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sich das Unglück zwar oft selbst zuziehe; oft aber auch das allervorsichtigste, schuldloseste Betragen nicht vor ihm sichere, und wenn es einmal, es sei verschuldet oder unverschuldet, da sei, Gottvertrauen es versüße und fruchtbringend mache für ein besseres Leben.“ – Bist Du krank; ach, ich fürchte es und Gott hat meine Gebete nicht erhört, wenn ich unter Schmerzen in schlaflosen Nächten ihn anflehete, mir Deine Lasten noch aufzubürden und sie Dir zu nehmen. Zürnst Du mir? oh, dann will ich nichts weiter sagen, als „Vergieb mir“ und will dies Wort wiederholen, bis es eine freundliche Antwort der innersten Stimme Deines Herzens entlockt. – Uebermorgen am Dienstag Mittag um 3 Uhr reise ich hier ab und bis dahin kann ich Antwort von Dir erhalten; es wird mir dies ein Zeichen sein, ob Du wirklich krank bist, erhalte ich keine auch noch so kurze Zeile, von Deiner Hand, so nehme ich an, daß Du nicht im Stande bist zu schreiben. Ach, ich fürchte, dies ist nicht gut von mir, ich fürchte, dies ist rauh und hart gegen Dich; thue, was Du kannst und willst; ich werde Dich doch ewig lieben. Ach, wenn ich Dich nicht hätte und meine Schwester, dann wäre ich wohl verloren und mein Herz würde untergehen an der Kälte der Welt; ich klammere mich mit aller Kraft an Euch beide, und doch ist mein Gefühl für Euch beide so verschieden. Von Stav. aus werde ich Dir mehr schreiben, schicke mir nur ein paar Zeilen oder schicke sie an meine Schwester, so daß ich sie dort vorfinde. – Gott erhalte Dich und tröste Dich! Nimm diese wenigen Zeilen freundlich auf und denke mit Vertrauen an eine bessere Zeit.

Ich bin für Dich immer derselbe; ach, denke nicht hart über mich. Lebe Wohl

Dein F. Reuter. 

 Schwerin d. 28ten May 1848.“

Daß schließlich Reuter „den Schaulmeister sinen Rock“ anzog, um zu regelmäßigen Einkünften zu gelangen, auf die hin er heiraten könnte, war nicht in dem Grade ein Verzweiflungsschritt, wie meistens angenommen wird. Als die hoffnungsreiche politische Erhebung in Mecklenburg von der Reaktion, wie anderwärts auch, erstickt wurde, als er mit Trauer erkannte, daß das Volk den hohen Anfordernngen der Zeit nicht gewachsen gewesen war, wurden die Lehren eines Arndt, eines Jahn, die er als Burschenschafter mit Begeisterung in sich aufgenommen hatte, wieder in ihm lebendig. Der Kampf für die Freiheit, die Wiedergeburt des Vaterlandes heische ein anderes tüchtigeres Geschlecht, Sache der Volksbildung sei es, ein solches heranzuziehen – unter diesem Gesichtspunkt hatten die Patrioten einer früheren Zeit das deutsche Turnwesen ins Leben gerufen. Und Reuter, der schon als Gymnasiast in Friedland auf dem dort bereits bestehenden Turnplatz sich hervorgethan, der als Burschenschafter in Jena fleißig geturnt und neuerdings zur Stählung seiner Gesundheit zu den bewährten Uebungen zurückgegriffen hatte, ließ es sich jetzt angelegen sein, die Gemeindevorstände seiner Vaterstadt wie der Thalberg benachbarten pommerschen Landstadt Treptow an der Tollense für die Herstellung eines Turnplatzes und die Anstellung eines städtischen Turnlehrers zu gewinnen. Ersteres gelang ihm in beiden Städten und in Treptow ward er im Frühjahr 1850 auch als Turnlehrer angestellt – das war der Anfang seiner „Schaulmeistertid“.

In den eingangs genannten Büchern von Gaedertz und Römer ist der Aufruf mitgeteilt worden, den er im Treptower Wochenblatt vom 27. April 1850 erscheinen ließ, um die Bürgerschaft für seinen Plan zu gewinnen. Er nennt darin das Turnen „ein fröhliches Spiel, ein rüstiges Ringen, die gebundenen Kräfte frei zu machen von den Fesseln einer erdrückenden und entnervenden Civilisation, eine Vorübung von Gefahren und Entbehrungen“, mitten unter Sätzen, die rein pädagogischer Natur sind. Er führt weiter aus: „Wo der Leib siech ist, verliert der Geist seine Spannkraft, wo der Leib verweichlicht ist, wird der Geist matt, und wo dem Leibe die Rüstigkeit und Frische fehlt, strebt der Geist vergebens vorwärts und aufwärts, er klebt an körperlichen Kümmernissen und Beschwerden wie der Schmetterling an der Nadel.“ Deutlicher aber und völlig unverblümt gelangte der Zusammenhang dieser neuen Lebenswendung mit seinen politischen Idealen in dem Prolog zum Ausdruck, den er einige Jahre später, als die Frauen und Jungfrauen Treptows dem Männerturnverein eine Fahne gestiftet hatten, für die Weihe derselben dichtete und der in folgenden Versen ausklang:

