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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Kurz und gut, auf der Fladnitz habe ich meine heimische Mundart entdeckt, und nun mir das passende Instrument, meine Zither zur Hand war, weckten deren Klänge Bilder, Gestalten, Vorstellungen, Ausdrücke, welche samt und sonders bisher gebundenes Erinnerungsgut gewesen.

In vier Wochen hatte ich im wesentlichen das Büchlein „Zan Mitnehm“ beisammen, und als Freund Rosegger, dem ich diese Einfälle zur Beurteilung unterbreitet hatte, mir schrieb, „er müsse wohl glauben, daß die Sächelchen von mir seien, da ich es ausdrücklich sage, sonst hielte er sie für gut gesammelte“, war ich hinsichtlich ihrer ethnographischen Treue und ihrer poetischen Zulässigkeit beruhigt und konnte mir zur Stärkung meines mundartlichen Sprachgefühls bei den gelehrten Kennern des Dialekts Schmeller, Lexer, Hintner etc. weiter Rats erholen.

1884 und 1885 folgten je als Ferienfrüchte „Nix für unguat“ und das erzählende „Plodersam“.

Darüber hinaus habe ich es als Dialektdichter wenig mehr gebracht. Mein Vorrat ist erschöpft, der Quell versiegt; die Fülle, die allseitige Anschauung ländlicher Zustände fehlt mir. Ich bin, einmal der Heimat entnommen, zu sehr Stadtmensch gewesen und geblieben. Und so ist meine Dialektdichtung vielleicht doch nur eine Episode in meiner litterarischen Thätigkeit.


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Fürst Arno.

Novellette von Ernst Eckstein.

Baron Brüggstorm, der Ceremonienmeister Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten Arno von Gleiberg, atmete schwer und tief. Er befand sich im Zustand einer ganz ungewöhnlichen Aufregung. Die Arme straff über der Brust gekreuzt, die Stirne mißmutig gerunzelt und die Nüstern gebläht, so wandelte er im hochroten Ecksaal des Residenzschlosses auf und nieder, während Fürst Arno drüben im Arbeitsgemach den langwierigen Vortrag seines Premierministers entgegennahm.

Baron Brüggstorm hatte gestern in später Abendstunde eine verblüffende Nachricht empfangen. Der Geheimrat Stirlay, Mitglied der ersten Kammer, Direktor des fürstlichen Familienarchivs und Vorsitzender des Konservativen Klubs, hatte ihm beim Verlassen der Breslauerschen Villa im Ton herbster Mißbilligung erzählt, der neue Inhaber des Schlossergeschäfts Bergstraße Numero Zwanzig, der vor etlichen Tagen von Frankfurt nach Gleiberg übergesiedelt war, zeichne sich durch eine merkwürdige, geradezu peinvoll berührende Eigenschaft aus … Er sehe nämlich dem Fürsten so überraschend ähnlich, daß die banale Redensart „wie ein Ei dem andern“ hier sich von selbst auf die Lippen dränge. Der Ausdruck natürlich und die gesamte Art des Gebahrens lasse den Abstand erkennen, der den „ungebildeten Handwerker“ von dem „erhabnen Staatsoberhaupt“ trenne. Immerhin bleibe noch so viel Uebereinstimmung übrig, daß die Sache sehr wohl geeignet sei, die loyale Bevölkerung der fürstlichen Haupt- und Residenzstadt in ihren heiligsten Empfindungen zu verletzen, während sie anderseits den staatsfeindlichen Elementen, die leider auch schon in Gleiberg die giftigen Natternköpfe erhöben, eine nur allzu erwünschte Handhabe liefern möchte für die Betreibung ihrer schmachvollen antimonarchischen Wühlereien.

Der Zufall wollte, daß der Baron Brüggstorm gleich heute in aller Frühe die Gelegenheit fand, sich von der Thatsache dieses Naturspiels zu überzeugen. Er hatte um zehn Uhr vormittags bei seinem Bankier auf der Bergstraße zu thun und kam gerade in demselben Augenblick an dem Grundstücke Numero Zwanzig vorüber, als der Schlossermeister – Fritz Warnack, wie das mächtige Schild über dem Eingang besagte – aus der Thür seines Hauses langsam ins Freie trat. Es war just Frühstückspause und der fleißige Mann benutzte die paar Minuten, die ihm nach Einnahme des Imbisses noch erübrigten, um hier, die Hände unter dem Schurzfell, ein bißchen Luft zu schnappen.

