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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

war es um den Nachahmungstrieb, dessen Sprichwort und Naturgeschichte erwähnen, übel bestellt.

„Ich möchte das arme Tier am liebsten den Leuten abkaufen,“ warf ich, hingenommen von Mitleid, hin.

„Kaufe ihn, Mama, ach, bitte, kaufe ihn,“ faßte Fritz das Wort auf, und seine Arme umklammerten meinen Hals.

„Was, kaufen? – Dieser Affe ist mir mehr wert wie tausend Thaler Geld,“ sagte der Mann, schob die Husarenmütze zurecht und den niedergeschlagensten aller Affen unter den Arm; worauf er, mit Hinterlassung seiner Verachtung, abschiedslos von dannen zog.

Allerlei Haushaltungssorgen und Berechnungen hielten mich noch am Schreibtisch fest, als die Kinder längst zur Ruhe waren und das energische Schnarchen meines Mannes mir den tröstlichen Beweis gab, daß seine kräftige Natur die Sorgen wenigstens im Schlaf unterbekam. Die Fenster standen offen, ein schwüler Wind blähte die Gardinen sanft um mein Haupt, und allerlei Töne klangen trotz der anbrechenden Nachtstunde von außen herein.

Auf der andern Seite des Weges, dem Dorfe zugehörend, lag eine vor kurzem erbaute Schenke – den Bewohnern zur Freude, meinem Manne zum „Sargnagel“, wie er immer sagte; er neigte in seinen Auffassungen zuweilen der Hyperbel zu. In einer Beziehung jedoch hatte der Sargnagel eine gewisse Berechtigung – und diese Beziehung führt zu August herüber.

Treu wie Gold war der Alte – geschickt als Diener, großväterlich mit den Kindern. Aber der dunkle Punkt in seinem Leben war eine Vorliebe für alle ins Spirituöse hinüberschweifenden Flüssigkeiten jeglicher Art, „dieweil der Trunk ein großes, aber doch so ganz prachtvolles Laster sei“, wie er in reuevoller Stunde dereinst zu „Fräulein“ sagte.

Nach vielen fruchtlosen Ermahnungen unsererseits schaffte der Abschluß eines Kompromisses für einige Zeit Ruhe. August sollte sich demnach verpflichten, sechs Tage in der Woche die Schenke zu meiden – wogegen der Sonnabend von sieben Uhr an sein Sonnabend sein sollte und wenn er dann Sonntags die Augen ein wenig länger zudrückte, nun so drückten wir eben auch ein Auge zu.

Im Uebertretungsfalle war sofortige Entlassung zu gewärtigen – und August kannte meinen Mann!

An jenem erwähnten Abend nun führte der Wind von der Seite der Schenke her dieselbe Musik herüber, die August für unser adliges Haus als nicht passend befunden hatte. Dazwischen schallten die häßlichen Tone trunkener, sich zankender Menschen – und – hörte ich denn recht? Augusts Stimme war ja auch dabei! Beim Trinken mit dabei – ohne jeden Zweifel!

Die Entdeckung war mir im höchsten Grade fatal. Einmal wegen der Aussicht, mich innerhalb vierundzwanzig Stnnden ohne Diener behelfen zu müssen, und zweitens wegen des Vertrauensbruches von seiten des Alten. Eben erwog ich im Geiste, ob ich, den bequemen Weg der Feigheit einschlagend, thun solle, als habe ich nichts gehört, oder ob ich, den unbequemen Pfad der Pflicht wandelnd, meinem Manne zu all den andern auch noch diese Unannehmlichkeit aufbürden solle, als ein leises Klopfen an meiner Thür ertönte, und auf mein „Herein“ August in eigner Person vor mir stand.

„Du kommst aus der Schenke, August!“

„Zu Befehl, gnädige Frau, zu Befehl!“

„Aus der Schenke – und wir haben heute erst Montag! Daß ich das von Dir erleben muß! Du bist nun zweiundvierzig Jahre in unserm Dienst.“ –

Dreiundvierzig, gnädige Frau.“

„Natürlich muß ich das dem gnädigen Herrn sagen.“

„Natürlich müssen das die gnädige Frau dem gnädigen Herrn sagen; es ist doch aber ein Unterschied, ob man als leibhaftiger Sünder mitmachen thut, oder ob man sich bloß die Sünderei von den andern durch die Fenster betrachtet; gnädige Frau, es ist doch eine total verächtliche Kreatur solch ein betrunkener Montagsmensch.“

„Na, na, August!“

„Total verächtlich, gnädige Frau! Denn der Sonnabend, das ist eben der Sonnabend – und wie sich der liebe Gott gefreut hat, nachdem er alles fertig gemacht, so freut sich unsereins auch, wenn er alles schön zum Sonntag gepicht hat, Fenster und Schlösser – und ich meine, daß die Art und Weise, wie die Kreatur sich freut, unserm lieben Herrgott nicht einerlei ist.

