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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Unser nächster Brief trägt das Datum des 10. Mai dieses für Reuter reichgesegneten Jahres. Luise hat sich inzwischen mit ihm verlobt, wenn auch zunächst nur heimlich; an die Stelle des zaghaften „Sie“ ist das trauliche „Du“ getreten; der Sonnenschein froher Zuversicht auf eine gemeinsam zu erringende glückliche Zukunft leuchtet ungebrochen aus diesen Zeilen. Und zugleich tritt in ihnen eine andere Zuversicht hervor – die Ueberzeugung, dass die Ideale, für welche Reuter die lange, trübe Kerkerhaft erlitten, sich im Vaterland zu verwirklichen beginnen. Die Nähe des Jahres 1848, welches das erste Parlament Alldeutschlands ins Leben treten sah, kündet sich in diesem Briefe bei allem Bewußtsein der noch herrschenden Uebelstände in hoffnungsfrohen Lerchentönen an, und das Schlagwort seines demokratischen Fortschrittsglaubens „Alles für – alles durch das Volk“ überträgt er auf sein Herzensleben: „Alles für – alles durch meine Luise!“

  „Liebe, süße Luise,
Was soll ich Dir schreiben, was Dir sagen, um Dir den ganzen heißen Dank eines glücklichen Herzens abzustatten? wie können diese todten Zeilen wohl jenen Weg zu Deinem Herzen finden, den das lebendige Wort fand? Oh, Luise, hättest Du damals in meine Brust blicken können, Du hättest einen Abgrund von Seeligkeit geschaut, Du würdest stolzer Dein schönes Haupt erheben, weil Du die Schöpferin solcher Wonnen warst. Wie lieb’ ich Dich! wie denk’ ich an Dich, wie denk’ ich für Dich! Tausend Pläne für Dein Glück tauchen in mir auf, mit dem gläubigsten muthigsten Herzen verfolge ich sie, zu tausend Mühen und Entsagungen bin ich bereit, wenn es Dich, einen so herrlichen Preis, gilt. Oh fürchte Dich nicht, süßes, geliebtes Mädchen, Den nur erwarten Täuschungen auf dieser Erde, der das Glück außer sich selbst sucht, der den Gütern des Lebens einen so hohen Preis setzt, daß er sie auf Kosten seiner Ruhe zu erringen sucht; wir beide werden nicht getäuscht werden, wenn wir das Glück in uns selbst und Eins in dem Andern suchen. Unser Loos, was wir uns gar noch erst zwei Jahre hindurch zu erkämpfen haben, wird und kann nur ein sehr bescheidenes sein; aber es ist doch keine Niete, und am Schlusse unsers Lebens werden wir auch dankbar für das kleine Glück sein, was uns gefallen.

Liebe Luise, Gott hat die Zukunft unsers Glücks in eine schwere, hartbedrängte Zeit gelegt. Die Noth, die auf allen Klassen der Gesellschaft lastet, drückt uns freilich nicht unmittelbar, aber die Folgen können und werden sich gewiß auch auf uns erstrecken, die Erwerbung einer Brodtstelle, eines noch so kleinen Besitzes wird sicherlich sehr dadurch erschwert werden; aber so schwer wie augenblicklich, glaube ich, wird es gewiß nicht bleiben und darum vertraue auf mich, ich bin aus den Jahren des Unbedachts hinaus und die mannigfachen Erfahrungen meines Lebens können für Dich, was sie mich auch gekostet haben, nur seegensreich sein und wenn ich ins tiefste Innere meiner Seele blicke, so sehe ich dort den Entschluß und den festen Willen, Dich glücklich zu machen. Doch Du hast mir selbst gestanden, daß Du an meine aufrichtige Liebe glaubest, und dafür seegne Dich Gott!

Blicke um Dich, liebe Luise, es ist eine inhaltschwere Zeit, worin es dem Weibe wohl Noth thut, sich an den Mann anzuschließen, um nicht niedergetreten zu werden in dem rastlosen Treiben; es ist eine Zeit der Partheiung, ein Ringen nach einem neuen Werden nicht etwa auf der Oberfläche der Welt, nein in deren tiefstem Grunde, in die bescheidensten und verborgensten Verhältnisse dringend, zugleich hoffnungsreich und furchterregend. Diese Zeit ist für jeden denkenden Menschen verderbenschwangerer, als das brausende Meer, als der tückische Vulkan; darum, liebes Mädchen, schließe Dich an an einen Mann, der den Willen und will’s Gott, auch die Kraft hat, Dich zu schützen gegen die Stürme der Zeit. Die Könige und die Gewaltigen dieser Erde schwingen ihre modernden Paniere mit dem Rufe „Alles für das Volk“; aber man glaubt ihnen nicht mehr. Das selbstständig gewordene Bürgerthum schaart sich um die Vertreter der Intelligenz mit dem Rufe „Alles durch das Volk“. Das sind die Stichworte der beiden Partheien und nie haben sich feindlichere gegen einander über gestanden. Wo ist hier eine Versöhnung möglich, Partheien haben nie den Geist der Liebe gekannt, durch den allein die Versöhnung möglich wird. Aber was hat dieser Brief, was mein jetziges Leben und Sein mit der Politik zu thun? Ich habe nur ein Ziel, für das ich streite, nur ein Gegenstand erfüllt mich ganz und das ist Deine Liebe; dort herrscht keine Parthei, dort geht Eins in das Andere auf, nur für meine Luise denke, fühle und bin ich, nur Dein Glück ist mein Zweck und nur durch Dich will ich selber glücklich werden. Also: „Alles für meine Luise“ und „Alles durch meine Luise“!

