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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

die Breite des Bandes und sagte mit schwankender Stimme: „Ein’ halben Schuh sitzen wir wieder tiefer drunt’!“

Schwer atmend richtete er sich auf und fuhr sich mit den Fingern ins Gesicht, als hätte er Haare über den Augen liegen.

„Mathes! Da müssen mir uns tummeln, daß wir den Verhau wieder in d’ Höh’ bringen. Sonst rutscht uns noch ein fester Brocken über ’n Garten ’rein! Ich mein’, wir fangen gleich an! Geh, Madl, sei so gut und hol’ mir d’ Axt!“

„Ja, Vater!“ Vroni eilte gegen den Hof zurück, doch mit ersticktem Schrei verhielt sie den Fuß und starrte erschrocken auf die Rückwand des Hauses.

Michel und Mathes blickten auf. „Was is denn, Madl?“

„Vaterl! Da schau! Unser Haus!“

Die beiden kamen gelaufen, und nun sahen sie, daß neben Vronis Kammerfenster ein schräg verlaufender Riß die Mauer von der Erde bis über die Fensterhöhe durchzog. Mathes nickte wortlos vor sich hin, während der Simmerauer wie versteinert dastand.

Der Alte hatte sich in den vergangenen Minuten nur um Hof und Garten gesorgt – daß aber auch das Haus, das all diese letzten, bösen Wochen glücklich überdauerte, bei diesem leichten, nur wenige Sekunden währenden Erdrutsch einen ernstlichen Schaden davongetragen haben könnte, daran hatte er in seinem Glauben und Vertrauen noch gar nicht gedacht. Und da traf ihn jetzt die schlimme Entdeckung um so härter.

Er streckte die zitternden Hände nach der Mauer und tastete an den Rändern des entzweigerissenen Mörtels umher, während ihm schwere Thränen über die zuckenden Wangen kollerten. Dann sah er zu seinem Buben auf: „Da schau, Mathes! Da hast jetzt Deine Mäus!“

„Aber geh! Wegen dem bißl Riß da! Deswegen brauchst Dich noch lang net sorgen!“ sagte Mathes und legte dem Vater den Arm um die Schulter. „Ich glaub’ überhaupt gar net, daß das jetzt grad’ g’schehen is! So was passiert ja in alte Häuser gar oft, daß ein Riß durch d’ Mauer aufgeht …“

„Net so laut,“ fiel Vroni flüsternd ein, „damit’s d’ Mutter net hört!“

„Mein, erfahren muß sie’s ja doch!“ sagte der Simmerauer, aber auch er dämpfte unwillkürlich die Stimme. „Kannst ja heut’ in der Nacht nimmer schlafen in Deiner Kammer! Mußt Dich ja in d’ Stuben ’nüberlegen. Das kann doch net g’schehen, ohne daß d’ Mutter was merkt davon.“ Wieder starrte er die Mauer an, atmete schwer und fragte: „Was hast g’meint, Mathes?“

„Daß der Riß gar kein neuer net is! Der kann schon lang in der Mauer drin g’steckt sein und hat dem Häusl gar nix g’schadt. Und jetzt, freilich, bei dem bißl Rumpler hat halt auswendig der Mörtel auch nach’geben!“ Mathes trat zur Mauer und begann den Riß genau zu untersuchen. „Es is schon so! Ein alter Riß! Ja, Vater, da kannst Dich verlassen d’rauf! Als Maurer muß ich doch so was verstehen!“

„Ja, ja! Als Maurer mußt Du’s wissen! Da muß ich’s glauben!“ Michel wandte sich zu Vroni. „Was sagst, Madl … so ein Glück, daß der Mathes d’ Maurerei g’lernt hat … jetzt kann er uns helfen. Denn ich, meiner Seel’, ich wüßt’ mir jetzt kein’ Rat net! Und g’schehen muß doch was! Gleich auf der Stell’! So kann man doch die arme Mauer net stehn lassen! … Was meinst denn, Bub’?“

Mathes hatte seine Meinung schon fertig: der schlechte Mörtel wird abgeschlagen, mit eisernen Schlaudern wird der „alte Riß“ zusammengezogen und über alles wird dann ein neuer Verputz gelegt. „Das mach’ ich Dir so fein, Vater, als ob in der Mauer gar nie ein Riß net g’wesen wär’!“

„Ja, ja! Vergelt’s Gott, mein lieber Bub’!“ nickte Michel. „Aber der Fleck, freilich, der bleibt! So schön und sauber schaut sich d’ Mauer nimmer an wie sonst!“

„Aber na, Vater! Da thu ich Dir die ganze Wandseiten überweißen – und bis der Kalch auf’trücknet is, merkst kein Fleckl nimmer! Wie der Schnee muß sich d’ Mauer anschauen!“