Warum ich mich aber unterstanden habe, die gnädige Frau zu stören: das besoffene Pack da drüben – Pfui über das Laster! – hat nämlich den elenden Affen gerade vor, und ich denke nicht, daß ihm das zum Segen gereicht. Ein Bein hing ihm schon so ganz verdächtig schief, und was der Vagabonde ist, dem er gehört, der schlägt ihn jetzt für ein Billiges los, weil über kurz oder lang für den krepierenden Affen keiner mehr einen Heller riskieren wird. Wir haben ja oben auf der Lucht[1] noch das Bauer, wo der Eichkater und der Spachheister drin gewohnt haben.“

„Hole den Affen, August; wird er für zehn Mark zu haben sein?“

„Na, ich denke, für fünf mit Kußhand. – Aber morgen – unser Fritz! – Ich sag’ bloß – die Augen!“


Der Affe lag in meinem Arm.

Zunächst zog ich ihm die schlecht sitzende Jacke aus, befreite ihn dann von dem harten Riemen, und als ich das verstauchte Beinchen vorsichtig berührte, machte ich die Wahrnehmung, daß ich leicht angefletscht wurde, welchem Fletschen ein ganz leiser Biß in den Finger folgte – gleichsam nur der Schatten eines Bisses, aber als ein Zeichen erwachender Energie durchaus erfreulich.

Ich machte ihm ein Lager zurecht, in das er sich mit leise wimmerndem Ton einnestelte, und als am andern Morgen mein erster Gang mich an das Affenbett führte, hatte ich die Genugthuung, daß nach eingenommenem Frühstück ein fetter Brummer eines teilnahmsvollen Nachschauens würdig befunden wurde. Es hatte mich aber, nächst dem Blick der Liebe aus den Augen von Mann und Kindern, seit langer Zeit nicht etwas so gefreut wie dieser Blick, aus Affenaugen einem fetten Brummer nachgesandt!

Leider entsprach das Bauer, darin der Eichkater und der Spachheister – wie bei uns Eichhorn und Elster heißen – gewohnt hatten, den gehegten Erwartungen nicht ganz, denn das lose Drahtgeflecht zeigte immer eine schwache Stelle, durch die es dem genesenden Affen gelang, ins Freie zu kommen. Und mit diesem Freiheitsdrang fing unser Leiden an.

Verhältnismäßig ruhig war die Zeit, wo er noch krank war, gewesen, und sehr zum allgemeinen Frieden trug die Gesellschaft eines Kätzchens, das wir hin und wieder in das Bauer setzten, bei.

Der Affe nahm es sofort an Kindesstatt an. Er streichelte es, drückte es an sein Herz, und – „lauste“ es mit bewunderungswürdiger Ausdauer, für welchen vulgären Ausdruck nur die eine Entschuldigung gelten kann, daß er eben in den Rahmen eines echten Affenbildes hineingehört.

Die Idylle spielte jedoch nicht lange. Das Kätzchen zog unangenehme Saiten auf; es buckelte, pfauchte – und als die erste Ohrfeige mit Krallen die Affenwangen empfindlich getroffen, löste sich das Verhältnis im Zorn. Der Affe nahm das einstige Adoptivkind beim Schwanz, hart an der Spitze, und schwang es kräftig und rücksichtslos wie einen Perpendikel.

Das war die Zeit der Ruhe!

Mit der Wiederkehr völliger Gesundheit nahm der Freiheitsdrang in Jocko zu. Das Verhältnis zu unserem Fritz wurde dabei intimer! Sowie er seine Stimme vernahm, gebärdete er sich wie rasend. Immer gelang es einem von beiden das Bauer zu öffnen, und mannigfach waren die Freuden ihres Beisammenseins in Haus und Garten.

Ein von Jocko besonders bevorzugtes Vergnügen war das Schaukeln.

Leider erwählte er mit Vorliebe eine Ampel, in deren Schale er gerade Platz hatte. Unsere vielfachen Bemühungen, durch einen hingehaltenen Besen oder sonst ein Instrument dieser Art ihn zum Abstieg zu bewegen, ließ er völlig unbeachtet. Er schaukelte sich ja sanft; aber Besorgnis erregend in hohem Grade war der Gedanke, daß der Affe, mit plötzlichem Satz die Ampel verlassend, sich auf einen benachbarten Schrank schwingen könnte – gleichwie Tell dereinst sich auf die Felsenplatte schwang, das Boot in Nacht und Verderben hinausstoßend!

Ein anderer Sport galt dem Aufenthalt auf der Höhe der Gardinenstange, ein Aufenthalt, dessen größter Reiz für Jocko offenbar in der Art des Absteigens bestand. Durch die Thatsache, daß das alte Gewebe mehr Schein als Sein repräsentierte, begünstigt, bedurfte es von seiten Jockos nur des Einhakens eines seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0594.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)
  1. Ostpreußischer Provinzialismus für „Dachboden“.