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Blätter und Blüten.


Ernst Curtius †. (Mit Bildnis S. 533.) Aus der gewaltigen Zahl verdienstvoller Gelehrten, welche in diesem Jahrhundert unsere Kenntnis des klassischen Altertums so unermeßlich erweitert haben, ragen doch nur wenige hervor, welche es vermochten, der Darstellung ihrer Forschung selbst wieder eine klassische Form zu geben. In dem am 11. Juli d. J. in Berlin im hohen Alter verstorbenen Professor Ernst Curtius hat die deutsche Wissenschaft und das deutsche Volk einen dieser Hervorragenden zu betrauern; wie Mommsens „Römische Geschichte“ ist die „Griechische Geschichte“ von Ernst Curtius nicht nur ein Triumph deutschen Forscherfleißes, sondern auch ein Meisterwerk künstlerisch abgeklärter Darstellung auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft, das als solches der Weltlitteratur dauernd angehört. Die hohe Auffassung vom Wesen der klassischen Philologie, die von seinen Lehrern Böckh, Welcker und Otfried Müller in seiner Studentenzeit auf ihn überging, war von derselben Begeisterung für die Kunst der Antike und das hellenische Schönheitsideal getragen, die auch der höchsten Blüte unserer klassischen Dichterzeit die Weihe gegeben hat. Schon im Vaterhause zu Lübeck, wo Ernsts hochgebildeter Vater das staatsmännische Amt eines Syndikus der hanseatischen Republik bekleidete, hatte sein Geist diese Richtung empfangen. Die Begeisterung für Alt-Hellas trieb ihn nach Abschluß seines Studiums an, Griechenland selbst aufzusuchen, um für seine ideale Auffassung der antiken Welt unter Anweisung durch bedeutende Forscher wie Brandis, Otfr. Müller und Karl Ritter die Anschauung der Wirklichkeit zu gewinnen. Während er in den Tempelhallen und Trümmern der Akropolis die Forschungen betrieb, welche er in seinem ersten Hauptwerk „Die Akropolis von Athen“ niederlegte, übersetzte er im Wetteifer mit Emanuel Geibel, seinem Lübecker Landsmann und Altersgenossen, der sich um dieselbe Zeit wie er als Hauslehrer in Athen befand – oft auf gemeinsamen Wanderungen durch die Landschaft des Peloponnes – Oden und Hymnen der althellenischen Dichter, und noch ehe er als Gelehrter ein Werk herausgab, erschien (1840) die Frucht dieser gemeinsamen poetischen Arbeit unter dem Titel „Klassische Studien“. Auch selbständig hat er wiederholt als Dichter mit Geibel gewetteifert, und dieser poetische Zug in ihm hat auch seinem Wirken als Forscher und Historiker den Stempel aufgedrückt, im besonderen seinen kunstvoll ausgestalteten Vorträgen, die er dann in seinen akademischen Stellungen bei festlichen Gelegenheiten hielt und die in den Bänden „Göttinger Festreden“ und „Altertum und Gegenwart“ vereinigt sind.

Ein solcher Vortrag, den er bald nach seiner Rückkehr aus Athen als Docent in Berlin in der dortigen Singakademie über die Akropolis hielt, ward auch zum Anlaß, daß er 1844 zum Erzieher des nachmaligen Kaiser Friedrich berufen wurde. Diese Berufung, welche ihm aufgab, in den Jahren 1845 bis 1849 den Studiengang des preußischen Kronprinzen in Berlin und Bonn zu leiten und zu überwachen, hat nicht wenig dazu beigetragen, seinem weiteren Wirken eine allgemeine Bedeutung zu geben. Denn es ist zweifellos, daß der Einfluß von Ernst Curtius auf die geistige Entwicklung des Kronprinzen jene kunstfreundliche und ideale Gesinnung, durch die sich dieser dann sein lebelang hervorthat, sehr wesentlich mit herangebildet hat. Und wiederum ist es der Sympathie des letzteren für seinen verehrten Lehrer und dessen Ideale zu danken gewesen, daß Curtius auf der Höhe seines Lebens mit jener großen Aufgabe betraut ward, die zu den größten Friedensthaten des Deutschen Reiches zählt, der Aufdeckung von Olympia.

