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demselben Blatte, das vor 22 Jahren zuerst der Nation bekannt gab, was diese edle deutsche Dichtersfrau ihrem Manne gewesen ist. Und wer nun diese Liebesbriefe Reuters, von denen bisher durch Wilbrandt nur einige wenige teilweis veröffentlicht wurden, im Zusammenhange liest, der wird mit Erstaunen und gewiß auch inniger Sympathie erkennen, wie zart und glühend seine „etwas derbe plattdeutsche Person“ in der Zeit, da er mit heißer Inbrunst um Liebe warb, seine Gefühle zu äußern wußte.

Er wird mit uns fühlen, wie der urwüchsige, kernhafte Poet, der in unserer Litteratur als der größte Humorist des Jahrhunderts dasteht, die heilige Glut der Liebe noch inniger empfunden hat als so mancher andere Dichter, der nach Minnesängerart seine Leier zeitlebens zum Preise der Liebe gerührt hat. Und nicht ohne ein leises Lächeln wird er daneben wahrnehmen, wie die spätere „derbe plattdeutsche“ Art des Dichters seinen damaligen Antrieben doch nicht entsprach, sondern diese letzteren, wie die dem ersten unserer Briefe eingeflochtene Parabel und andere Gedichte an seine Braut, die erst kürzlich veröffentlicht wurden, beweisen, fein hochdeutsch bethätigte – wenn auch nicht gerade in „amaranthener“ oder „veilchenblauer“ Farbenstimmung.

Drei Werke sind im letzten Jahre hervorgetreten, welche über die Jahre Reuters, aus denen seine Briefe an die Braut stammen, nähere Auskunft geben und daher zur Erläuterung derselben wertvolles Material bieten. Es sind die Bände: „Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen“ von Karl Theodor Gaedertz, der sich schon durch seine „Reuter-Reliquien“ und „Reuter-Studien“ ähnliche Verdienste erwarb, „Fritz Reuter in seinem Leben und Schaffen“ von A. Römer und „Wahrheit und Dichtung in Fritz Reuters Werken“ von Gustav Raatz. Alle drei Bücher sind mit Porträts und Ansichten geschmückt, die uns den Dichter, seine Angehörigen und Freunde und seine mecklenburgische Heimat vergegenwärtigen, zum Teil nach Originalen von Reuters Hand. Es soll unsere Aufgabe sein, auf Grund dieser Feststellungen den Inhalt der Briefe an seine Braut dem Verständnis der Leser noch näher zu bringen.


Die tragischen Nachwirkungen seiner „Festungszeit“, welche dem Dichter die Gründung eines eigenen Herdes so schwer machten, wurden ebensosehr von der Unsicherheit seiner Existenz wie von dem Leiden verursacht, das er als Folge des ungesunden Lebens in Gefängniszellen und Festungskasematten ins bürgerliche Leben mit hinüber genommen hatte. Durch die langjährige Haft, die das juristische Studium des Burschenschafters unterbrach, war er demselben entfremdet worden, und es bedurfte wiederum vieler Jahre, bis er zur Erkenntnis seines eigentlichen Berufs kam und es wagen konnte, auf diesen seine Existenz zu gründen. Erschwert aber wurde ihm der Gewinn bürgerlicher Selbständigkeit weiter durch die traurige Krankheit, die ihm sein gesunder Studentendurst und das Bedürfnis nach schlafbringenden Getränken im Gefängnis zugezogen hatte, wo die unzureichende Kost und der Mangel an Bewegung seine einst so kräftige Konstitution von Jahr zu Jahr mehr untergruben – jene Neurose des Magens, die, wie Wilbrandt in seiner Reuter-Biographie des näheren auseinandergesetzt hat, den von ihr Befallenen zu periodisch wiederkehrenden Excessen im Trinken zwingt, welche die Naturheilkraft als befreiende Krisen fordert und gegen die der moralische Wille nicht anzukämpfen vermag. Und doch hielt Fritz Reuter selbst, hielt sein Vater und dann auch für längere Zeit das geliebte Mädchen diese häßlichen Anfälle einer Krankheit für Ausschreitungen moralischer Schwäche!

Wie der Dichter wiederholt hervorgehoben hat, bietet sein Buch „Ut mine Festungstid“ ein vom Humor sehr verklärtes Bild des furchtbaren Elends, das er sieben Jahre lang – erst im letzten, auf Dömitz, fand er bessere Behandlung – hinter Kerkergittern hatte ertragen müssen. Als ein blühender kraftstrotzender Jüngling voller Lebenslust und von heiterster Sinnesart war er von den Häschern der damaligen preußischen Polizeijustiz mitten aus dem freien frischen Studentenleben und dem des Zieles sicheren Bildungsgang als Jurist herausgerissen worden; gebrochen an Leib und Seele verließ er – ein Dreißigjähriger – im Herbst 1840 die letzte seiner Gefängnisstationen, um in das väterliche Haus zurückzukehren. – „Sieben verlorene Jahre!“ – Der Gedanke verbitterte ihm unsäglich die Freude an der endlich gewonnenen Freiheit und die Frage: „Was nun?“ legte sich gleich Bleigewichten auf des Heimkehrenden Seele. Beim Zurückerinnern an seine Gefängnisleiden konnte sein Humor in den späteren Jahren voll glücklichem Lebensbehagen „Feigen von den Disteln pflücken“; an jene Tage der Rückkehr ins Leben gedenkend, läßt er im Schlusse seines „Festungs“-Buchs die Verzweiflung zum Wort: er erzählt, wie die Frage, was nun aus ihm werden solle, sich zwischen ihn und seinen Vater gedrängt, wie sie ihm das Leben vergällt habe – lange Jahre hindurch. „Ick grep hir hen, ick grep dor hen, nicks wull mi glücken … ick was sihr unglücklich, vel unglücklicher as up der Festung!“