Der Ceremonienmeister Baron Brüggstorm fühlte, wie ihm das Herz vor Schreck beinahe stille stand. Er bemerkte auch, daß ein großer Teil der Vorübergehenden die Erscheinung des neuen Mitbürgers mit ganz ähnlichem Starren und Staunen musterte wie er selbst. Das war in der That das leibhaftige Ebenbild Seiner Durchlaucht; etwas gröber und minder aristokratisch, ja; aber doch unverkennbar in jeder Linie. Die nämliche hohe, intelligente Stirn, das kluge, freundliche und doch so energische Auge, die vornehme, edelgeschnittene Nase und vor allem der prächtige braune Vollbart. Das alles litt nicht einmal wesentlich unter dem Ruß, der hier und da seine Spur hinterlassen hatte. Wenn man diesen Schlossermeister Fritz Warnack in die fürstliche Gala-Uniform steckte! … Baron Brüggstorm schauderte, als er sich eingestehen mußte, daß in diesem Fall die Möglichkeit einer Verwechslung absolut nicht zu leugnen war. Natürlich nur auf den ersten Augenblick, oder doch nur, solange der Schlossermeister nicht sprach; denn jetzt, wie Fritz Warnack dem Briefträger ein paar Worte über die Straße zurief, war die auffällige Aehnlichkeit augenblicklich verringert! Der Mann redete einen wuchtigen, für das Ohr des Gleiberger Ceremonienmeisters höchst unharmonisch klingenden Dialekt, während sich Seine Durchlaucht nur im korrektesten Hochdeutsch vernehmen ließen und überdies ein weit reineres und volleres Organ besaßen!

Gleichviel! Die Sache war und blieb in den Augen des Ceremonienmeisters eine Art unfreiwilligen Majestätsverbrechens. Wie betäubt eilte er weiter, seine eigenen Obliegenheiten unter dem Eindruck dieser Fatalität schier vergessend. Eins stand ihm fest wie ein Grundgesetz: die Aehnlichkeit zwischen dem Landesherrn und einem ganz gewöhnlichen Schlossermeister, der noch dazu nicht einmal im Besitze der Gleiberger Staatsangehörigkeit war, konnte und durfte nicht fürderhin obwalten! Irgend etwas mußte geschehen, um diesem unerträglichen Mißstand ein Ende zu machen. In so gefährlichen Zeitläuften wäre es ein vernunftwidriger Frevel gewesen, wenn man nicht alles gethan hätte, um das Ansehen des monarchischen und vaterländischen Gedankens um jeden Preis aufrecht zu halten.

Baron Brüggstorm beschloß, Seiner Durchlaucht die beklemmende Angelegenheit sofort zur Kenntnis zu bringen und mit dem allverehrten Landesherrn selbst zu beraten, welcherlei Maßregeln hier zu ergreifen seien. Im Residenzschlosse angelangt, fand er jedoch Seine Durchlaucht beschäftigt. Die Vorträge hatten diesmal besonders früh ihren Anfang genommen und würden voraussichtlich bis zur Stunde der Tafel dauern. So schritt denn Baron Brüggstorm in dem hochroten Ecksaal des Schlosses unmutig auf und ab und übersann die Geschichte nochmals nach allen Richtungen, bis er dann plötzlich stehen blieb und sich mit den Fingern der rechten Hand flach wider die Stirn schlug.

Ja! So wollte er’s machen! Selbstredend! Das war noch bei weitem einfacher und in gewisser Beziehung auch zartfühlender, als wenn er den Fürsten persönlich mit der unerbaulichen Sache belästigte. Daß er, der sonst so scharfsinnige Brüggstorm, nicht gleich im ersten Augenblick an diese Form der Lösung gedacht hatte! Nun, es war ja noch nichts versäumt! Also ohne Verzug ans Werk! Und wenn die Geschichte dann glatt und geräuschlos geordnet war, dann gab es wohl Mittel und Wege, Seine Durchlaucht nachträglich von der Aufmerksamkeit und Gewandtheit höchstihres Ceremonienmeisters gebührend in Kenntnis zu setzen!


Um seinem Auftreten etwas recht Offizielles und Feierliches zu geben, ließ der Baron, trotz der geringen Entfernung, seinen wappengeschmückten Landauer anspannen. Es schlug gerade halb Zwölf, als die zwei prachtvollen Rappstuten am Eingang des Schlossergeschäfts in der Bergstraße Halt machten.

Den Kopf mit einiger Selbstgefälligkeit in den Nacken gelegt, den schmalen Mund vornehm gekniffen, wandelte Brüggstorm würdevoll in den Laden. Hier stand eine sehr hübsche Verkäuferin, die unter anderen Verhältnissen der lebhaften Teilnahme des Herrn Ceremonienmeisters sicher gewesen wäre. Jetzt aber unterdrückte er das rein Menschliche und kehrte ausschließlich den fürstlichen Hofbeamten, den Mann von Welt, den glänzenden Aristokraten heraus. Mit schnarrender Stimme fragte er nach dem Schlossermeister

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0572.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)