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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Alteriert hab’ ich mich, daß mir völlig schlecht is! Bei mir schlagt sich alles gleich auf ’n Magen.“ Er ließ den Zügel fahren, trat einen Schritt zurück und betrachtete das Pferd. „Wenn mir die Lumpen den Gaul ruiniert haben, weiß ich gleich gar nimmer, was ich anfang’. Der Gaul is mir ja lieber wie alles, was ich hab’!“

„Aber Herr Purtscheller! So was sollten S’ doch net sagen!“

„Wenn ’s aber wahr is!“ Wieder musterte Purtscheller das Pferd, das den Kopf immer tiefer sinken ließ, während es am ganzen Leibe zitterte. „Ich kann mir nix anders denken, als daß der Gaul in der Stadt drin vernagelt worden is, wie ich ihn b’schlagen hab’ lassen.“

„In der Stadt waren S’? Mit dem Bräunl? Seit zehne vormittags?“

Trotz Aerger und Sorge erwachte in Purtscheller der Stolz des Sportsmanns. „Ja! Und hab’ mich noch anderthalb Stund’ drin aufg’halten!“

„Sechzig Kilometer bergauf und ab! In dritthalb Stund’! Ja um Gott’swillen …“

Der Vorwurf, der aus Schorschls Worten klang, trieb dem Purtscheller-Toni das Blut noch dunkler ins Gesicht. „Du Narr!“ schrie er. „Was versteht denn so einer wie Du von der Sportssach! Hast denn Du ein’ Idee, was ein richtiger Traber hergeben kann, wenn er in guter Kondizion is? Aber natürlich, wenn der Gaul vernagelt is! Statt daß so dalket daherredst, schau lieber nach, wo der falsche Nagel steckt!“

„Ich mein’, ich weiß schon, wo’s fehlt!“ brummte Schorschl, streichelte das Pferd an den Nüstern und hob ihm den Huf des lahmenden Fußes auf.

Draußen auf der Straße ging der Buchbinder vorüber, der neben seinem Geschäfte auch die Agentur der Lebens- und Feuerversicherung führte. Als er den Purtscheller sah, kam er näher und zog höflich den Hut. „Ein Wörtl, Herr Purtscheller!“

„Was is denn schon wieder? Jetzt hab’ ich kein’ Zeit net!“ fuhr Purtscheller auf. „Ah so, Du? Was willst denn? Hab’ Dir’s doch neulich schon g’sagt: ich laß mein Leben net versichern! So bald denk’ ich noch net ans Sterben!“

„Gott behüt’s! Aber nix für ungut … ich hab’ Ihnen bloß erinnern wollen: am ersten Oktober haben S’ auf d’ Feuerbolizzen vergessen.“

„Was? Ich? Der Purtscheller? Vergessen? Der Purtscheller vergißt nix! Aber z’ dumm wird’s mir endlich! Die ganze Ausrauberei! So viel Jahr zahl’ ich den schauderhaften Brocken hin, und nie hat man was davon!“ Nun schien er doch zu merken, daß er im blinden Zorn ein paar Worte zu viel gesagt hatte. „Meintwegen also … bloß daß ich ein’ Fried’ hab’ … ich schick Dir die Tag’ den Bettel ’nüber! B’hüt Dich Gott!“ Ohne sich weiter um den Mann zu kümmern, wandte sich Purtscheller zu Schorschl. „No also, wo fehlt’s?“

„Der Gaul is in aller Ordnung b’schlagen,“ erwiderte Schorschl, während er sich aufrichtete und dem Pferde mitleidig den Nacken tätschelte. „Aber ich will Ihnen sagen, wo’s fehlt … z’viel verlangt haben S’ vom Bräunl.“

An Purtschellers Schläfen schwollen die Adern und seine Lippen wurden blau. „Du bist wohl verruckt?“

„Na!“ sagte Schorschl ruhig. „Aber ein’ guten Rat will ich Ihnen geben. Schauen S’, daß der arme Gaul heim in’ Stall kommt und in warme Decken! Mir scheint, der is knapp am Lungenschlag vorbeig’rutscht … oder er kriegt noch ein Treff’.“

„Was? Verstehn thust nix! Und verrufen willst mir mein’ Gaul auch noch?“ schrie Purtscheller, und ein wahres Unwetter von Schimpfworten hagelte über den Kopf des Daxen-Schorschl nieder.

Der ließ sich das eine Weile gefallen und suchte den Jähzornigen noch zu beruhigen. Als aber das Geschrei die Leute aus den benachbarten Häusern lockte und Purtscheller die Sache gar zu dick und grob machte, rührte sich in Schorschl doch das Blut.

