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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Dichterkraft und Poetenbestimmung gab seinem Werben hinreißende Macht. Während er daran ist, seine erste, noch hochdeutsche, humoristische Schilderung aus dem heimatlichen Volksleben für den Druck fertigzustellen, die geistreich heitere Satire „Ein gräflicher Geburtstag“, die 1846 in dem von W. Raabe herausgegebenen Jahrbuch „Mecklenburg“ erschien, findet er den Mut, der Geliebten sein Herz zu enthüllen und sie einzuweihen in seine Hoffnungen für die Zukunft und die Hoffnungslosigkeit seiner gegenwärtigen Lage. Ein Fest in Demzin bei seinem früheren Lehrherrn, zu welchem sie beide eingeladen waren, bot die Gelegenheit. Eine leidenschaftliche Aussprache erfolgte; er rief ihre Liebe an als die ihm von Gott bestimmte Retterin aus all seiner seelischen Bedrängnis. Wohl fühlte sich Luise zu dem stürmischen Bewerber hingezogen, tiefe Teilnahme erfüllte sie für sein Schicksal, das ihn so schwere Prüfungen schon hatte ertragen lassen, aber mächtig waren auch die Bedenken, die sich in ihr gegen ein übereiltes Verlöbnis mit dem so liebenswürdigen und doch auch so abenteuerlichen Manne auflehnten. Vergeblich bemühte er sich, dieselben schon jetzt zu beseitigen; aber dem halb „erzwungenen Kusse des Mitleids“ folgte doch schon jetzt die Erlaubnis, ihr schreiben zu dürfen, und die Zusage, ihm antworten zu wollen. Die ihm wohlgesinnte, schöngeistig veranlagte Frau seines Arztes in Stavenhagen, Dr. Liebmann, hatte er ausersehen, die Vermittelung des heimlichen Briefwechsels zu übernehmen.

Die Begegnung hatte am Tage vor seinem sechsunddreißigsten Geburtstag, am 6. November 1846, stattgefunden. Noch am Abend desselben Tages setzte er sich hin, ihr zu schreiben. Dieser erste Brief ist in drei verschiedenen Abschnitten teils in Thalberg, teils in Stavenhagen, wo seine Schwester Lisette ihm eine Stube bereit hielt, am 6., 7. und 9. November geschrieben. Er ward von einer kräftigen Reaktion seines Selbstgefühls auf die Bedenklichkeit der Geliebten diktiert. Mündlich hatte er ihr seine Fehler, seine Schwächen, seine unglückliche Lage gestanden; jetzt hat er das Bedürfnis, ihr zu sagen, daß er sich dennoch ihrer Liebe wert hält. Leider fehlt der Anfang des Briefes; doch geht aus einer späteren Stelle hervor, daß er poetischen Inhalts war; die erste Seite des uns Erhaltenen hebt an mit dem Schluß eines Satzes, der auf seinen Beitrag in Raabes Mecklenburger Jahrbuch hinweist. Noch giebt er sich ganz als Landmann, der das Glück, das er für sich und die Geliebte erhofft, an die Bewirtschaftung eines Gutes gebunden glaubt; aber dieser Landwirt ist ein Reformgeist, der zur Zeit, statt seinen eigenen Acker zu bestellen, seine Kräfte den allgemeinen Interessen der Landwirtschaft widmet, er ist ein Poet, welcher der ländlichen Welt die Bilder zu dem Bekenntnis entnimmt, daß sein Herz einem wohl guten, aber verwilderten Acker gleiche, den von allem Unkraut zu befreien, die Bestimmung der Geliebten sei. Und dieser Poet wird zum Propheten: das ganze Schicksal seiner Ehe, wie sie sich später nach fünf Jahren des Langens und Bangens zu gestalten begann, findet sich in dem Schluß dieses Gedichtes vorgezeichnet: wenn sie erst den Acker gejätet haben werde, dürfte er einst ihr reiche Ernte tragen – tausendfältig! Doch hören wir den Dichter nun selbst:


„…. Die Richtung, die ich einschlage, und mit mir eine gewisse Anzahl anderer, ich kann dreist sagen, intelligenter Landleute, wird von den Anhängern der alten Schule bespöttelt und als Bücherwissen lächerlich gemacht; aber glauben Sie mir, das ist nichts anders, als das Gefühl der Unlust dieser alten Schiendrianisten, das in ihnen durch die Betrachtung hervorgerufen wird, ihre Art zu wirthschaften habe sich überlebt und sie selbst seien zu alt, zu bequem oder zu reich, um den neuen Weg einzuschlagen. – Sehen Sie, da haben Sie sogar eine Art landwirthschaftlichen Glaubensbekenntnisses. Nicht wahr? ich erschöpfe Ihre Geduld, erst mit Poesie und nun mit Landwirthschaft. –