Im Frühjahr 1874 ging Curtius, der inzwischen seit 1856 in Göttingen, seit 1863 in Berlin Professor gewesen war und u. a. auch sein epochemachendes Geschichtswerk auf Grund neuer Studienreisen in Griechenland vollendet hatte, im Auftrag des Deutschen Reichs nach Athen und schloß dort mit der griechischen Regierung den Vertrag ab, der die deutschen Ausgrabungen in Olympia genehmigte. Welche Schätze hier an der Stätte der herrlichsten Heiligtümer und großartigsten Festspiele der althellenischen Welt unter Curtius’ Leitung zu Tage gefördert wurden, ist weltbekannt, es genügt, an Kunstwerke wie die Nike des Paionios und den Hermes des Praxiteles zu erinnern. Seine litterarische Darstellung fand dieses umfassende, von herrlichstem Erfolg getragene Schaffen in dem Werke „Die Ausgrabungen in Olympia“. Als vor zwei Jahren am 2. September der achtzigste Geburtstag des hochverdienten Mannes gefeiert wurde, erfolgte als höchste Ehrung für ihn die Aufstellung seiner Marmorbüste in dem Museum zu Olympia, in welchem nunmehr die Funde aufbewahrt sind, die deutscher Scharfsinn und Fleiß unter Curtius’ Führung der berühmten Trümmerstätte althellenischer Kunst und Kultur entrissen und der heutigen Welt zurückerobert hat. P.     

Unter den Wappenpfählen von Vancouver. (Zu dem Bilde S. 541.) Der Nordwesten Amerikas bildete eine originelle Welt, die lange für sich abgeschlossen war, bis Jäger und Goldsucher und zuletzt der Zauberer Dampf sie aus tausendjährigem Schlummer weckte und an das laute Treiben der modernen Civilisation anschloß. In den Städten, die an dem eisernen weltenverbindenden Pfade der Nordpacific-Eisenbahn liegen, begegnet man mehr oder weniger civilisierten Indianern und man muß schon auf die Inseln längs der Küste Britisch-Kolumbiens hinausziehen, um das Thun und Treiben der Ureinwohner Nordwestamerikas in voller Ursprünglichkeit beobachten zu können. Für den Jünger der Völkerkunde boten jene weiten Gebiete reiche Fundgruben für die sonderbarsten Kunsterzeugnisse, mit vieler Mühe und unendlichem Fleiß ausgeführte Holzschnitzereien, die heute unsere Museen für Völkerkunde, namentlich aber das Berliner Museum, schmücken. Schon die frühesten Besucher jener Inseln, wie Vancouver und Königin Charlotte Archipel, glaubten sich beim Besuche der Fischerdörfer unter ein Volk von Holzschnitzern versetzt.

Aus der Ferne betrachtet erschienen jene Dörfer wie ein Wald von Mastbäumen; denn vor den einzelnen Häusern und in naher Entfernung von denselben am Meeresstrande waren Baumstämme aufgestellt, die oft vier bis fünf Meter hoch waren. Trat man näher, so sah man, daß die Hinterseite dieser Pfeiler rinnenförmig ausgehöhlt war, damit sie, an Gewicht leichter, ohne Schwierigkeiten aufgerichtet werden konnten, während die Vorderseite von oben bis unten mit Schnitzereien bedeckt war, die groteske Figuren darstellten. Die Häuser dieser Fischer erregten nicht minder das Staunen der ersten Besucher; sie waren nur aus Brettern gezimmert und mit Rindendächern bedeckt, aber auffällig erschienen sowohl ihre Größe wie innere Einrichtung; denn unter dem einen Giebeldache wohnten stets mehrere und oft sehr viele Familien. So gab es dort Häuser, die an 70 Meter lang waren und 700 Personen beherbergten!

Heute ist die Blütezeit dieses indianischen Hausbaus vorüber! Selten findet man noch ein gegen 20 Meter langes Haus, die Hütten sind kleiner geworden und dienen nur vier bis sechs Familien zu sechs bis achtzehn Personen zum Aufenthalt. Eine solche Hütte der Vancouver-Indianer führt uns das nach der Natur von E. Limmer gezeichnete Bild vor. Es steht am Ufer der Meeresstraße mit drei schlanken Pfeilern geschmückt. Die Bretterwände sind an zwei Meter hoch und oben im Rindendache ist ein viereckiges Loch zum Abzug des Rauches angebracht. Betreten wir das Innere eines solchen Wohnhauses, so finden wir, daß die Mitte einen großen freien Raum bildet, in dem sich der häusliche Herd oder eine einfache Feuerstelle befindet; rings an den Wänden sind Bretterverschläge angebracht, in die man durch Klappthüren hineinschlüpfen kann. Darinnen sind die eigentlichen Wohn- oder Schlafstätten der einzelnen Familien, die durch außen angemalte Totems, d. h. Stammes- oder Wappenzeichen der Geschlechter, gekennzeichnet werden.