Holdes, süßes Mädchen, es giebt gewiß in dem Leben jedes Menschen Momente, in die sich die ganze Zukunft zusammendrängt, in denen sich der Keim zukünftigen Glücks und Unglücks entwickelt. Heil dem Menschen! den Gott befähigt, solche Stunden zu erkennen, heil mir! daß ich einer dieser Auserwählten geworden bin und daß ich fort und fort an diese Wahrheit geglaubt habe. Der Augenblick, in dem ich Dich zum erstenmale in R: sah, war ein solcher; mit welcher Ueberraschung, ich kann wohl sagen Staunen, erblickte ich Deine hohe schlanke Gestalt, mit welcher Ahnung zukünftiger Wonne sog ich den reizenden Ausdruck Deiner lieblichen Züge in mich, lauschte ich dem Wohllaute Deiner Stimme, Deines Gesanges und wie durchfuhr mich der Gedanke an Liebe zu Dir. Und Du hast geglaubt ich sei kalt? und Du hast geglaubt, es sei diese Liebe nichts anders als eine grundlose Hartnäckigkeit des Vorsatzes? Was Du für Kälte hieltst war der Ernst und die Wahrheit meiner Liebe, war das Gefühl der Ehrerbietung, das in meiner Brust durch die Ueberzeugung reiner Liebe erweckt werden mußte, was Du für Caprice hieltst war die Stärke dieser Ueberzeugung und der Glaube daran und der Entschluß, doch fest zu halten, sei’s an dem Glück, sei’s an dem Unglück, wenn’s nur von Dir herrührte. Ich liebe Dich mit einer Gluth, von der Du keine Ahnung hast, Du bist bei mir des Tags unter den Menschen, Du bist bei mir in der Stille der Nacht, in meinen Träumen. Mein Leben ist in zwei Hälften getheilt, in die Erinnerung an Dich, an die Stunden, in denen ich mit Dir allein war und in die Hoffnung auf Dich, auf die Stunden, in denen ich mit Dir allein sein werde. Die Gegenwart geht spurlos an mir vorüber, sie berührt mich aber deswegen auch nicht unangenehm, ich bin heiter und fröhlich, denn ich glaube an eine noch schönere Gegenwart, und der einzige Kummer, den ich habe, ist der Gedanke, daß Du, mein Leben, meine Liebe, daß Du leidest, daß für Dich die Gegenwart drückend und verletzend sei, daß der Trübsinn Dich beschleichen und Deine Gesundheit untergraben kann.

Entschuldige mich bei Herr und Madame Schweer, daß ich heute nicht an sie geschrieben habe, ich habe es wirklich sehr eilig und überhaupt jetzt viel zu thun. Die Doctorin Liepmann habe ich in Stav. gesprochen, muß aber leider gestehen, daß ich sie sehr schwach und sehr verändert gefunden habe. Die allgemeine Stimme hat sie aufgegeben; ihren Mann habe ich nicht darnach fragen mögen. Sie war zwar auf und schien sehr heiter; aber man sah ihr Leiden deutlich.

Nun lebe wohl, mein holdes Mädchen, gedenke meiner, wie ich Deiner gedenken will und schreibe bald, ob Du noch so freundlich gegen mich gesonnen bist, wie Du es warst; was Du denkst, was Du hoffst, was Du fürchtest; Du weißt, daß es eine Brust giebt, die mit Dir alles fühlt. Luise, ich bin Dir auch gar zu gut! Lebewohl! Auf immer

Dein F. Reuter. 

Thalberg d. 10ten May 1847.

Den Ring meiner Mutter schicke ich Dir lieber nicht, ich bringe ihn Dir selbst, hoffentlich Michaelis, wenn ich bei Deinen Eltern gewesen bin. Liebes, liebes Mädchen!“


Wir sehen, ein Schatten trübt doch auch jetzt das selige Liebesglück, das Reuter dem Jawort seiner Luise verdankt: sie ist leidend. Die Sorge, daß für sie die Gegenwart drückend und verletzend sein, daß der Trübsinn sie beschleichen und ihre Gesundheit untergraben könne, ist aber nicht etwa in ihrer Liebe zu Reuter, sondern in ihrer eigenen Lage begründet. Sie hat um diese Zeit ihre Stellung bei Augustins in Rittermannshagen aufgegeben und inzwischen Unterkunft oder eine neue Stelle bei den obengenannten Schweers gefunden, die wie dem nächsten Briefe zu entnehmen ist – in Ludwigslust wohnten. Diese Sorge um ihr Wohlergehen verbündete sich in seinem Herzen mit der Sehnsucht, sie in seiner Nähe zu haben. Die treue, vielbewährte Freundschaft seines allzeit hilfsbereiten Peters und seiner Frau, mit der sich Reuter nicht weniger gut stand, fand auch hierfür die richtige Lösung. Sie luden die Braut ihres getreuen „Statthalters“ ein, bis zu ihrer

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