„Doch wenn Ihr glaubt, daß nur zur Lust
Die Fahne Euch von uns gespendet,
Dann irrt Ihr sehr: in unsrer Brust
Fing Scherz sie an, doch Ernst hat sie vollendet.
Ihr sollt sie tragen, auch wenn Stürme dräuen,
Wenn Wetterwolken auf zum Himmel ragen,
Das beste sollt Ihr für sie wagen
Und selbst den Tod sollt Ihr nicht scheuen!
Die Freiheit ist ein wundersames Bild:
Wer einst gekniet zu seinen Füßen,
Der trotzt den Schwertern und den Spießen,
Ist er nicht Sieger, legt ihn auf den Schild. –
Und faßt darob Euch banges Grauen,
Dann gebt uns nur zurück das Zeichen,
Wir wollen’s dann als gute Frauen
Dereinstens Euren Kindern reichen,
Die machen dann, wie spät ’s auch sei,
Die deutschen Lande siegreich, einig, frei.“

Und wie den Turnunterricht, den er erst in Stavenhagen, dann in Treptow erteilte, so faßte er auch seine sich daran knüpfende übrige Lehrthätigkeit unter dem höheren Gesichtspunkte der Ideale einer fortschrittlichen Volkserziehung auf. In Stavenhagen hatte es ihm nicht glücken wollen, auch für den Unterricht in humanistischen Fächern Schüler zu finden. In Treptow, wo er durch die gegenseitigen Beziehungen zu Peters bei den angesehensten Persönlichkeiten aufs beste eingeführt war, gelang es ihm wider Erwarten. Einer seiner ersten Schüler hat Gaedertz ein lebensvolles Bild seines Einzugs in Treptow gegeben. Herr Reuter, erzählt dieser Zeuge, ein breitschulteriger Mann, der wirklich sehr studiert aussah, mit goldener Brille auf der Nase, einen starken Stock in der Hand, kam von Thalberg und mietete beim Rendant Flos. Nach dreitägiger Abwesenheit kehrte er, abermals von Thalberg, zurück und ging sofort zum Justizrat Schröder; bald wußte man, daß er dessen Sohn Richard unterrichten werde. Schritt man an dem kleinen zweistöckigen Flos’schen Hause vorbei und sah dort oben an den Fenstern Blumentöpfe mit Geschmack aufgestellt und hinter ihnen ein echt germanisches Gesicht mit hellblondem Vollbart, breiter freier Stirn und blauen Augen mildlächelnd hervorgucken, so erkannte man, daß es einem Naturfreunde gehören müsse. Reuter war schnell eingeführt, eine Art Zuneigung und Ehrfurcht wurde ihm entgegengebracht .... Binnen kurzem hatte er etwa ein Dutzend „Honoratiorenkinder“ zu unterrichten. Als Schullokal benutzte er seine Wohnung: in der einen Stube saßen die Knaben, in der anderen die Mädchen. Er hielt auf Ordnung und Anstand, beobachtete dabei jedoch nicht die gewöhnliche Schulpedanterie; im Gegenteil, selbst immer heiter und froher Laune, munterte er diejenigen, welche trübseliger Natur oder langsamen Geistes waren, auf und schien es jedenfalls lieber zu sehen, wenn einer etwas toll sich ausließ, als wenn er zu wenig Leben zeigte … Er lehrte Französisch, Lateinisch, Naturwissenschaften, Rechnen, sowie Zeichnen … Auch über sein Auftreten als Turn- und als Schwimmlehrer – er setzte in Treptow auch die Anlage einer städtischen Schwimmanstalt durch – fehlt es uns nicht mehr an anschaulichen Berichten. Bei den Uebungen, so berichtet auf Grund eines solchen A. Römer, erschien er in grauleinener Jacke mit Gurt und schwarzem Schlapphut. Trotz seiner Muskelkraft turnte er in der Regel nicht selbst vor, höchstens öfter am Barren. Mit Vorliebe trieb er Turnspiele, Boxlauf und Wettrennen. Großer Jubel herrschte in der jungen Schar – er hatte gleich im ersten Jahr vierzig Schüler – wenn Reuter mit ihr nach Jahnschem Vorbild seine Turnfahrten unternahm. Frühmorgens zog man aus in Reih’ und Glied, und mit hellem Gesang ging es meilenweit durch Dorf und Stadt. Die Unterhaltung auf dem Marsch war köstlich; da gab es Scherzspiele, Rätsel und fesselnde Anekdoten in Hülle und Fülle. Wohin die Turnerschar kam, ward sie mit offenen Armen empfangen – „Fritzing ist da!“ rief man ihm freudig entgegen. Auch er war, wie’s im alten Burschenwanderlied heißt, „überall zu Hause, überall bekannt.“ Die „Stemhäger,“ Jvenacker und andere Freunde nahmen die Zöglinge auf und bewirteten sie reichlich. Reuter war ein wackerer Fußgänger und erzog seine Schüler zu rüstiger Ausdauer, aber auch zu herzhaftem Mut. Zuweilen unternahm er mit ihnen nächtliche Ausflüge, bei denen die Knaben als Patrouillen entsandt wurden … Gaedertz erzählt nach der Schilderung eines Teilnehmers gar anschaulich von einer solchen Nachtfahrt ins Stadtholz, bei welcher mitten im Wald beim Rauschen und Knistern der Bäume übernachtet wnrde. Auf einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0619.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)