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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

der Stadt drin weiß ich ein’ Fabrikherrn … der giebt mir Arbeit, g’nug, wenn ich’s gut und billig mach’! Und bis ich den ersten Brocken verdient hab’, bleiben wir halt schön schuldig miteinander! Gelt, Mahmerl? Heut’ noch, ja, heut’ noch fahr’ ich in d’ Stadt ’nein und bring’ auf ’n Abend ein’ ganzen Wagen voll Arbeit mit! Und für Dich ein’ Bettstattl, wo schön drin Platz hast … ein zwieschläfrigs, weißt! Und da bett’ ich Dir nachher auf … aber nobel! So is kein Christkindl noch net g’legen!“

Schorschl erhob sich vom Lager der unter Schmerzen lachenden Bäckenmahm’, um die Eiskompresse zu wechseln. Sinnend betrachtete er das Handtuch und murmelte vor sich hin: „Sauber hat sie ’s gewaschen! Ja! Die versteht sich auf so was! … Mit der wär’ ich aufg’richt’ jetzt!“ Er that einen brunnentiefen Seufzer. „O Du mein Gott! Da is’ aus und gar! … Der Bäckenmahm’ z’lieb hat sie sich halt bemüht! … Der Bäckenmahm’ z’lieb!“

„Schorscherl?“ lispelte die Kranke, die den schweren Senfzer gehört hatte. „Was hast denn?“

„Nix hab’ ich … als ein’ Kratzer auf der Hand, der beißt mich!“

„Hast net ein bißl Pechsalben? Die is gut für so was!“

„Na, Mahmerl! Da könnt’ ich ein’ gehörigen Tiegel voll verschmieren … es that nix helfen!“

Mit dieser seufzenden Weisheit legte er der Kranken die Kompresse auf die Stirn und begann sein lustiges Geplauder wieder. –

Zwei Stunden später – einen Schuh tief lag schon der Schnee auf der Straße – fuhr der Daxen-Schorschl mit dem Wagen, den er sich vom Wirt geborgt hatte, in die Stadt. Am Abend kehrte er zurück, mit hundert Mark Vorschuß in der Tasche und reichlicher Arbeit für ein Vierteljahr. Und quer über den Eisenstangen, die auf dem Wagen rasselten, schwankte die „Zwieschläfrige“, die er für die Bäckenmahm’ mitgebracht hatte.

Es war auch an der Zeit, daß die Kranke in ruhigen Aufenthalt kam, denn die Befürchtung des Doktors, daß die Bäckenmahm’ den Schreck der Brandnacht mit einem schweren Nervenfieber bezahlen müßte, hatte sich bewahrheitet.

Ein Glück, daß auch der Maurer und die Zimmerleute tagsüber ihre Schuldigkeit gethan hatten! Die neuen Thüren waren fertig und hatten eine so geräumige Breite, daß Schorschl bei ihrem Anblick meinte: „Sakra! Da kann ich einmal mit meiner ganzen Familli am Arm durchmarschieren!“ Aber dieses Wort machte ihn nachdenklich, und er seufzte: „O mein Gott! Mit der Familli, scheint mir, hapert’s noch ein bißl! … Schier glaub’ ich, daß ich mit der Bäckenmahm’ z’frieden sein muß!“

Die Thüren bekamen noch Doppelwände aus dickem Strohgeflecht, damit der Hammerlärm der Schmiede die Kranke nicht belästigen möchte. Und so konnte Schorschl, während die Magd die Krankenpflege übernahm, mit dem Morgengrau des folgenden Tages die Arbeit beginnen.

Vom ersten Licht bis zur sinkenden Dämmerung stand er Tag um Tag mit unverdrossenem Eifer am Amboß. Er hatte es garnicht nötig, dem „Lüftigkeitsteufel“ einen Stockzahn auszureißen, denn dieser „Teufel“ erwies sich als so gutmütig und willig wie ein dressierter Pudel – die zwingende Not und die Ueberfülle der Arbeit legten ihn an eine dauerhafte Leine. Auch die Leute im Dorf, denen bei dem tiefen und noch immer wachsenden Schnee der Weg in die Schmiede des Nachbardorfes zu weit wurde, brachten Arbeit in die Daxenschmiede. So hatte Schorschl „wie ein Roß“ zu schaffen und mußte schon daran denken, sich nach einem Gesellen umzuschauen. Bei alledem waren seine Finanzsorgen nicht leichter geworden. Die Leute im Dorf, welche mit Arbeit zu ihm kamen, sagten: „Sei so gut und schreib’s auf d’ Rechnung!“ – und die hundert Mark Vorschuß, die er aus der Stadt mitgebracht hatte, waren für die Forderung des Schneiders und für Anschaffungen, welche die Pflege der Kranken erforderte, bis auf wenige Mark aufgegangen. So mußte Schorschl bekümmert und ratlos an die kommenden Tage denken, und bei jedem Hammerschlag, welcher hell und lustig durch das Dorf hinaustönte, redete eine stumme drückende Sorge mit.

