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aufgerafft, und als ihr Schorschl in hiebsichere Nähe kam, schwang sie mit der gesteigerten Kraft ihres Mädchenzornes diese echt weibliche Waffe – und dem Daxen-Schorschl wurde es für ein paar Sekunden schwarz vor Augen – wirklich schwarz, obwohl die Schürze nur ein verwaschenes Blau hatte. Bei dem klatschenden Schlag stäubte ein weißliches Wölklein um Schorschls Kopf; sein Gesicht, die Brauen, der Schnurrbart und die Nasenspitze waren grau gepudert von dem Mehl, das die Unterseite der Brotlaibe an das Schürzentuch abgegeben hatte.

„Ja sakra noch einmal!“ fing er zu räsonnieren an, während auf seinen Wangen das Blut in brennend roten Strichen die Falten der Schürze nachzuzeichnen begann. „Kratzen in der Nacht und dreinschlagen am Tag … und so was sollt’ ich mir g’fallen lassen? Ah, da stimmst Dich aber!“

Doch als er das bleiche, entstellte Gesicht des Mädchens sah, sanken ihm plötzlich die Arme und sein Atem stockte. Scheu und verlegen stand er vor Vroni und wußte nicht, was er sagen oder beginnen sollte. Während er ratlos um sich her blickte, wie nach Hilfe suchend gegen diese stärkere Macht, sah er auf dem rinnenden Wasser des Grabens einen Brotlaib tanzen, welcher schon zu sinken drohte. „Jesus Maria!“ stotterte er und machte sich auf die Jagd nach dem schwimmenden Wecken.

Schwer atmend band Vroni die Schürze um die Hüften und bückte sich nach den beiden Brotlaiben, von denen der eine im Gestrüpp der Hecke, der andere mitten auf dem Fußweg lag. Und während sie langsamen Schrittes mit ihrer verminderten Last davonging, rannen ihr große, glitzernde Zähren über die Wangen, deren Blässe einer fieberhaften Röte wich.

Keuchend kam ihr Schorschl nachgelaufen. „Da, Vronerl! Da!“ stammelte er und putzte mit dem Joppenzipfel das Wasser von dem gefischten Brotlaib. „Da hast Dein’ dritten Wecken! Es hat ihm nix g’macht! Gar nix! Gar nix!“

Vroni sagte kein Wort; aber als ihr Schorschl den Brotlaib auf die beiden anderen laden wollte, machte sie eine ungestüme Bewegung nach der Seite; und da sie keine Hand frei hatte, um die Zähren von ihren Wangen zu wischen, kollerten ihr die glitzernden Perlen über Kinn und Wangen.

„Mar’ und Josef! Ich könnt’ mir ja gleich den Kopf abreißen!“ stotterte Schorschl und machte neuerdings einen nutzlosen Versuch, den Brotlaib anzubringen. „Aber Vronerl, um Gottswillen, sei doch g’scheit! Wirst ja doch meinetwegen Deine braven Leut’ daheim net um das gute Brot verkürzen wollen?“

Da machte sie kürzere Schritte und litt es schweigend, daß er den feucht glänzenden Laib auf die beiden anderen legte. Doch als er an ihrer Seite bleiben wollte, sah sie mit einem Blick zu ihm auf, der dem Daxen-Schorschl die Füße lähmte.

Mit hängenden Armen, wie ein begossener Pudel, blieb er an der Hecke stehen und sah der Davonschreitenden nach, bis sie um eine Biegung der Straße verschwunden war.

„So! Schön! Jetzt hab’ ich d’ Suppen erst recht versalzen!“ philosophierte er mit trübseliger Kummermiene. „Wie ein Wilder bin ich dreing’fahren! Und was hat denn ’s Madl eigentlich verschuld’t an mir? Nix! Gar nix! Aber rein gar nix! Wenn einer ein Madl so gahlings anpackt in der Nacht … mit so einer groben Hand …“ er betrachtete prüfend seine klobigen Finger, „da hat s’ ja doch recht, wenn sie sich wehrt und kratzt ein bißl. Und wenn man ’s wie ein Rauber überfallt … am helllichten Tag und auf der Straßen? Ja Kruzineser!“ In der Wut über sich selbst packte er sich bei den Joppenflügeln. „Da hätt’ doch jede andere dreimal dreing’schlagen … statt bloß ein einzigsmal wie ’s Vronerl!“ Er sah über die leere Straße hinauf und seufzte tief. „Das vergißt s’ mir ihrer Lebtag’ nimmer! … Jetzt is ’s aus! … Aber ganz!“ Bei dieser Einsicht überfiel ihn die Verzweiflung in ihrer ländlich sittlichen Urform. „Sakra! Sakra! Jetzt därf ich mir aber gleich ein’ anbicheln, ein g’hörigen! Sonst weiß ich net, was mit mir g’schieht in der heutigen Nacht!“

