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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


„Ja! Seit Wochen schon, Tag und Nacht! Weißt ja doch selber, was d’ Leut’ übern Purtschellerhof reden. Und da denk’ ich mir halt, es könnt’ ihr d’ Sorg’ ein bißl leichter machen, wenn s’ ein’ hat, der bei der Arbeit einholt, was der Toni versäumt.“

„Mathes! Mathes!“

„Geh, red’ mir net ab! Ich muß ’nunter! ’s Bleiben thät’ mir’s Herz abdrucken!“

Das schien sie zu verstehen, denn sie nickte. Und nach einer Weile fragte sie ganz leise: „Mathes? … Thust Dich denn der G’fahr net fürchten?“

„G’fahr?“ Er schüttelte den Kopf. „’s Linerl hat den Toni gern! … Und was liegt denn an mir! … Ich bin z’frieden, wenn ich ihr ein bißl was helfen kann … Was mir zusteht, will ich schon tragen!“

Mit jäher Bewegung legte Vroni den Arm um seinen Hals, als möchte sie den Bruder vor den Schmerzen schützen, denen er entgegen ging.

Er schien den Sinn dieser Zärtlichkeit zu verstehen und zog die Schwester an sich. Und da er im Schweigen der Nacht den leis verschwommenen Hall der Hammerschläge vernahm, die dort unten im Dorf so rastlos klangen, sagte er lächelnd: „Hörst ihn? Wie fleißig als er noch allweil hämmert beim Licht … bis in d’ Nacht ’nein!“

„Aber geh’!“ murrte Vroni. „Thu mich Du auch noch plagen!“ Dann plötzlich drückte sie das Gesicht an den Hals des Bruders und umklammerte ihn, daß ihm der Atem fast verging.

Er streichelte ihre Haare und flüsterte ihr ins Ohr: „Sorg’ Dich net, Schatzerl! Wenn er jetzt bei der Arbeit festhalt’, laßt er auch bei der Lieb’ net aus! Sei nur Du g’scheit! Und thu Dir nix vergeben, eh’ Dir net sagen kannst: er is Dich wert!“ Mit beiden Händen nahm er ihren Kopf, hob ihn empor, sah ihr beim Sternschein lächelnd in die naß glänzenden Augen und küßte sie auf den Mund. „Komm! Und jetzt gehn wir ’nein! Es muß Dich ja frieren da heraußen … d’ Nacht is kalt!“

Wortlos stiegen sie über den Schnee hinunter, und als sie den Flur betreten hatten, stieß Mathes an der geschlossenen Hausthür den Riegel vor.

(Fortsetzung folgt.)


Fritz Reuters Briefe an seine Braut.

Nach den Originalen im Nachlaß der Witwe.
Erläutert von Johannes Proelß.

  (2. Fortsetzung.)


Das Jahr 1848 brachte dem Verlobten die Erfüllung zweier Herzenswünsche: Luise folgte der Einladung des Petersschen Ehepaares, bei ihnen auf Thalberg sich für die Aufgaben und Pflichten einer Pächtersfrau vorzubereiten, und die große freiheitliche Bewegung, die jetzt in ganz Deutschland zum Sieg gelangte, rief auch in Mecklenburg einen hoffnungsreichen Aufschwung des politischen Lebens hervor.

Aber leider verkümmerte die beglückende Wirkung dessen, was Reuter nun als Patriot und Politiker erlebte, den Segen, den er für sein Liebesglück von jener anderen Errungenschaft erwartet hatte. Das innige Zusammenleben mit der Braut, über dessen Bedeutung für die gemeinsame Zukunft er im Jahre vorher so hohe Meinung geäußert, ward vereitelt durch seine Teilnahme an der Volkserhebung, die jetzt auch im konservativsten aller deutschen Staaten eine liberale Verfassungsreform und ein volkstümliches Wahlgesetz für die Volksvertretung des Landes durchsetzte.

Mit Begeisterung ergriff ihn das erhebende Schauspiel, wie der Verlauf der Geschicke des Vaterlandes schon jetzt die patriotischen Ideale zu verwirklichen schien, für deren Vertretung er die schönsten Jahre seiner Mannesjugend im Kerker hatte vertrauern müssen. Mit freudiger Genugthuung erlebte er, wie jetzt die besten Männer seines mecklenburgischen Heimatlandes für dieselben politischen Gedanken eintraten, die für sein burschenschaftliches Jugendschwärmen die maßgebenden gewesen waren und um derentwillen er verfolgt, geknechtet, gequält, zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglicher Haft begnadigt worden war, bis man ihn dank einer Amnestie in die Heimat entlassen hatte, entfremdet dem gewählten Beruf, anrüchig für alle, welche den herkömmlichen Anschauungen huldigten. Und da hätte er jetzt teilnahmlos beiseite stehen sollen – diesen Aufschwung miterleben, ohne, nun alles zur That rief, thatkräftig einzugreifen?

