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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„So so? Helfen?“ Schorschl streifte mit schiefem Blick die blaue Schürze, die sich im kalten Morgenwind unruhig bewegte. „Helfen? So? … Wie gestern vielleicht? … Und mir willst helfen?“

„Dir?“ Vronis Augen schossen einen finsteren Blick. „Na! Dir net! … Der armen Bäckin aber gern!“

„So so? Der Bäckin? … Mir also net?“

Da fuhr sie ihn zornig an: „Der Bäckin, hab’ ich g’sagt!“

„Ich dank’ schön! Der Bäckin hilf ich selber! B’hüt Dich Gott!“

Mit diesem Gruß ließ Schorschl das Mädchen stehen, ging auf die Straße hinaus und eilte ins Wirtshaus hinüber, um das Eis zu holen.

Verblüfft und geärgert sah ihm Vroni nach. Schon wollte sie den Hof verlassen, aber da kam ihr in Gedanken die Frage: „Was kann denn die arme Bäckin dafür? Daß ihr so einer helfen muß!“ Sie ging zum Brunnen, spülte das Geschirr, wusch die Handtücher, daß kein Flecklein mehr an ihnen war, und trug die Sachen in die Schmiede. „O Du mein lieber Herrgott!“ stammelte sie bewegt, als sie bei dem Zwielicht, das die graue Morgenhelle und ein in der Esse flackerndes Holzfeuer in dem großen, rußgeschwärzten Raum verbreitete, die schwer geprüfte Frau in den von Schorschl aus dem ganzen Haus zusammengeschleppten Decken und Kissen auf der Erde liegen sah. Da man ein für ihren Umfang passendes Gewand zum Austausch für die durchnäßten Kleider nicht hatte auftreiben können, hatte man sie in zwei zusammengeheftete Leintücher und in den weiten, schweren Wintermantel gehüllt, der noch von Schorschls Vater und Großvater stammte. Ein nasser Umschlag bedeckte ihre Stirn, die Augen und das halbe Gesicht; kraftlos lagen die rund gepolsterten Hände auf der Decke und glühten von heißem Fieber.

„Schorscherl?“ lispelte die Kranke, als sie den Schritt des Mädchens auf der Schwelle hörte.

Mit zitternden Händen stellte Vroni das Geschirr auf den Amboß und sagte leis: „Ich bin’s, Bäckin, die Simmerauer-Vroni!“

„So? … Wo is denn mein Schorscherl?“

„Ins Wirtshaus is er ’nüber ’gangen, für Dich ein bißl ein Eis holen, weißt!“

„Kommt er bald wieder?“

„Ja, Bäckin!“ Vroni hatte sich auf die Kniee niedergelassen und streichelte die heißen Hände der Kranken. „Gleich wird er wieder da sein! Gleich!“

Da atmete die Bäckenmahm’ tief auf und ein mattes Lächeln huschte um ihre Lippen. „Mein Schorscherl! … Gott sei Dank, daß ich den noch hab’! … Und so viel ungut bin ich g’wesen zu ihm, wie er mich braucht hätt’!“ Sie hörte einen Schritt. „Kommt er schon?“ Aber es war die Magd, die aus der Küche kam und eine Schale mit Fleischsuppe brachte.

Thränen waren in Vronis Augen getreten. Hätte ihr die Bäckin eine lange Stunde das Lob des Daxen-Schorschl vorgesungen, es hätte bei Vroni nicht so tief gewirkt wie dieses erleichternde Aufatmen der Kranken, wie dieses matte Lächeln und der dankbar zärtliche Klang dieses kurzen Namens: „Mein Schorscherl!“

Mit fürsorglicher Geschäftigkeit war sie der Magd behilflich, um der Kranken die Suppe einzuflößen Dann erhob sie sich und versprach „ganz g’wiß“, recht bald wieder nachzuschauen, wie es der „lieben Bäckin“ ginge.

Als sie in den Hof hinaus trat, kam ihr Schorschl mit dem Eis entgegen. Sie nickte ihm zu und sagte: „B’hüt Dich Gott, Schorschl! Jetzt muß ich heim … aber die Handtücher hab’ ich Dir noch g’schwind ausswaschen! B’hüt Dich Gott!“

Er machte große Augen und schien nicht recht zu wissen, wie ihm geschah. Und während er kopfschüttelnd in die Schmiede trat, brummte er, was vom vergangenen Tag her seine Lippen so gewohnt waren: „B’hüt Dich Gott, Katzerl!“

Unwillig blieb Vroni stehen. „Katzerl! Allweil wieder: Katzerl!“ murrte sie. „Ich möcht’ nur wissen, was er denn eigentlich hat mit dem unsinnigen G’red da!“ Sie machte Miene, wieder umzukehren, um sich diesen zweifelhaften Kosenamen allen Ernstes zu verbitten.

