbaren Zähnen ausschließlich von den Eingeborenen gejagt, und Händler, die von der Küste kamen, handelten[WS 1] das Elfenbein ein oder nahmen es noch öfter den Eingeborenen mit Gewalt weg. Seit Jahren hat sich aber in Ostafrika ein besonderer Stand ausgebildet, der berufsmäßig die Elefantenjagd betreibt. Seyid Saïd, Sultan von Sansibar, sandte schon vor fünfzig Jahren Leute des Negerstammes Makua ins Innere, damit sie der Elefantenjagd oblagen. Später wurden zu diesem Zwecke auch Leute anderer Stämme gewählt, aber man nannte sie wie ihre Vorgänger „Makua“, so daß nunmehr diese Bezeichnung ebensoviel wie Elefantenjäger bedeutet.

Man begegnet den Makua häufig im Innern; sie dringen überall vor, wo Elefanten aufzuspüren sind, sie kennen Weg und Steg, die noch keines Europäers oder Arabers Fuß betreten hat, und sind zu Hause in einer Wildnis, die selbst von den Eingeborenen gemieden wird. Viele von ihnen kommen jahrzehntelang nicht nach der Küste, manche sind sogar im Innern aufgewachsen, alle werden durch das Leben in der Wildnis zu rauhen trotzigen Gesellen.

Dr. Oscar Baumann hat auf seiner im Auftrage des Deutschen Antisklaverei-Komitees ausgeführten Forschungsreise durch den Norden von Deutsch-Ostafrika wiederholt die Makua getroffen, zog auch eine Zeit lang in deren Begleitung dahin. In seinem Reisewerke „Durch Massailand zur Nilquelle“ (Berlin, Dietrich Reimer) entwirft er eine anziehende Schilderung dieser verwegenen Gesellen. In der weltentlegenen Landschaft Meatu an der Grenze von Usukuma hatte ein Halbaraber Munyi Hemedi eine Niederlassung gegründet und sandte seine Jäger hinaus in die weite Steppe zur Verfolgung des edlen Dickhäuters, dessen Zähne ihn in diese Einsamkeit gelockt hatten. Munyi Hemedi hatte schon vom Herannahen der Karawane Baumanns gehört und kam ihr entgegen. In seiner Gesellschaft befand sich eine Schar baumlanger, herkulischer Gestalten in zerfetzter Küstentracht, viele mit weißem Haar, aber kühn blitzenden Augen, das lange Feuerrohr geschultert – die Makua.

Die Ankunft Baumanns erweckte in den Makua den Wandertrieb; sie zwangen Munyi Hemedi, die Niederlassung aufzugeben und anderswo das Glück zu versuchen. Vierzig Mann zogen also mit dem Halb-Araber nach Uduhe ab, zwanzig aber, die von Munyi Hemedi unabhängig waren, gingen für einige Zeit mit Baumann.

„Ich schloß,“ berichtet Baumann, „mit den Makua, welche der Expedition beitraten, einen Vertrag, worin sie sich zu unbedingtem Gehorsam und zu allen Arbeiten bereit erklärten, wofür ich ihnen versprach, für sie eine Niederlassung im elefantenreichen Umbugwe zu gründen. Ich forderte sie dann auf, mir ihr Oberhaupt zu zeigen, worauf die baumlangen Kerle, unter denen sich auch einige grauhaarige befanden, zu meinem Erstaunen einen kleinen hübschen Jungen von etwa 12 Jahren brachten. Es stellte sich heraus, daß sie wirklich alle Sklaven dieses Jungen waren. Obwohl

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: handelteten
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0627.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)