Er konnte nicht anders – er folgte dem Rufe der inneren Stimme und dem Zuspruch gesinnnngsverwandter Freunde in seiner Vaterstadt Stavenhagen; er ward dort ein Führer der auch hier frisch in Fluß geratenden Bewegung. Er wurde ein Sprecher im „Reformverein“, hielt Wahlreden, setzte Programme und Petitionen auf, war gewiß auch journalistisch thätig – und die braven „Stavenhäger“ bereiteten dem lange Verkannten die Genugthuung und wählten ihn zu ihrem Deputierten zum Güstrower Städtetag und dann zu ihrem Abgeordneten in den Landtag. „Dei kann reden,“ sagten sie, „un dei ward för uns reden!“ Und als er im bekränzten Wagen mit anderen Volksvertretern nach Schwerin, der Landeshauptstadt, abfuhr, da mag ein frohes Gefühl berechtigten Stolzes seine Brust geschwellt haben, und der Wahlspruch, den er bei seiner Verlobung der Losung „Alles für das Volk – alles durch das Volk“ nachgebildet hatte: „Alles für – alles durch meine Luise“, mag dabei eine neue Form angenommen haben: Alles durch das Volk – für meine Luise! Gar manchen, der wie er ein Märtyrer für Deutschlands Einheit und Freiheit gewesen war, brachten ja jetzt die Ereignisse in eine Laufbahn, auf welcher die politische Wirksamkeit zu Amt und Einkommen führte. Auch Wilbrandt bemerkt in seiner Biographie: neben den Hoffnungen für Land und Volk mochte er auch Hoffnungen für sich selber hegen.

Thatsächlich aber verlief die Bewegung, welche im ersten Ansturm zur Annahme der in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. beschlossenen deutschen Grundrechte führte, im nächsten Jahre zur allgemeinen Enttäuschung der Patrioten. Wie Reuters Humor sich später mit der ernüchternden Wirkung dieses Verlaufs abfand, wissen wir alle aus den Kapiteln der „Stromtid“, die sich so ergötzlich mit den Vorgängen im „Rahnstädter Reformverein“ beschäftigen. Der Braut aber, die mit Sehnsucht dem Glück entgegensah, das sie sich von der Ehe mit Reuter erhoffte, können wir es nicht verdenken, daß sie dieser neuen Verzögerung gegenüber keinen Humor zur Verfügung hatte. Wohl empfand sie mit warmer Sympathie die Beweggründe, welche den Dichter veranlaßten, sich in den Strudel des politischen Lebens zu stürzen, aber ein tiefer Gram bemächtigte sich ihrer über die scheinbare Plan- und Ziellosigkeit des von ihr so innig geliebten, so reichbegabten Mannes, der es doch selbst ihr zur Pflicht gemacht hatte, den Dämonen seines warmblütigen Naturells gegenüber als guter, wenn auch strenger Engel zu walten. War die von ihr gewiß nicht leicht durchgeführte Uebersiedlung auf das Peters’sche Gut, zu welcher er sie überredet, in ihren Augen doch nur durch den Zweck gerechtfertigt, daß sie sich hier unter freundschaftlicher Anleitung vorbereiten wollte, dem Landwirt Reuter eine sachverständige Lebensgenossin zu werden! Und mußte sie nicht fürchten, daß das aufregende Leben, dem der Geliebte sich jetzt ergab, mit seinen vielen Verlockungen zu langem Aufsitzen in erregter Männerrunde, mit seinen unvermeidlichen Veranlassungen zu Festkommersen und freundschaftlichen Trinkgelagen, das gesellige Naturell ihres Verlobten wieder in Zwiespalt bringen müsse mit der ernsten Bekämpfung jenes Leidens, für die er ihren Beistand gleich beim Beginn ihres Herzensbundes angerufen hatte?

So ist denn der einzige Brief Reuters, der uns als Zeugnis ihres Verkehrs aus jener Zeit übrig geblieben ist, von dem innigen Wunsche des in Schwerin am Landtag Weilenden diktiert, der Geliebten Trost und Mut einzusprechen. Er fühlt, daß sie Grund hat, mit ihm unzufrieden zu sein, aber er fühlt zugleich auch, daß er nicht anders handeln kann und trotz aller Bedenken Luisens sich des rechten Weges bewußt ist.

 „Meine gute, theure Luise,
Ich habe eben in einem guten Buche folgende Stelle gelesen, die ich Dir mittheile, die mich sehr getröstet hat und ihren Einfluß auch auf Dich nicht verfehlen wird: „Nachdem sie aber lange zusammen gegrübelt und überlegt hatten, kamen sie überein, daß man

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0618.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2022)