Seite:Die Gartenlaube (1896) 0626.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

neue Verbesserungen. Aus dem anfänglichen starren Schirm ward eine elastische Maschine, die mit einem Druck sich zusammenfalten ließ, um sie zu transportieren oder in engen Räumen unterzubringen, die Schwere wurde fort und fort verringert, die Festigkeit erhöht und der Erfolg vergrößert.

Von den geradlinigen, langsam sich senkenden Luftsprüngen ging der Experimentator über zu Kurven, er durfte sich heben lassen, wenn die Laune des Windes es so wollte, und schwebte oft in grandiosen Wellenlinien über den Köpfen seiner Zuschauer dahin. Oder er kam auf der Höhe der Flugbahn durch den Anprall des Windes zum Stillstand und konnte mit dem untenstehenden Photographen über die geeignete Stellung zur Aufnahme unterhandeln. Zwei Wandlungen sind es besonders, welche der Lilienthalsche Segelapparat noch in der jüngsten Zeit durchgemacht hat, und welche dem Namen ihres Erfinders dauernde Bedeutung verleihen, da sie ganz besonders geeignet scheinen, um auf ihnen weiter zu bauen für eine künftige Entwicklung der Flugmaschine.

Lilienthals Flugapparat mit Schwungfederantrieb.

Der erste Fortschritt besteht in der Zerlegung der Segelfläche in zwei übereinander gestellte Etagen. Die Schwierigkeit, mit ausgedehnten Flächen von 14 bis 16 qm im Winde zu operieren, und die Notwendigkeit, dennoch so große Flügel anzuwenden, um die erforderliche Tragkraft zu erlangen, brachten den Konstrukteur auf die Idee, zwei kleinere Segelflächen übereinander zu stellen.

Der Versuch gelang überraschend: die Tragfähigkeit eines Apparates von 5½ m Spannweite war, bei weit leichterer Handhabung, ebenso groß wie die des älteren Schirmes von 7 bis 8 m Spannweite, während gleichzeitig die Stabilität der Maschine, d. h. ihre Widerstandskraft gegen Windstöße, bedeutend wuchs.

Endlich hat sich Lilienthal, wohl einsehend, daß er mit dem bloßen Segelflug doch nicht alle Aufgaben lösen würde, im letzten Jahre auch an die Verbindung eines Propellers mit seiner Maschine herangewagt. Nach langem Versuchen gelang die Konstruktion eines sehr leichten Kohlensäuremotors, durch welchen an den neuesten Apparaten ein System von Schwungfedern, wie es unsere nebenstehende Abbildung in vollkommener Deutlichkeit zeigt, in auf- und niedergehende Bewegung gesetzt wurde.

Ob die Verbindung dieser beweglichen Teile mit den eigentlichen Tragflügeln, wie sie Lilienthal ausgeführt hat, ein glücklicher Gedanke war, ist fraglich. Es könnte scheinen, als ob die Sicherheit des tragenden Teiles unter dieser Verquickung gelitten habe. Der Erfinder selbst sagte darüber: „Die ersten vorsichtigen Versuche bewiesen mir, daß, wenn ich ohne weiteres mit Flügelschlägen in die Luft mich hineingestürzt hätte, der Apparat wahrscheinlich nicht unzerstört unten angekommen wäre.“

Es mußte also von neuem mit dem Lernen begonnen werden, und zwar zeigte sich erst jetzt der schwierigste Teil der ganzen Aufgabe, gegen den vermutlich das bloße Schweben noch Kinderspiel war. Lilienthal hat diesen letzten Teil des Weges nicht mehr zurücklegen sollen, doch besteht kein Zweifel, daß andere, opferwillige Naturen einspringen werden, wo die seine an einem unglücklichen Zufall ihre Schranke fand.

Die Eroberung des Luftreichs ist und bleibt einmal eins der großen Ziele unserer Zeit, und einzelne Opfer werden heute so wenig wie je vermögen, den Weg zu ihm zu versperren.


Die betäubende Prise.

Von M. Hagenau.