Mit brennendem Kopf und langen Schritten stürmte er dem Wirtshaus entgegen.

(Fortsetzung folgt.)


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Ein deutsch-österreichischer Dichter.

Von Peter Rosegger.

An einem nebligen Spätherbstmorgen des Jahres 1849 rollte aus dem steirischen Alpenorte Obdach ein leichtes Steirerwäglein die Straße entlang – in die weite Welt. Darauf saßen zwei Knaben in grauen Zeuggewändlein, wie es Bauernstudenten haben, wenn sie in die „Studie“ gehen.

Der eine blickte mit seinen braunen Augen, auf denen noch die Schatten des Abschiedes von daheim lagen, gegen den Himmel und sagte nach einer Weile betrübt: „Rudolf, es wird regnen!“

„Hans, es wird nicht regnen!“ gab der andere zurück, „morgen ist Vollmond, da regnet es nicht.“

Und richtig war’s. Als sie durch die Engschlucht unter der Ruine Eppenstein ins breite Murthal hinauskamen, löste sich der Nebel; als sie durch das alte Städtchen Judenburg fuhren, zeigte der Himmel die ersten blauen Scharten; als sie an der Felsenburg des streit- und sangeslustigen Ulrich von Lichtenstein vorüberrollten, blaute das ganze Firmament in herbstlicher Reine. So ging’s zwischen den schönen Bergen dahin, und als es abendlich wurde, sind die jungen Reisenden eingezogen in das ehrwürdige Benediktinerstift zu St. Lambrecht. Daselbst waren sie aufgenommen, um als Schüler den Wissenschaften der Welt obzuliegen und als hellstimmige Chorknaben das Lob Gottes zu singen.

Hans Grasberger.
Nach einer Aufnahme von Otmar v. Türk, k. k. Hofphotograph in Wien.

Der eine dieser Knaben hieß Rudolf Falb und ist heute der berühmte Erdbeben- und Wettermann, der andere Hans Grasberger, welcher sich später den schönen Künsten hingab und nun einer der besten Dichter Oesterreichs ist.

Dieser Hans könnte heute Johannes, Abt von Sankt Lambrecht, heißen, wenn er dem Stifte, welches er jetzt noch als sein zweites Vaterhaus verehrt, auch innerlich hätte verbleiben können. Aber das geheimnisvolle Geschick führte ihn auf anderen Straßen zu demselben Ziele des Schönen und Guten. Den zweiten Teil der Gymnasialstudien vollendete Hans in Klagenfurt, dann ging er auf die Universität nach Wien, wo er Rechtsstudien trieb und sich bald auf eigene Füße stellte. Durch die Vermittlung eines Freundes wurde es dem jungen Manne möglich, eine Reise nach dem Orient mitzumachen, bei welcher er die Kasse der Gesellschaft zu verwalten hatte. Damals führte noch keine Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem hinein. Ob sich der nun sechzigjährige Grasberger noch daran erinnert, wie damals der dreiundzwanzigjährige Hans arglos auf dem Maultiere sinnend und träumend unterwegs in den Steingebirgen von Judäa die Reisekasse verlor? Da mußte er wohl den Poeten verabschieden und klugen Blickes auf dem Rückritt im weglosen Sande die Richtung erforschen, bis die Tasche glücklich wieder gefunden war. Ueber die Erlebnisse, Gedanken und Stimmungen jener Reise hat der junge Poet getreulich Buch geführt und seine „Sonette aus dem Orient“ sind ein glänzendes Denkmal der großen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0568.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2024)