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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

nach. In Butjadingen (von buten – außen der Jade) fängt man ihn in engmaschigen Netzen, im Jeverlande meist mit kleinen Fischhamen, „Hoplade“ genannt, und am Vareler Geest, insbesondere auf der Halbinsel Dangast, in Körben. Die letztere Fangmethode, als die eigenartigste, möge hier kurz dargestellt werden!

Die Flut hat sich nahezu verlaufen. Da stellt der Fischer einige aus Weidenruten geflochtene Fangkörbe auf einen Schiebekarren und sucht auf schmalen Pfaden zwischen Deich und Düne den Strand zu erreichen. Dort liegt umgestürzt, um vor Regen geschützt zu werden, das eigenartige Fahrzeug, das ihm das Fortkommen über den schlammigen Schlick ermöglicht. Die „Schlöpe“ heißt es im Volksmunde und ist ein Mittelding zwischen Boot und Schlitten. Unsere Abbildungen auf S. 555 zeigen uns diese Kasten, die etwa einen Meter lang, halb so breit und etwa ein drittel Meter hoch sind. An dem etwas erhöhten Vorderbord sind sie mit einer aus Latten und Stangen gezimmerten Handhabe versehen. Auf die Schlöpe werden nun die Körbe gesetzt und der Fischer rutscht in das schlammige Element, in den Schlick, der mit dem Schmutz einer zerfahrenen und durch starke Regengüsse aufgeweichten Landstraße die größte Aehnlichkeit besitzt. Die untere Zeichnung führt uns den Mann auf seiner Rutschpartie vor. Er hat die Seitenlehnen der Handhabe ergriffen, kniet bei vorgebeugtem Körper mit dem einen Beine auf dem Hinterbord der Schlöpe und stößt mit dem freien Fuß ruderartig in den Schlamm. Indem er abwechselnd die Füße benutzt, „schlittert“ oder rutscht er vorwärts. Bald versinkt der Fuß des Rutschers nur bis an den Knöchel in den Schlick, bald taucht das Bein bis fast ans Knie in den Schlamm, aber der Mann ist in diesem Rutschen wohlgeübt und gleitet mit erstaunlicher Schnelligkeit auf der trüben Masse dahin. Zunächst sucht er eine der Wasserrinnen, die „Tief“, zu erreichen; dort ist sein Ruderboot verankert; er macht es flott, nimmt seine Schlöpe ins Schlepptau und setzt nach dem jenseitigen Ufer über; dann rutscht er wieder über den Schlick, bis er an einer für den Granatfang günstigen Stelle anlangt. Diese liegt gewöhnlich am Rande einer „Tief“ oder bei einer „Priel“, der natürlichen Abflußrinne bei der Ebbe. Hier werden nun die Fangkörbe durch eingerammte Pfosten derart festgelegt, daß ihre offene Seite der Ebbe zugekehrt ist. Wie unsere Abbildung S. 557 zeigt, sind sie kegelförmig gestaltet, nahezu zwei Meter lang, mit einer dreiviertel Meter im Durchmesser haltenden Oeffnung versehen und aus Hasel- oder Weidenruten so geflochten, daß ein Raum von der Breite eines Bleistifts zwischen den einzelnen Stäben entsteht. Ein zweiter, einer Aalreuse ähnlicher, engerer Korb wird in den äußeren, der ihm gleichsam als Hülse dient, hineingeschoben. In der Reuse nun sammelt sich die Beute, nachdem ihr der größere Korb gewissermaßen „die Direktive gegeben“. Mit der Flut zu Milliarden den tieferen Stellen des Küstenmeeres entsteigend, wird der Granat von der zurückgehenden Ebbeströmnng zweimal täglich in die Fangkörbe hineingetrieben.