In Kriminalgeschichten aus älterer Zeit spielt die Tabaksdose eine unheimliche Rolle. In einem Postwagen reisen zwei Personen zusammen und die eine bietet der anderen eine Prise an. Arglos wird dieselbe angenommen; aber nach kurzer Zeit bringt der Schnupftabak ungewöhnliche Wirkung hervor. Der Schnupfer verliert das Bewußtsein und verfällt in einen tiefen Schlaf. Ist er aus der Betäubung erwacht, so sieht er sich allein im Wagen; sein Reisegenosse ist verschwunden und die nähere Untersuchung des Gepäcks oder der Taschen des Betäubten zeigt, daß er beraubt wurde! Der Uebelthäter hatte zweifellos dem Schnupftabak betäubende Gifte beigemengt und durch die Prise sein Opfer eingeschläfert, um sein Verbrechen leichter auszuführen!

Erzählungen dieser Art gingen einst von Mund zu Mund und wurden anstandslos geglaubt. In der Neuzeit ist man gegen solche Mitteilungen mehr mißtrauisch geworden. Es sind zwar wiederholt Leute vor Kriminalbehörden erschienen und haben die Beschwerde vorgebracht, ein Unbekannter habe sie im Eisenbahncoupé arglistig betäubt, aber fast immer konnte nachgewiesen werden, daß solche Beschuldigungen auf Selbsttäuschung oder Betrug beruhten.

So behauptete z. B. eine Dame in Wien, sie sei durch eine Zeitung betäubt worden, die mit einer narkotischen Substanz, einem einschläfernden Mittel imprägniert war. Der Gerichtsarzt mußte erklären, daß eine Betäubung auf diese Weise durchaus nicht hervorgebracht werden konnte; denn es giebt kein Mittel, das, in so geringen Mengen vor Nase und Mund gebracht, betäubend wirkt. Viel Aufsehen erregte vor einigen Jahren die Erzählung eines Postmeisters, daß er von einem unbekannten Manne im Eisenbahnabteil durch Schnupftabak betäubt und dann in einer ihm unbekannten Gegend ausgesetzt worden sei. Es stellte sich später heraus, daß der Mann flunkerte und seine Stellung wegen begangener Unredlichkeiten verlassen hatte. Die Fabel von der betäubenden Prise wurde jedoch geglaubt und hatte, wie E. Hofmann in seinem „Lehrbuch der gerichtlichen Medizin“ berichtet, eine Beunruhigung des Publikums zur Folge. Eine Woche darauf fuhr auf derselben Strecke, auf welcher dem Postmeister jene Unbill zugefügt sein sollte, eine junge Dame allein mit einem Herrn in einem Wagenabteil erster Klasse. Der Herr bot ihr eine Cigarette an und die Aermste geriet infolge dieser Galanterie in eine so große Aufregung, daß sie aus dem Fenster springen wollte; sie glaubte, der Fremde wollte sie betäuben.

Wer die Wirkung der einschläfernden Gifte kennt, muß wohl zu der Ansicht gelangen, daß es einem noch so raffinierten Verbrecher schwerlich gelingen könnte, sein Opfer durch eine Schnupftabakprise, der Gift beigemengt ist, arglistig zu betäuben. Das möge zur Beruhigung der Reisenden dienen; im übrigen kann sich jedermann selbst schützen, indem er von einem Fremden keine Prise annimmt. Dabei darf aber nicht geleugnet werden, daß Menschen durch Schnupfen sich vergiften oder betäuben können; nur ist zu einer solchen Wirkung mehr als eine gelegentliche Prise nötig. Betäubende Schnupfmittel wurden früher in Europa und werden noch heute von einigen Naturvölkern angewandt.

Sehr interessant sind die Schilderungen einer solchen Unsitte bei einigen Indianerstämmcn Südamerikas.

Schon Alexander v. Humboldt beschrieb die Bereitung und Verwendung des sogenannten Niopopulvers bei den Maypura-Indianern, die sich damit in einen eigentümlichen Zustand von Trunkenheit, ja man könnte sagen von Wahnsinn versetzen. Sie pflücken die langen Hülsen eines Baumes aus der Familie der Mimosen, zerhacken dieselben und lassen sie angefeuchtet gären. Die Indianer warten nun, bis die erweichten Hülsen schwarz werden, kneten dieselben dann zu einem Teig, vermengen ihn mit Maniokmehl und Muschelkalk und setzen die Masse über ein lebhaftes Feuer auf einem Rost aus sehr hartem Holz. Der gedörrte Teig nimmt die Gestalt kleiner Kuchen an. Will man dieselben gebrauchen, so werden sie zu feinstem Pulver zerrieben und auf einen kleinen Teller gestreut. Das Schnupfen geschieht dann mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0626.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)