„Sie, Herr Purtscheller …“ seine Stimme klang noch immer ruhig, aber es blitzte drohend in seinen Augen. „Jetzt hab’ ich’s g’nug! Solche Sachen laß’ ich mir net sagen! Halten S’ ein bißl z’ruck, oder …“

„Oder? Oder was?“

„Oder ich könnt’ mein Hausrecht brauchen.“

Purtscheller bekam bleiche Lippen. „So? So traust Dich Du mit mir z’ reden! Paß auf, Du! Eh’ ich zu Dir noch ein’ Schritt ins Haus mach’, eh’ ich Dir wieder ein’ Arbeit gieb … da kannst Dir d’ Finger abschlecken!“

„Ich dank’ schön! Die sind mir net süß g’nug!“

„So? So? Is schon recht!“ Purtscheller packte den Zaum seines Pferdes. „Komm, Bräunl, oder die Gall’ bringt mich noch um!“

Breitspurig, mit den Fäusten auf dem Rücken, stand Schorschl inmitten seines Hofes und blickte dem Abziehenden nach. Sein Groll über Purtschellers böse Worte war schon wieder verraucht, vergessen über dem Erbarmen, das er für das mühsam dahinschleichende Tier empfand. „Arm’s Rösserl!“ Dann dachte er wieder an sich selbst. „O du heiliger Schnupftabak! Das G’sicht hätt’ ich sehen mögen, wenn ich den jetzt anpumpt hätt’ auch noch!“

Purtscheller war schon um die Ecke verschwunden, aber man hörte noch immer seine scheltende Stimme. Allmählich wurde er stiller und äußerte seinen Aerger nur noch in murmelndem Selbstgespräch, während er den Bräunl, dessen hinkender Gang immer langsamer wurde, am Zügel hinter sich herzog.

„Es is wahr, ein bißl viel hab’ ich verlangt von ihm!“

Bei diesem Zugeständnis erwachte in Purtscheller die Sorge. Seufzend blieb er stehen und betrachtete das Pferd.

„Es is net so arg! Na, na! Ich glaub’s net! So ein kerng’sund’s Roß! Wie sollt’ denn dem was g’schehen können! Ah na! So was giebt’s net!“

Seine Sorge war schon wieder halb beschwichtigt; aber da fiel ihm der Schloßbräu in der Stadt ein, der ihm aus Sportneid die Hypothek gekündigt hatte.

„Wie der lachen möcht’, wenn der Bräunl beim nächsten Rennen net starten könnt’!“

Schmeichelnd legte Purtscheller die Wange an den Kopf des Pferdes.

„Gelt, na, Bräunerl? So was thust Dei’m Herrerl net an!“

Achtsam führte er das Tier auf die bessere Wegseite. „Komm, schauen wir, daß wir ins Stallerl heimfinden! Da sollst es schön warm kriegen! Und ein gut’s Schnapserl aufs Naserl! Ja, Bräunerl! Ja!“ Während des ganzen Weges streichelte und tätschelte er das Tier und redete zu ihm in zärtlichen Worten.

Als er das Pferd mit Ziehen und Zerren endlich in den Hof brachte, mußten die Knechte alle andere Arbeit liegen lassen, um sich dem Bräunl zu widmen.

„Wo bleibt denn der Altknecht?“

Den hätte die Purtschellerin fortgeschickt, hieß es.

„Natürlich! Wieder einmal! So geht’s aber doch allweil! Wenn ich meine Leut’ brauch’, müssen s’ Gott weiß wo umeinanderrennen und Weiberbotschaften austragen.“ Als Purtscheller das sagte, ging Zäzil über den Hof. „He! Zäzil! Komm her und hilf mit, den Bräunl frottieren! Und nur flink jetzt, daß der Gaul unter Dach kommt!“

Getrennt von den anderen Pferden, hatte der Bräunl einen eigenen, sportmäßig eingerichteten Stall, über dessen Raufe auf einem Messingschild der Rennname prangte: „Herzbinkerl.“

Während Zäzil und die Knechte das Frottieren begannen, eilte Purtscheller zum Haus, um für den Bräunl das „Schnapserl“ zu holen. Unter der Thüre trat ihm Karlin’ entgegen, erregt und mit blassem Gesicht.

„Grüß Dich Gott, Toni!“

„Grüß Gott, Linerl!“ Er wollte an ihr vorüber.

Aber sie haschte seine Hand. „Sei mir net bös, Toni, daß ich Dir zur Heimkehr gleich eine recht ungute Nachricht sagen muß! In unserem Wald droben …“

„Jesses! Jesses! Laß mich in Ruh’! Mir brummt eh’ der Schädel!“

„Aber Toni, um Gotteswillen, so hör’ mich doch an!“

„Jetzt hab’ ich kein’ Zeit net! Mein Bräunl hat’ ein’ kalten Schnaufer erwischt … für den muß ich z’ allererst sorgen! Wo is denn die Cognacflaschen? Mach weiter, hol’ mir s’ runter! Flink, flink, flink! Tummel’ Dich!“ Er riß seine Hand los und eilte in den Stall zurück. Schmeichelnd kraute er dem zitternden Pferd die Ohren. „Ja, mein Herzbinkerl, ja, gleich sollst Dein Schnapserl kriegen!“ Als Karlin’ nach einer Minute nicht da war, wurde er ärgerlich. „Wo bleibt denn das Weiberleut?“ Er rannte wieder aus dem Stall.

Aber da kam ihm Karlin’ mit der Flasche schon entgegen,

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