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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ganz atemlos und nun fiel ihm doch ihr verstörtes Gesicht auf. „Meintwegen, so red’ halt! Was is denn mit ’m Wald droben? Aber g’schwind!“

„Vom Mathes hab’ ich’s g’hört,“ stammelte sie. „Der Berg soll sich wieder g’rührt haben … und da hab’ ich gleich den Altknecht ’naufg’schickt zum Nachschauen …“

„Na also! Da is ja eh’ alles in der Ordnung!“

„Aber Toni! Drei Stund’ … und der Knecht is noch allweil net daheim!“

„Weil er ein alter Trenzer is! Was soll denn passiert sein? Ein paar Bäum’ wird’s halt wieder g’worfen haben. Braucht man s’ grad nimmer umschlagen!“

Purtscheller wollte schon im Stall verschwinden, als ihm Karlin’ zögernd nachrief: „Du, Toni … der alte Rufel is wieder da! Er wartet schon seit Mittag und sagt, Du hättst ihn b’stellt.“

„Was? Mit dem soll ich heut’ auch noch reden? Himmelkreuzteufel, heut’ kommt mir aber schon alles übern Hals! … Warten soll er! Der hat ja Zeit! Oder wenn ihm ’s Hosenschnorren lieber is, als daß er mit mir ein G’schäft macht … meintwegen, so soll er wieder abfahren!“

Purtscheller trat in den Stall, und da ihm Zäzil im Wege stand, schob er sie beiseite und kniff sie dabei so derb in den runden nackten Arm, daß sie kichernd aufkreischte: „Aber Herr! Glauben S’ denn, mein Arm is ein Brotwecken? Lassen S’ mich doch in Ruh’ … zwicken S’ Ihr’ Frau!“

Das hörte Karlin’, und heiße Zornröte flammte über ihre abgehärmten Züge. Sie machte einen Schritt, als wollte sie in den Stall treten – aber dann schüttelte sie den Kopf, strich unter bitterem Lächeln die losen Härchen hinters Ohr und ging ins Haus.

Als sie droben die Wohnstube betrat, hatte sie ihre stille Ruhe wieder gefunden.

Der Tisch war gedeckt, und die offene Weinflasche stand schon bereit. Auf einem Sessel, mitten im Zimmer, saß der alte Rufel, mit dem Hakenstock zwischen den Knieen; aus der einen Tasche seines Rockes, der bis zum Boden reichte, hing ein Zipfel seines roten Sacktuches heraus, aus der anderen die abgegriffene Schlappmütze; seinen Zwerchsack hatte er drunten im Flur unter die Treppe geschoben. Als die junge Frau eintrat, strich er mit der runzligen Hand über sein glattrasiertes Faltengesicht, aus welchem gutmütige Offenheit und mißtrauische Vorsicht, ruhiger Ernst und wachsame Schlauheit in seltsamer Mischung redeten.

„Jetzt is er heimkommen!“ sagte Karlin’, ganz leise, denn im Nebenzimmer hielt der kleine Tonerl sein Mittagsschläfchen.

„Gedulden S’ Ihnen noch ein bißl, er wird gleich da sein.“

„Es eilt nix, meine liebe Frau Purtschellerin.“

Auch in Rufels Art zu reden lag ein Widerspruch; er gab sich merkliche Mühe, den Dialekt der Bauern zu sprechen, doch der jüdische Jargon schlug immer wieder durch.

Karlin’ nahm ihre Häkelarbeit aus der Fensternische und setzte sich an den Tisch. Mit einem scheu bekümmerten Blick streifte sie den Juden, während sie hastig die Nadel rührte. Nach einer Weile fragte sie: „Haben S’ allweil gute G’schäften g’macht in der letzten Zeit?“

„Es geht. Aber ich weiß mir Zeiten, die besser waren. Und nix für ungut … Sie sind e Bäuerin, liebe Frau … aber mit die Bauern is hart ein Geschäft machen!“ Rufel lachte. „Püh! Die fennen schlauer wie der Jud!“

Das hatte er so drollig gesagt, daß auch Karlin’ lächeln mußte. „Aber Rufel! Wenn das die Bauern hören möchten!“

„Hab’ ich ’s ihnen doch schon oft genug ins Gesicht gesagt! Hat der Bauer ein’ Handel gemacht und der Vorteil is auf seiner Seit’, so laßt er den andern reden, was er mag, und lacht ihn aus. Hat aber der arme Jud einmal ein bißl was verdient, und der Bauer merkt’s … nu, so schimpft er: Jud! Jud!“ Rufel wiegte den Kopf und hob die Schultern. „Aber ich sag’, es is mit ihnen auszukommen. Ich geh meinen Weg und laß mir nix verdrießen. In Gottsnamen … sollen sie schimpfen, wenn ich hab’ verdient!“

„Geh, Rufel, Sie können Ihnen doch g’wiß net beklagen. Sie haben ’s richtige Grüßgott noch allweil von jedem ’kriegt … mit Ihnen handelt jeder gern im Ort! G’wiß wahr, ich hab’ im Ernst noch nie ein unb’schaffens Wörtl über Ihnen g’hört!“