Die Verhältnisse im Vaterhaus erschwerten es ihm, den rechten Weg zum Vorwärtskommen zu finden. Die zärtlich geliebte Mutter war tot. Der Bürgermeister von Stavenhagen, ein strenger ernster Mann, bereits hoch in den Sechzigern stehend, hatte sich allmählich daran gewöhnt, den einzigen Sohn als einen „verlornen“ zu betrachten; er machte jetzt mit Nachdruck seinen Willen geltend, daß Fritz das juristische Studium neu aufnehme und beende. Diesem jedoch war die ganze Jurisprudenz verleidet nach all der Unbill, die ihm von den berufenen Hütern des Rechts widerfahren war. Auf der Festung hatte er sein hübsches Zeichentalent bedeutend vervollkommnet; so war z. B. auf Dömitz die ganze kinderreiche Familie des Kommandanten von Bülow von ihm porträtiert worden; wie schon als Gymnasiast empfand er auch jetzt den Wunsch, Maler zu werden. Aber sein Vertrauen in die Stärke seines Talents war doch nicht groß genug, um diesen Wunsch dem Vater gegenüber, der von demselben nichts hören wollte, mit Nachdruck zu vertreten. Dagegen bat er den Vater, ihn Landwirt werden zu lassen; die Neigung dazu war in ihm gleichfalls schon früher vorhanden gewesen und hatte im Gefängnis an Stärke zugenommen, ihn auch zum Studium landwirtschaftlicher Werke veranlaßt. Hatten doch das Vorbild und die Oekonomie des Vaters, der ganze Charakter seiner im wesentlichen vom Landbau lebenden Vaterstadt schon in dem Knaben das Interesse dafür erregt! Auch war es früher der Wunsch des Vaters gewesen, sich in seinem einzigen Sohn einen Nachfolger sowohl in der Bürgermeisterei wie in der Verwaltung seiner landwirtschaftlichen Anlagen heranzuziehen. Jetzt aber lagen die Dinge anders! Die beiden Halbschwestern Reuters, Lisette und Sophie, waren während der Jahre seiner Kerkerhaft herangewachsen und hatten sich verheiratet. Die ältere, Lisette, führte dem Vater zu dessen größter Zufriedenheit die Wirtschaft und that dies auch weiter als die Gattin eines städtischen Beamten; der Mann der zweiten Schwester stand als technischer Leiter an der Spitze der Bierbrauerei, welche der Bürgermeister nach bayrischem Muster angelegt hatte. Bei der Verheiratung der Töchter hatte er diese zu Erbinnen seiner Oekonomie eingesetzt, während dem Sohn, der ja Richter oder Advokat werden konnte, nur der entsprechende Zinsgenuß zugedacht wurde. Raatz berichtet, daß diese Verfügungen zwar unter Zustimmung des Sohnes, während er auf Dömitz saß, erfolgt seien, daß aber das Verhalten des Vaters in dieser Angelegenheit in dem Gefangenen eine tiefe Verbitterung hervorgerufen habe, die er die Schwestern freilich nicht entgelten ließ. In den neuerdings von Franz Engel herausgegebenen „Briefen Fritz Reuters an seinen Vater aus der Schüler-, Studenten- und Festungszeit“ findet sich ein Brief des Bürgermeisters an den nach Heidelberg zur Fortsetzung des juristischen Studiums gegangenen Sohn, in welchem er ihn nochmals vor der „Landmann-Carriere“ warnt und in ernsten Worten wiederholt, daß er über den eigenen landwirtschaftlichen Besitz zu gunsten der Schwestern verfügt habe.

Dennoch setzte Fritz seinen Willen durch. Sein Versuch, sich in Heidelberg nochmals mit dem Studium der Pandekten zu befreunden, mißlang vollständig. Die in ihm so lange unterdrückte, hier endlich wieder erwachende Lebenslust atmete anfangs auf, als er sich in der Studentenwelt als Märtyrer des Burschentums geehrt und gefeiert fand, sie drängte ihn bald aus den Hörsälen, auf deren Bänken er sich inmitten der viel jüngeren Scholaren alt und einsam vorkam, zum Genuß der endlich – endlich wiedergewonnenen Freiheit. Aber unter dem Druck der beständigen väterlichen Mahnungen zu Fleiß und Solidität, der Einsicht, daß er zum Juristen nicht mehr tauge, der üblen Folgen, welche ein sorgloses Kommersieren nach alter Studentenart seiner Gesundheit zuzog, wich das verspätete Aufflackern der Burschenlust einer

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