Gute Nacht, süße Luise, ich werde diese Nacht gewiß träumen von 6–8 Last culturfähigen Bodens und dreischüriger Wiesen und von mir als Herrn darauf und von Ihnen als meiner Herrin. Und über Jahr und Tag soll’s kein Traum mehr sein, sondern die handgreifliche Wirklichkeit, wenn Sie es so wollen. Darum gute Nacht! schöne Herrin der 6 Last culturfähigen Ackers und der dreischürigen Wiesen und möge der lustige Gott der Träume mich Ihnen vor die Augen führen in landwirthschaftlichen Stulpenstiefeln und Sporen und grünem goldbeknopften Jagdschniepel, die Reitpeitsche in der Hand und den Mund voll Sport, damit Sie morgen lachen können und meinen Geburtstag heiter begehen; – ach! wie gerne hörte ich Sie lachen! Gute Nacht!


      d. 7ten Nov.

Mädchen! rief der Vater seinen Kindern,
Will euch geben den verheißnen Acker,
Daß ihr reiche Erndten drauf gewinnet,
Reich an Garben und an weichem Flachse,
Weiße Brodte euch daraus zu backen,
Weiße Linnen euch daraus zu weben. –
Und die Mädchen folgten froh dem Vater,
Der sie führte auf die weiten Felder
Und aus seinem Reichthum jeder theilte.
Jeder ward ein Acker angewiesen,
Frei von Unkraut und von Dorn und Diesteln,
Reinlich, schimmernd lag er ausgebreitet,
Reiche Erndten ohne Müh’ verheißend.

Und nur noch die Lieblingstochter harrte,
Ihres Looses auf dem Feld gewärtig.

Und der Vater nahm die liebe Tochter,
Führte sie durch Dornen und Gestrüppe
Hin zu dem ihr längst bestimmten Acker.
Zweifelnd blickt die Tochter auf zum Vater,
Ob wohl richtig sie sein Wort verstanden,
Zitternd fragt sie, zagend, seine Augen,
Ob wohl Strafe ihr entgegen drohe;
Denn so einsam lag der wüste Acker,
Ganz von Dorn und Diesteln überwildert,
Sorge viel und wenig Frucht verheißend.
,Hab’ ich darum auf das Glück gehoffet,
Hab’ ich darum Dir so treu gehorchet,
Hab’ ich darum Dich so reich geliebet,
Daß mein Loos so hart Du mir bestimmest?
Meine Schwestern hast Du hoch beglücket,
Hör’ ihr frohes Jauchzen in der Ferne,
Jubelnd haben sie die goldnen Saaten
In die offnen Furchen eingestreuet,
Und mit Blumen ist ihr Haupt umkränzet.
Warum hast Du mich also gestrafet,
Warum hast Du mich so tief betrübet,
Die Dich doch so innig hat geliebet?‘
Und der Vater sah der lieben Tochter
Lange, tröstend mild ins bange Auge.
‚Jäte!‘ sprach er, ‚diesen wilden Acker;
Wo das Unkraut also üppig sprießet,
Wird die goldne Saat sich üppig breiten;
Nicht die Fläche giebt der Pflanze Leben,
In der Tiefe sucht sie ihre Säfte,
In der Tiefe wirken alle Kräfte,
Nicht die Fläche wird die Erndte geben;
Wo die Wirkung trozig überfließet,
Da wird Armuth nicht im Boden sein,
Kraft ist nöthig, daß das Unkraut sprießet,
Kraft ist nöthig zu der Saat Gedeih’n!

Darum jäte, liebes gutes Mädchen,
Jät’ den wilden Acker meines Herzens,
Daß er reiche Erndten Dir einst trage,
  Tausendfältig!

Haben Sie heute meine Bitte erfüllt und das Lied gesungen, um das ich bat und auch zur Zeit der Dämmerung, dann haben sich unsere Gedanken begegnet.


      Stav., d. 9ten Nov.
Da bin ich nun wieder, geliebte Luise, auf meiner stillen Stube und bin eingezogen mit sehr viel Lust zum Guten und vielem Dank für das Gute; und in mich ist eingezogen eine große, zufriedene Ruhe, eine Behaglichkeit des innern Menschen, eine Liebe zu stiller Betrachtuug der eigenen Seele, von der der große Dichter singt:

Verlassen hab ich Feld und Auen,
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
Mit ahnungsvollem, heil’gem Grauen
In uns die beß’re Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe
Und jedes ungestüme Thun;
Es reget sich die Menschenliebe,
Die Liebe Gottes regt sich nun.
Und wenn in unsrer engen Zelle
Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann ist’s in unserm Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blüh’n,
Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach des Lebens Quellen hin!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0591.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)