Eines Abends, als Schorschl gerade in recht verdrießlicher Stimmung seinen ruhelosen Kummer in das glühende Eisen hineinhämmerte, kam die Magd in die Schmiede und sagte: „B’such is drüben bei der Bäckenmahm’!“

Schorschl hämmerte weiter. „So? Wer denn?“

„D’ Simmerauer-Vroni!“

Da schwiegen die Hammerschlüge und dunkle Röte flog üler das rußfleckige Gesicht des Schmiedes.

„Hat Dich ’s Madl ’rüberg’schickt, daß D’ mir’s sagen sollst?“ fragte er stammelnd.

„Ah na! Das grad’ net! Sie is ja bloß zur Bäckin ’kommen. Aber ich hab’ halt g’meint …“

„So so? Bloß zur Bäckin!“ unterbrach Schorschl die Magd mit grober Stimme. „Natürlich! Ich hab’ mir’s eh’ gleich ’denkt! Und da brauch ja ich net dabei sein!“ Wütend drosch er mit dem Hammer auf das Eisen los und hörte nicht, was die Magd noch weiter sagte. Und als sie zur Thüre hinausging, rief er ihr nach: „Ich laß gute Unterhaltung wünschen!“

Er hämmerte, daß die Fensterscheiben summten und die glühenden Funken bis in die äußersten Winkel der Werkstätte flogen.

Nach einer Weile zog es ihn aber doch hinüber – er hatte ja seit Mittag nicht mehr nachgesehen, wie es der armen Mahm’ ginge. Doch als er in die Krankenstube trat, sah er nur die Magd am Bette sitzen. „Wo is denn die ander’?“ fragte er enttäuscht und brummend.

„Ich weiß net, was ’s Madl g’habt hat! Jetzt grad’, wie drüben die Hammerschläg’ ausg’setzt haben, springt s’ auf, sagt g’schwind ein B’hüt Gott und rennt davon wie narrisch!“

„Ah sooooo?“ Schorschl nickte mit bitterem Lächeln vor sich hin, und als hätte er plötzlich vergessen, daß er doch nur gekommen war, um nach der Mahm’ zu sehen, machte er auf der Schwelle kehrt und stapfte wieder in die Werkstätte zurück.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Schon eine halbe Stunde vor Beginn des Hochamtes stand Schorschl, mit seinem besten Feiertagsstaat angethan, im verschneiten Kirchhof und musterte aufmerksami alle Leute, die zur Messe kamen. Die Purtschellerin, welche allein den Kirchhof betrat, mit Gebetbuch und Rosenkranz in den bleichen, schmalen Händen, redete ein paar freundliche Worte mit dem Daxen-Schorschl. Dafür aber schien der Purtscheller-Toni, der eine Weile später in lustigem Geplauder mit Zäzil kam, den Schorschl für Luft anzusehen.

Schorschl zuckte die Achseln und lachte. Dann plötzlich wurde er unruhig.

Der alte Simmerauer mit seinen Kindern und Enkeln hatte den Kirchhof betreten.

„Grüß Gott!“ sagte Schorschl, wobei seine Stimme ein wenig heiser klang, so daß er sich räuspern mußte. „Jetzt heißt’s halt Schnee stapfen von der Simmerau ’runter? Gelt?“

„Ja! Der Schnee macht ein’ harten Weg!“ antwortete der Alte; dabei aber lächelte er. „Ich schimpf net! Na! Aus ganzem Herzen sag’ ich mein Vergeltsgott für den baldigen Winter! Jetzt haben wir doch ein bißl Ruh’ da droben.“

Michel und Mathes blieben stehen, reichten dem Daxen-Schorschl die Hand und fragten, wie es der Bäckin ginge. Aber Vroni, welche die beiden Kinder führte, hatte das Gesicht zur Seite gewandt und war schweigend vorüber geschritten.

Auch jetzt lachte Schorschl wieder – aber das klang ganz anders als jenes Lachen, das er für den trutzenden Purtscheller gehabt hatte.

Als die Simmerauer-Leute schon in die Kirche getreten waren, stand er noch immer wie angewurzelt und starrte das Portal an.

„No also! Jetzt hab’ ich die Quittung drauf!“

Da hatte er nun auch völlig die Lust verloren, seiner Christenpflicht zu genügen. Hastigen Schrittes wanderte er nach Hause, und weil er die Sonntagsruhe durch Hammerschlag nicht stören durfte, stellte er sich mit der Feile an den Schraubstock.

Während der nächsten Tage war der Daxen-Schorschl bei der Arbeit in gar übler Laune. Die Bäckenmahm’ lag bewußtlos im Fieber – aber wäre sie auch bei wachen Sinnen gewesen, sie hätte an ihrem „Schorscherl“ recht wenig zu lachen gefunden. – – –

Nun ging es seit der Brandnacht in die dritte Woche. Und dem Daxen-Schorschl wuchsen trotz seiner rastlosen Arbeit die Sorgen über den Kopf. Um alles herbeizuschaffen, was die Kranke zu ihrer Pflege brauchte, mußte er schon wieder beim Metzger, beim Krämer und in der Apotheke die Kreide in Anspruch nehmen. Sein ganzer Barbestand waren Vronis dreißig Pfennig, die er sorgsam eingewickelt in einem Winkelchen seines Kleiderschrankes versteckt hielt.

Da trat eines Morgens der alte Rufel mit seinem Zwerchsack in die Schmiede.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0614.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)