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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Unsere Einladung setzte daher in ihr den Wunsch voraus, zur Abwechslung einmal ein Leben in der Familie zu führen – und wirklich die Einladung wurde angenommen!

Des Empfanges gewärtig, standen wir alle an der Hausthür, als die Tante ausstieg. Ganz wie ich sie mir gedacht hatte – sehr förmlich, außerordentlich gerade in der Haltung mit scharfen Augen alles musternd vom Scheitel bis zur Zehe der „alte General!“

Ich wußte vom Hörensagen, daß Tante Kunigunde eine kleine Schwäche für allerlei „Gebackenes“ habe, und da ihre Ankunft gerade in die Kaffeestunde fiel, stand bald der Teller mit knusperig gebackenem Apfelkuchen, heiß aus der Pfanne, vor ihr. Außerdem hatten wir an allerlei kleine Aufmerksamkeiten gedacht, so z. B. an einen duftenden Blumenstrauß zu Seiten der Kaffeetasse. Und gnädig schien die Aufnahme, denn tief versenkte sich die Erbnase zwischen Stiefmütterchen und Rosen. Wir durften zufrieden sein mit dem Erfolge. „Schlichen“ wir auch gerade nicht „erb“, so lag meinem Manne doch eben viel daran, die Tante zu einem Darlehn geneigt zu machen.

Da fuhr es plötzlich, von der Lehne des Sessels her hinter ihr herum, an der Wange vorbei mit langem Arm nach den Blumen greifend! – Herr Du meine Güte – der Affe!

Entsetzt wandte sich die Tante, und Auge in Auge mit dem ganz unerwarteten Tier, schnatterte es ihr kräftig ins Gesicht.

Tiefes Schweigen; – schwüles Schweigen; – dann eine Flut von Scheltworten von seiten meines Gatten; direkt auf Fritz und August, indirekt auf mich; der Affe sollte sofort totgeschossen werden!

Merkwürdigerweise nahm aber die Tante den Vorfall humoristisch auf: „Seltsamer Empfang das; – habt ihr noch mehr solche herzige Tiere?“

Fritz zog, vorläufig den Totschlag nicht wörtlich nehmend, mit dem Affen im Arm ab, um ihn in seinem Bauer dingfest zu machen. Sei es nun aber, daß der Junge, zurückgelockt von dem Duft des Apfelkuchens, wieder einmal nachlässig im Verschluß des Bauers gewesen, oder daß möglicherweise August die Hand im Spiele gehabt – genug, der zu einer Thür hinausgeworfene Affe schlich zur andern sachte wieder herein.

Er faßte, der bessern Uebersicht wegen, erst auf der Höhe des Büffetts Posto. Dann flog er, die Richtung sicher im Auge habend, mit einem einzigen Satz hart an den Teller mit dem Apfelkuchen heran und begann mit Blitzesschnelle sein Werk. Erst stopfte er die eine Backentasche voll, dann, mit dem Daumen nachschiebend, die andere, und als die Tante dem Greuel zu wehren suchte, fuhr er ihr mit der fettigen Pfote ins Gesicht und versetzte ihr eine Ohrfeige.

So verlief die erste Stunde.

Nebenbei war August ungemein verstimmt, weil die Ankunft mit dem Sonnabend zusammenfiel! Sonst pflegte eines der Mädchen an diesem Abend aufzuwarten, heute aber mußte er bleiben, teils um der Wahrung des Anstandes willen, teils um die Mysterien des Hauses nicht gleich am ersten Abend preiszugeben.

„Ich glaube, der Affe hat uns von vornherein um die Gunst der Tante gebracht,“ meinte mein Mann gedrückt, als die Ruhe unseres Schlafzimmers uns umfing.

„O nicht doch. Die Tante ist verbittert und grämlich, aber meiner Ansicht nach großherzig; sie hat sogar, was sonst nicht in ihrer Art liegen soll, den Kindern etwas mitgebracht; Liesen einen Tuschkasten und Fritz ein Zimmer-Aquarium.“

Das Aquarium fand seinen Platz am Fenster meines Boudoirs und Fritz konnte sich den ersten Tag nicht davon trennen. Es enthielt neben dem Urtiere der Aquarien, einem heiteren Goldfisch, einen ansehnlichen Molch und eine nette kleine Schildkröte. Fritz nahm die Schildkröte heraus, und da sie schleunig den Kopf einzog, meinte Liese, Fritz habe die Kröte hingerichtet, und fing bitterlich an zu weinen.

August, dem die Reinigung und Füllung des Aquariums – er nannte es Quararium – übertragen wurde, war der Neuerung nicht hold: „Na, heule man weiter, Liese – denn wenn ein Quararium ins Haus kommt, und es quarrt absulut nichts darin, muß doch ein anderer die Musik besorgen. Was hat sie Dir denn mitgebracht, die Tante, die partout am Sonnabend einpassieren mußte?“

Liese war schon wieder getröstet.