Aber da sah sie, daß es durch die grauen Lüfte weiß und gaukelnd niederfiel – erst waren es nur ein paar vereinzelte Flocken – aber droben in der Höhe lösten sich alle Wolken schon in licht herniedersinkknde Schleier.

Mit warm aufquellender Freude dachte Vroni an die Ihrigen zu Hause. „Gott sei Lob und Dank! Der Winter is da!“ Sie begann zu laufen, daß ihre Röcke flatterten, und als sie an dem noch rauchenden Brandschutt des Bäckenhauses vorüberkam, wirbelten ihr die weißen Flocken schon in dichtem Tanze um den Kopf.

Straß’ auf und ab tönte das lustige Geschrei der Schulkinder, welche ihre Ränzlein und Taschen zu Boden warfen, um den ersten noch dünn liegenden Schnee von den Bretterplanken der Zäune zu streifen und die nassen Ballen mit sicher gezieltem Wurf hinter ein ahnungsloses Ohr zu pflanzen. Das kreischende Spiel setzte sich von der Straße in alle Gärten fort, sogar auf die Brandstätte, deren qualmende Ruine den tollenden Humor der Kinder nicht zu beeinträchtigen vermochte. Höchstens, daß das eine und andere ein paar Sekunden stehen blieb, um mit scheuem Blick die kahlen, rauchgeschwärzten Mauern zu überhuschen – dann ging’s aber gleich wieder mit Lachen und Kreischen in das lustige Treiben hinein. Und da gab es nun plötzlich für die Kinder ein großes, wundersames Ereignis! Ein Junge, der im Garten der Brandstätte den Schnee zu einem Ballen zusammenraffte, hatte einen Apfel gefunden. Das wäre nun allerdings für die Kinder nichts Neues und Erstaunliches gewesen. Aber der Apfel war gebraten! Freilich kalt – aber wunderschön gebraten, so recht wie der ideal gebratene Apfel sein soll: auf der einen Seite schön weich, auf der anderen Seite noch etwas fester, damit man doch Abwechslung im Genusse hat!

Zuerst betrachtete der Junge seinen merkwürdigen Fund mit verblüfften Augen; dann dachte er sich: probieren geht übers Studieren – und grub alle Zähne in den Apfel. Das schmeckte so gut, daß der Junge schmatzte vor Vergnügen. Er rief sein Schwesterchen und ließ es am Apfel beißen – die anderen Kinder sammelten sich mit neidischen Blicken um das Pärchen – und plötzlich machte jenes Bürschlein, das für den Daxen-Schorschl nicht zum Wirt hatte gehen wollen, weil es „in die Schule mußte“, die aufregende Entdeckung, daß all die vom Feuer versengten Bäume im Garten der Bäckin noch voll von gebratenen Aepfeln hingen. Da gab es nun, während lustig die Flocken tanzten, bis in die höchsten Aeste hinauf ein Klettern um die Wette und der Lehrer in der Schule hatte lang’ auf seine Schüler zu warten. Wie ein lärmender Spatzenschwarm hockte die Kinderschar im Gezweig, speiste die gebratenen Aepfel vom Baum und ergötzte sich an der wundersamen Schlaraffiade, zu der sich das Unglück der Nacht verwandelt hatte.

Man konnte das Jauchzen und Kreischen der Kinder bis hinüber zur Daxen-Schmiede hören, in welcher die arme Bäckin auf ihrem Schmerzenslager ruhte.

(Fortsetzung folgt.)


Fritz Reuters Briefe an seine Braut.

Nach den Originalen im Nachlaß der Witwe.
Erläutert von Johannes Proelß.

  (1. Fortsetzung.)


Von der Antwort, die der Dichter auf den ersten Brief an das Mädchen seiner Liebe von diesem empfing, ist uns leider ebensowenig erhalten geblieben wie von all den anderen Herzensbekenntnissen, durch welche Luise als Braut ihren Erwählten erschütterte und beglückte. Aber aus des Empfängers nächstem uns erhaltenen Briefe läßt sich erkennen, daß sein treues Werben auf keinen hartnäckigen Widerstand stieß, und daß, als sie beide im nächsten Frühjahr sich wiedersahen, die Zweifel und Bedenken soweit überwunden waren, um dem natürlichen Drange inniger Herzensneigung zu weichen. Rittermannshagen liegt Thalberg und Stavenhagen nahe genug und Reuter genoß genug persönliche Freiheit, um ein öfteres Zusammentreffen mit der Geliebten zu ermöglichen. Und alle Lust und Wonne, welche der Wiederschein und Wiederhall des jungen Lenzes in glücklich liebenden Herzen weckt, alle Poesie, die in blühenden Geißblattlauben und im Schatten frischgrünender Linden bei Küssen und Kosen ein frohes Liebespaar überkommt, ist in jenem Frühjahr 1847, trotz aller gemeinsamen Sorgen, unserem seligaufatmenden Freund und seiner Braut zu teil geworden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0600.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)