Der Aufenthalt in einem derartigen Mehrfamilienhause ist keineswegs angenehm; denn nur mühselig findet der Rauch der Feuerstelle den Weg ins Freie und verqualmt völlig den Wohnraum. Dabei ist die Diele nicht immer so rein gefegt wie auf unserm Bilde, in Ecken und Winkeln liegen Abfälle der Fischmahlzeiten. Aber die Indianer fühlen sich wohl in ihrer Behausung, in Kisten und Kasten bewahren sie ihre Reichtümer, die namentlich in wollenen Decken bestehen, sind stolz auf ihr mit Schnitzereien versehenes Hausgerät, und die Diele dröhnt oft unter dem wuchtigen Tritte der Tänzer, die im hellen Feuerscheine in bunter Nationaltracht allerlei Mummenschanz aufführen.

Die Herstellung dieser pfeilergeschmückten, reich geschnitzten Häuser erfordert viel Arbeit und Mühe und ein williges Zusammenwirken vieler Hände. Darum wird auch die Aufstellung eines Pfeilers festlich gefeiert, wobei die Sitte des Potlatsch oder der Verteilung des Eigentums eines einzelnen eine große Rolle spielt. Will ein Mann ein Haus bauen oder einen Pfeiler errichten, so verteilt er einige Monate zuvor unter seine Freunde und die Hauptmitglieder des Stammes sein Eigentum, bestehe es in Decken oder Geld. Wieviel eine jede Person erhält, ist systematisch geregelt, jedes Mitglied des Stammes weiß lange voraus, wie viele Decken es bekommt. Kurz bevor die Arbeit ausgeführt werden soll, wird das verteilte Gut mit Interessen zurückgegeben, ein Mann, der z. B. vier Decken erhielt, giebt deren vielleicht sechs zurück. Dies gilt als eine Art Ehrenerweisung.

Was bedeuten aber die reich geschnitzten Pfeiler? Von den freistehenden Pfeilern sind sicher viele Denkmäler, die man zur Erinnerung an Verstorbene errichtet hat. Die an den Häusern angebrachten sollen dagegen Wappenpfähle sein, auf denen die Totems oder Stammeszeichen der Bewohner geschnitzt sind. Vielleicht steckt in dieser mühevollen Arbeit doch noch eine andere religiöse oder mythologische Bedeutung, welche die Indianer den Fremden verschweigen. Bemerkenswert ist es, daß alle diese Schnitzereien in früheren Zeiten nur mit Hilfe von Stein- und Hornmessern ausgeführt wurden. *     

Sonntagsbesuche in der Sommerfrische. (Zu dem Bilde S. 536 und 537.) Nicht jeder, der Frau und Kinder während der Schulferien eine Sommerfrische aufsuchen läßt, ist für seine Person in der Lage, sich in gleichem Umfange diese Erholung zu gönnen. Gar viele müssen daheim bleiben bei der Arbeit und können nur des Sonntags daran denken, die heiße Stadtluft mit der Labung zu vertauschen, welche Wald- und Höhenluft bieten. Gut haben’s dann die, deren städtischer Wohnort nicht zu weit von der schönen Alpenwelt gelegen und mit dieser durch die Eisenbahn verknüpft ist, so daß sie in der Lage sind, nicht nur den Ihrigen ein trauliches Asyl in der nervenstärkenden Weltabgeschiedenheit einer Sommerfrische im Hochgebirg zu bereiten, sondern auch des Sonntags mit ihnen diesen Genuß zu theilen. Das ist dann eine Wiedersehensfreude, wenn morgens in der Frühe der erste Zug die zärtlichen Ehemänner und Familienväter, die gestern noch im Staube der Stadt schwitzend und seufzend ihrem Berufe nachgingen, in die thaufrische Bergwelt hinausbringt, um an der Seite der geliebten Frau, im Spiel mit den da draußen herrlich gedeihenden Kindern den freien Tag zu verbringen! Da feiert die Familienliebe festliche Stunden und das gegenseitige Entbehren während der Woche steigert die Wonne, mit der ein solcher Sonntagssommerfrischler beim Begrüßen der Seinen empfindet, welche Quelle des Glückes er in ihnen besitzt.


Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen. Z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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