Rufel fuhr sich mit dem roten Tuch über das erregte Gesicht Dann sagte er: „Na! Na! … Schauen Se mich an, liebe, gute Frau Purtschellerin … wie ich da weggeh’, weiß ich doch im voraus, daß ich wieder ein’ Sack voll Grobheiten einzustecken bekomm’. Und warum? Weil ich nach Recht und Pflicht e bißl mahnen muß!“

„O mein Gott! Bei wem denn?“

„Beim Herrn Dax’ in der Schmieden! Nu natürlich! Wieder emal!“

„O Jesus, na! Mit dem armen Schorschl is ein Kreuz!“

„Wem sagen Se das! E wahrer Jammer is mit dem Menschen! E Kerl, gewachsen wie e Baum! Gut muß man ihm sein, wenn man ihn anschaut! Könnt drinsitzen in Glück und Wohlstand wie der Kern im Pfersich. Aber nein! Da verjuckt er das schöne Geld, laßt sich die Sonn’ auf ’n Buckel scheinen und macht für die Bauern den meschuggenen Fisch! Es wird e schlecht’s End’ mit ihm nehmen, fürcht’ ich.“

„Aber schauen S’, Rufel! Jetzt is ihm der G’sell davon, wie d’ Leut’ sagen … jetzt thut er sich doppelt hart. Und seit zwei Tag’ hör’ ich ihn allweil fleißig hammern.“ Karlin’ öffnete das Fenster, damit Rufel die Hammerschläge, welche von der Schmiede herüberklangen, besser hören sollte.

„Nu ja! Wenn ich ein’ ernsten Willen bei ihm sehen möcht’, so möcht’ ich ja mit mir reden lassen. Möcht’ ihm noch helfen! Es is mir weiß Gott doch selber lieber, ich krieg’ mein Geld mit gesetzlichen Zinsen zurück, als daß ich den Menschen zu Grund gehen seh’ und daß wieder einer hinter mir herschreit: Jud, Jud! … Aber ich hab’ nix mehr ein’ Glauben auf ihn. Oder es müßt e Wunder geschehen. Aber Wunder sennen e seltene Sach’. Und glauben Se mir, Frau Purtschellerin: wenn der Leichsinn bei de Menschen emal durchgefressen hat durch de Haut, so kann der beste Schneider von der Welt so e Loch nix mehr flicken. Da werden se blind, da graben se Loch in Loch, schieben die Schuld auf alle Sachen, nur nix auf sich selber, machen e groß Maul und schimpfen auf alle Leut’, malträtieren de Menschen, wo se lieb haben und die ’s ehrlich mit ihnen meinen …“ Rufel verstummte und blickte erschrocken auf. „Was haben Se, Frau Purtschellerin?“

Karlin’ hatte sich erhoben; ihre bleichen Lippen zitterten und Thränen standen ihr in den Augen.

„Meine liebe Frau Purtschellerin! Sie haben e zu gut’ Herz! Und in Gottesnamen … wenn Se schon so viel Mitleid haben mit dem Herrn Dax … Ihnen zu lieb thu ich’s … so will ich heut’ nix mehr mahnen gehen zu ihm und will noch e Weilchen zuschauen. Aber nu lachen Se mer wieder!“ Rufel wurde unruhig, als er sah, daß sich die Erregung der jungen Frau durch diese Zusage nicht beschwichtigen wollte. „Um Gotteswillen! Was haben Se, Frau Purtschellerin?“

„Ich glaub’ …“ Karlin’ ließ die Häkelarbeit fallen und klammerte die Hand an die Tischkante, „ich glaub’, ich hab’ drunten den Toni reden hören!“ Unsicher blickte sie in Rufels Gesicht, dann trat sie scheu und hastig auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Rufel! … Ich hätt’ was auf ’m Herzen!“

„Heraus! Mit dem Rufel können Se reden!“

„Ja, gelt? Schauen S’, wir kennen uns doch seit fufzehn Jahr’ schon! Wie ich noch ein kleins Maderl g’wesen bin, sind S’ ja allweil ’naufkommen zu uns und haben dem Vater die Lampelfell’ abg’handelt …“

„Hab’ immer e guts Geschäft mit ihm gemacht! Is e braver Mann gewesen!“

„Und wissen S’ noch? Wenn der Handel fertig war, haben S’ Ihnen allweil aufs Hausbankl g’setzt und haben plauscht mit mir. Schauen S’, Rufel, schon selbigsmal hab’ ich soviel Zutrauen zu Ihnen g’habt … und jetzt hab’ ich’s wieder. Ich weiß ja, Sie sind ein ehrlicher, gradsinniger Mensch …“

„Nu ja!“ Rufel schnitt eine schmerzliche Grimasse, als hätte ihm Karlin’ kein sonderliches Kompliment gesagt. „Drum hab’ ich doch nix … und bin e Schnorrer! … Aber nu regen Se sich nix auf und sagen Se heraus, was los is!“

Sie vermochte kaum zu sprechen. „Rufel! … Ich glaub’, mein Toni hat ein bißl Sorgen!“ Die hellen Thränen kollerten ihr über die Wangen.

Rufel fühlte einen heißen Tropfen auf seiner Hand und zuckte zusammen. Karlin’ halb von sich schiebend, erhob er sich und sagte mit abgewandtem Gesicht: „Machen Se mir nix solche Sachen vor,

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