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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

So laut und lustig wie an diesem Abend war es da drunten in der Wirtsstube schon lange nicht mehr zugegangen! Der Daxen-Schorschl hatte wieder einmal „aufgemischt!“

„Grüß Gott, Wirt! Pumpst mir noch?“ Mit dieser Frage war er bei sinkender Dämmerung, als die Kellnerin eben die Lampen anzündete, in die Stube getreten.

„Ja!“ hatte der Wirt lachend gesagt, „aber nimmer viel!“

„No also! Für ein’ g’sunden Rausch wird ’s doch noch reichen! … Wer weiß, ob’s net der letzte is!“ Mit dieser etwas melancholisch klingenden Andeutung hatte sich Schorschl hinter einen Tisch geschoben, an welchem schon mehrere Gäste versammelt saßen, um sich mit dem durch sechs Tage zusammengesparten Samstagsdurste in den Sonntag hinüberzutrinken.

Und ja, es hatte gereicht! Noch ehe die Stube richtig voll mit Gästen war – unter denen sich auch der Geschäftsführer der Bäckenmahm’ mit seinem Gesellen befand – hatte sich Schorschl bereits in eine Stimmung „hineingebichelt“, bei welcher er um so lebhafter die Hände rührte, je mehr er die Herrschaft über seine Füße zu verlieren drohte. Mit seiner gereizten Lustigkeit amüsierte er die ganze Stube, und als man ihm die Zither hingestellt hatte, ließ er unermüdlich die Saiten klingen und sang die ganze Litanei seiner „schnackerlfidelen“ Lieder herunter – natürlich auch die „Lumpeng’stanzeln“!

„Ein richtiger Loder,
Kreuzteufel, juheh!
Der dreht im Tag ’s Unterste
Zwanz’gmal in d’ Höh’!“

Noch war das Gelächter, das dieser Strophe folgte, nicht völlig verstummt, als draußen auf der Straße ein gellender Ruf ertönte:

„Feuerjo! Feuerjo!“

Und da hörte man auch schon die dumpfen Schläge der Feuerglocke.

In der Wirtsstube war es plötzlich still geworden; aber dieses atemlose Schweigen und Lauschen dauerte nur einen Augenblick; dann fuhren sie alle von den Bänken und Stühlen auf. Bevor noch die ersten zur Thüre kamen, stürzte einer von der Straße herein.

„Leut’! Es brennt!“

„Wo? Wo?“ schrieen zwanzig Stimmen durcheinander.

„Bei der dicken Bäckin!“

„Jesus Maria!“ stotterte Schorschl. „Die arme Frau!“

Als er aufgesprungen war, hatte er den frischgefüllten Maßkrug umgeworfen und dieser auf den Kopf gestülpte Krug war ein Bild für ihn selbst – wie dieser Krug, so leer und nüchtern war Schorschl mit einem Schlag geworden. „Jesus Maria! Wie soll denn die arme Frau aus ’m Haus! Die kann ja kein Schrittl net vom Fleck!“

Ein paar zu Boden werfend, die ihm den Weg verstellten, stürzte er zur Thüre. Keuchend rannte er die Straße hinunter und sprang, als er seine Schmiede erreichte, mit hohem Satz über den Staketenzaun. Da sich das Thor der Werkstätte auf den ersten Griff nicht öffnen wollte, warf sich Schorschl mit der Schulter gegen die Bretter, daß sie krachend auseinanderflogen. „Jesus Maria! Jesus Maria!“ stammelte er ein um das andere Mal, bis er in der finsteren Werkstätte gefunden hatte, was er suchte. Einen schweren Schmiedehammer auf die Schulter werfend, eilte er der Brandstätte zu.

Schon glomm die Feuerhelle über die Dächer der benachbarten Häuser auf, und blutrot färbten sich die niedrig hängenden Wolken.

10.

Rings um das brennende Haus her zuckte und zitterte alles von grellroter Helle und schwarzen Schatten. Schreiende Menschen füllten den Garten und rannten um das Haus; sie wollten retten und helfen, doch Rauch und Flammen verwehrten ihnen jeden Eingang. Das Feuer mußte in der Backstube ausgebrochen sein, hatte schon alle ebenerdigen Räume ergriffen und war über die Treppe in den Dachstuhl hinaufgeklettert. Der Rauch und das Geprassel hatten die alte Magd, die neben den Zimmern der Bäckin in einer Kammer schlief, aus dem Schlummer geweckt, und da sie die Treppe schon vom Feuer ergriffen sah, war sie im ersten sinnlosen Schreck, ohne sich weiter um ihre Herrin zu kümmern, aus dem Fenster in den Garten gesprungen. Jetzt heulte und jammerte sie um die arme Frau, die da droben hilflos verbrennen mußte und machte mit ihrem kreischenden Geschrei die Leute noch konfuser, als sie ohnehin schon waren. Einige riefen nach Leitern um die Fenster des oberen Stockes ersteigen zu können – andere wußten keinen besseren Rat, als gegen die geschlossenen, schon von Rauch umwirbelten Fenster hinaufzuschreien: „Bäckin! Bäckin! Bäckin!“ Kein Laut gab droben Antwort doch ein paar Leute, welche die ersten auf dem Brandplatze gewesen waren, erinnerten sich, im Hause einen matten Schrei und einen schweren Plumps gehört zu haben, als wäre ein Kasten umgefallen oder eine Bettstelle durchgebrochen.