Der Fischer zieht den Fangkorb hervor, löst den in die Spitze gesteckten Pflock und schüttet die Granaten, zwischen denen sich vereinzelt auch wohl ein Aal, eine Butte, eine Seenadel oder gar ein Katzenhai, immer aber ein paar Krabben aller Größen befinden, in die mitgebrachten Behälter und schiebt dann die Körbe wieder ineinander, der nächsten Ebbe das rein selbstthätige Fangwerk vertrauensvoll überlassend.

Auf dem Wege, den er kam, kehrt der Fischer vor der langsam steigenden Flut zurück. Zur Nachtzeit, während welcher der Fang der kleinen Nachttiere, denn das sind die Granaten wie alle Krebse, meist reicher ist, und bei nebligem Wetter zeigen ihm tief in den Schlick gesteckte Reiser den Heimweg an. Am Ufer bringt er seine Beute auf den Schiebekarren, reinigt in einem Tümpel seine Beine, welche immer aussehen, als seien sie in der Tinte gewesen, vom Schlick und schiebt dann nach Hause. Sein Werk ist aber noch nicht beendet. Mit weiblicher Hilfe werden die Granaten sogleich gesiebt und die größeren alsdann etwa zwei Minuten in Salzwasser gekocht, wobei sie eine schmutzig rötliche Farbe annehmen, während die höher gewerteten Ostseekrabben und die französischen Crevetten nach dem Kochen blaß rosenrot erscheinen. Das ausgesiebte kleinere Zeug – das Liter hiervon kostet nur einen Pfennig – wird als Dünger verkauft oder wandert zur Darre, um zu Hühnerfutter oder zu „Guano“ verarbeitet zu werden, hingegen verschickt man in entsprechender Verpackung die frische, große Ware als billige Delikatesse nach den Städten der Gegend oder gar, gut konserviert, weit ins Inland.

Der harten Mühe Lohn ist jedoch bei diesem Krebsfang nicht groß. Ein Fischer fängt im Durchschnitt täglich zwei bis zweieinhalb Scheffel eßbaren Granat. Der Scheffel wiegt 13 bis 14 Kilo und enthält 25 Liter, aber das Liter der besseren Krebschen wird nur mit neun Pfennig bezahlt! Die Fangzeit dauert meist vom April bis zum Eintritt der Kälte und die Ergiebigkeit ist im allgemeinen keinen besonderen Schwankungen unterworfen. So belauft sich der Jahresgewinn eines Fischers, der seine 30 bis 35 Fangkörbe hat, durchschnittlich auf 600 Mark.

Das ist in der That kein großer Verdienst für die eintönige und mühselige Arbeit, die den Fischer zweimal während 24 Stunden und fast allnächtlich auf das oft von Stürmen überbrauste Watt führt und ihn meist drei Stunden auf dem feuchten Schlick festhält, auf dem es im Frühjahr und Herbst keineswegs gemütlich ist.

Man kann rechnen, daß sich im Oldenbnrgischen, rings um den Jadebusen, ungefähr hundert Familien mit der Granatfischerei befassen. Dangast, ein Dorf, oder richtiger eine „Bauerschaft“ mit dem vor etwa einem Jahrhundert vom Grafen Bentinck gegründeten ersten Nordseebad, das sich überdies vor allen Nordseebädern durch einen waldähnlichen Park auszeichnet und einen angenehmen, idyllischen Aufenthalt bietet, ist der Hauptort der Korbfischerei. Dort gab es vor zehn Jahren nur ein viertelhundert Fischer, während heute fast 40 dem Granatfang obliegen. Man kann rechnen, daß im Jadebusen jährlich zum mindesten eine halbe Million Kilogramm eßbare Tierchen gefangen werden, mit den für andere Verwendung gewonnenen Granaten sicherlich eineinhalb Millionen Kilogramm dieser kleinen Krebse. Das ist eine ungeheure Summe, und da drängt sich wohl die Frage auf, ob nicht dieser Massenfang die Ausrottung des Granats zur Folge haben könne. Die Landesregierung hat bereits entsprechende Untersuchungen angestellt, doch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0556.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)