„Einen Tuschkasten hat sie mitgebracht und Bilderbogen mit Vögeln, Blumen und Arabesken.“

„Was für Sachen?“

„Arabesken.“

„Ah so – Arabestien! Vermutlich ’ne neue Sorte Viecher; mußt Dir deutlicher ausdrücken, mein Kind. Uebrigens kannst Du ihr ja denn gleich abmalen, die Arabestien rings herum und den Affen meinetwegen auf der Schulter; ich hoffe immer, der treibt uns die Tante aus dem Hause, noch vor dem nächsten Sonnabend.“ – –

„Wann sind Sie gewöhnt, aufzustehen, liebste Tante?“ fragte ich, nach dem Wunsche meines Mannes die lieblichste Miene und die sanfteste Sprache annehmend, wenn auch die beste Haube noch feierlicheren Gelegenheiten vorbehalten blieb.

„Punkt sechs; so hat es mein seliger Vater gehalten.“

Ach Du gerechter Gott! Die etwas vorgerückte Morgenstunde war ja meine schwache Seite. Und nun saß die Tante wirklich da, stramm und steif, und wartete auf den Kaffee, auf das „Unterhalten werden“, ohne daß eine Falte sich verschob, ein Knopf sich lockerte, ja ohne daß ein Haar sich rührte.

Logiergäste sind eine angenehme Sache, vorausgesetzt, daß sie das Bedürfnis fühlen, sich hin und wieder von ihren Wirten abzusondern. Der Uneingeweihte hat kein Verständnis für das Gefühl der Erleichterung, mit dem die Hausfrau dem für eine Weile verschwindenden Gast nachblickt. Die lächelnde Miene wird abgelegt, die Schürze vorgebunden, und nun geht’s schleunig ans Werk – Mayonnaisen-Sauce rühren, Gelee auflegen, Tischzeug ordnen, eine aufgeschobene Rüge erteilen und derlei hausfraulicher Pflichten mehr!

Meine Liebenswürdigkeit begann, wie mein Mann immer sagte, mit der Suppe von neuem; sie befand sich mit dem Braten auf der Höhe und ging bei dem Dessert stark bergab. Ich bin eben keine sehr kräftige Natur, und eine kleine Nachmittagsruhe war mir stets ein Bedürfnis.

„Nicht wahr, verehrte Tante, Sie schlafen ein wenig nach Tische?“

„Mein seliger Vater schlief nie nach dem Essen.“

Wehmütig flog der Blick zu meinem Manne hinüber; er hielt nach Art der Männer nichts vom „opfern“ und ignorierte den Blick, aber „Fräulein“ fing ihn auf, und Fräulein, obschon für ein Paar Augen voll Schlaf durchaus empfänglich, hielt tapfer aus!

Innerhalb der nächsten Tage hatten wir mit der Tante alles besprochen, was unsere beiderseitigen Interessen berühren konnte.

Ich kannte die Ansichten des seligen Vaters bei den verschiedensten Vorkommnissen des Lebens; ob aber der selige Vater den Papieren oder den Hypotheken zugeneigt gewesen, konnte ich noch immer nicht erfahren, dieweil er weder Hypotheken noch Papiere besessen, sondern nur den Säbel, „den vor ihm sein Vater trug“.

„Ich hoffe, liebe Tante, Sie haben sich nicht an den Aktien des Panamakanals beteiligt (der Besuch fiel in die Zeit vor dem Krach und Lesseps war noch „Größe“) – jedenfalls sollten Sie, falls Sie welche haben, diese schleunig verkaufen.“

„Beruhigen Sie sich über meine Papiere, Frau Nichte, sie sind sicher im Vaterlande geborgen; mein seliger Vater sagte immer –“

„Mama, ich glaube, der Affe hat Bauchgrimmen – arges Bauchgrimmen,“ greinte Fritz plötzlich hereinstürzend.

„Ach geh doch, ein Affenleib ist viel zu unbedeutend dazu – was sagte Ihr seliger Vater, liebste Tante?“

„Mein seliger Vater sagte immer: ,Bleibe im Lande und nähre dich redlich‘ und daran halte ich mich bei meinen Papieren fest.“

Dieser Ausspruch des seligen Vaters war mir nicht ganz neu und niedergeschlagen wandte ich mich Fritzens Kummer zu.

„Der Affe wird gewiß sterben, Mama,“ jammerte der kleine Mann, „und dann – dann sterbe ich auch.“

„Gottloser Junge,“ brauste die Tante auf. –

Wir gingen zu dem Bauer des Affen – es war leer; wir suchten im Hause, wir suchten im Garten, wir riefen und lockten, es war alles umsonst!

Endlich vernahmen wir ein leises Wimmern, und, der Richtung des Tones nachgehend, entdeckten wir, daß der jammernde Laut aus dem eine Treppe hoch gelegenen Zimmer der Tante kam.

Natürlich – da hatten wir die Bescherung! Auf dem Sofa lag, sorgsam ausgebürstet und ausgebreitet, Tante Kunigundens neuer, taubenblauer Flanellschlafrock: expreß zu dieser Reise angekauft, tadellos im Stoff, hochmodern im Schnitt und demgemäß geschont wie eben „mein seliger Vater“ die „erste Garnitur“ zu schonen pflegte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0610.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)