Während alles noch wirr und ratlos durcheinander schrie, kam die freiwillige Dorffeuerwehr mit Spritze und Schubleiter angerasselt, und Purtscheller, der als kürzlich gewählter Kommandant eine funkelnagelneue Uniform und einen blitzblanken Messinghelm trug, begann mit hallender Stimme seine Befehle auszuteilen, von denen einer dem anderen widersprach. Alle wollten gehorchen, aber auch alle mitkommandieren, eine heillose Verwirrung entstand, und so hätte es der armen, bedrohten Frau in ihrem Stubenkerker dort oben gar übel ergehen können, wenn nicht der Daxen-Schorschl noch zur rechten Zeit mit seinem wuchtigen Schmiedehammer und einem fertigen Rettungsplan auf dem Brandplatz erschienen wäre.

Mit derben Ellbogen stieß er ein paar Feuerwehrmänner und den über diese Eigenmächtigkeit scheltenden Herrn Kommandanten beiseite, wälzte die Schubleiter vor die Firstmauer, und als er die Leiter bis zu einem Fenster aufgewunden hatte, kletterte er hurtig über die Sprossen hinauf. Mit einem einzigen Streich seines Hammers schlug er den ganzen Kreuzstock des Fensters in die Stube hinein und begann dann Hieb um Hieb auf die Mauer loszuarbeiten, mit so wilder Kraft, daß jeder Hammerstreich die Oeffnung in der Wand um eine ausgiebige Scharte erweiterte. Dicker Rauch quoll ihm entgegen, der ihm fast den Atem benahm, die Mauerbrocken fielen ihm auf Kopf und Schultern und streiften sein Gesicht – doch er schlug und schlug mit dem Hammer, bis das Loch in der Wand schon breiter als eine Thür geworden war.

Nun merkten die Leute, was er wollte, und da schrieen sie ihm Beifall zu und gehorchten willig jedem Wort, das er über die Schulter aus Rauch und Staub zu ihnen hinunterrief.

Durch die weite Oeffnung war fast der ganze Dampf und Qualm schon aus der Stube entwichen, und bei dem flackernden Schein der Flammen, welche durch die schon halb verbrannte Zimmerthür aus dem Treppenflur in die Stube hineinzüngelten, sah Schorschl die Bäckenmahm’ in weißer Nachtjacke und Schlafmütze bewußtlos auf den Dielen liegen.

„Wasser! Wasser!“ schrie er. „Die Pippen ’rauf!“ Und als der Spritzenmann mit dem Schlauch über die Leiter heraufgeklettert war, ließ Schorschl, um die Bewußtlose ein wenig zu ermuntern und das Holzwerk gegen das eindringende Feuer zu sichern, den kalten, zischenden Wasserstrahl über die Bäckenmahm’ und durch die ganze Stube spielen. Dann sprang er in das weit klaffende Mauerloch.

„D’ Leiter in d’ Höh bis unters Dach! Und den Flaschenzug ’runter vom Krahnen!“ befahl er. „Vierthalb Centner Frauenzimmer tragt ja keiner über d’ Leiter ’nunter! Net einmal der Goliath! Wir müssen s’ mit dem Flaschenzug ’nunterlassen wie ein’ Mehlsack! Aber flink! Um Gottswillen, nur flink! Mir scheint, es pressiert!“

Er wandte sich in die Stube, und da ihm von der fast übermenschlichen Anstrengung und von all dem geschluckten Rauch schon ein wenig wirblig zu werden begann, griff er mit beiden Händen in das auf den Dielen stehende Wasser und wusch sich das Gesicht. Dabei merkte er gar nicht, daß ihm die Hände blutig wurden. Jetzt hatte er auf andere Dinge zu achten, denn jetzt kam das Schwerste von allem: den ohnmächtigen Koloß der Bäckenmahm’ auf den Lehnstuhl zu heben! Viertehalb Centner frei vom Boden weg einen halben Meter emporzustemmen – das ist harte Arbeit! Aber sie gelang ihm. Freilich war ihm einen Augenblick, als wollten ihm von der gewaltsamen Anstrengung alle Adern zerspringen und alle Sehnen reißen. Entkräftet taumelte er gegen den Tisch, umwirbelt von dem rotbeleuchteten Dampf, der von der brennenden Thüre durch die ganze Stube wallte. Aber da

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0582.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)