„So? Meinst?“

„Ja, Vater!“ Mathes zog den Maßstab hervor, den er in der Messertasche trug, und nahm an der Mauer die Maße ab. „Vier eiserne Schlauderbänder brauchen wir, anderthalb Meter, und vier g’sunde Schrauben dazu, jede ein’ halben Meter lang, mit feste Muttern.“

„Mit feste Muttern, ja!“ wiederholte der Simmerauer. „Fangen wir nur gleich an! ’s Häusl is d’ Hauptsach’, weißt! Da muß der Hof und der Garten z’ruckstehn. Fangen wir gleich an … ich rühr’ derweil ein’ Kalch ein … Du, Mathes, packst d’ Mauer an … und ’s Madl lauft in d’ Schmieden und laßt die Schlaudern machen! Hast Dir ’s Maß ordentlich g’merkt, Vronerl?“

„G’nau, Vater!“

„So lauf, Madl, lauf, was D’ laufen kannst!“

Vroni rannte gegen den Hof; aber schon nach einigen Sprüngen hielt sie wieder inne und, das Gesicht von heißer Röte übergossen, blickte sie ratlos auf den Vater. Der Simmerauer meinte diesen Blick zu verstehen. „Gelt, ja? Grad’ hab’ ich mir’s selber ’denkt. Ein stark’s Madl bist freilich … aber so viel Eisen kannst doch net ’raufschleppen über den ganzen Berg!“

Vroni schwieg und senkte die Augen. Da sagte Mathes: „Ja, Vater, laß mich ’nunter! Es is besser, sie bleibt daheim!“ Als er an Vroni vorüberging, legte er die Hand auf ihre Schulter und flüsterte: „Hast recht! Denk’ an unser’ Schwester!“

Vroni furchte die Brauen und es schien ihr ein trotziges Wort auf der Zunge zu liegen; doch als ihre Augen dem ernsten Blick des Bruders begegneten, nickte sie und schwieg.

Ohne Hut und Joppe, barfuß, eilte Mathes davon, während ihm der Vater nachrief: „Vergiß net … recht feste Muttern! Wenn d’ Mutter net gut is, taugt ja die ganze Schrauben nix!“ Nach dieser Mahnung fiel dem Alten gleich wieder eine neue Sorge aufs Herz. „Mar’und Josef! Zu so einer wichtigen Arbeit g’höret halt jetzt ein richtiger Schmied! Aber auf so ein’ Lüftikus, wie der Daxen-Schorschl, auf so ein’ is ja kein Verlaß! Mar’ und Josef! Was der am End’ für Schlaudern macht! Daß jede gleich wieder reißt beim ersten Druckerl!“

„Sorg’ Dich net, Vater!“ sagte Vroni mit seltsam erregter Stimme. „Soviel hab’ ich gestern g’merkt … sein’ Sach’ versteht er, der Schorschl, wenn er mag.“

„Wenn er mag! Ja! Aber mögen thut er net oft! Und wer weiß, ob er daheim is! Leicht hockt er wieder im Wirtshaus und bichelt! Oder is sonstwo auf der lüftigen Fahrt … der liebe Gott mag wissen, wo!“

„Ja, kannst recht haben!“ sagte Vroni hart. Und sie dachte wohl an die Sorge ihres Vaters, als sie leise hinzufügte: „Aber hoffen will ich’s net!“ Dann richtete sie sich auf. „Sei so gut und weis’ mir d’ Arbeit zu! Wo fangen wir denn an?“

„Komm, hilf mir die Kalchgrub’ aufdecken … wenn s’ net schon verschütt’ is!“

Als sie durch den Hof gingen, blickte Michel über das Gehänge hinunter und rief: „Schau nur an! Den halben Berg is er schon drunten!“ Der väterliche Stolz hauchte dem Alten ein bißchen Farbe über das bleiche, erschöpfte Gesicht. „Ja, mein Mathes! Der is halt gut schicken, wenn’s pressiert! Auf den is halt Verlaß! … Vronerl! So ein’ solltest einmal kriegen!“

Sie standen vor der Kalkgrube. Und während Vroni sich schweigend bückte und mit Anstrengung eine der verquollenen und von der Erde zusammengepreßten Bohlen zu lockern suchte, blickte Michel noch immer seinem Buben nach und nickte um so fröhlicher vor sich hin, je längere Sprünge Mathes dort unten machte. –

Wer gemächlichen Schrittes ging, hatte von der Simmerau bis ins Dorf hinunter eine gute halbe Stunde zu marschieren.

Doch Mathes brauchte keine zehn Minuten. Freilich, als er aus dem letzten Wäldchen auf die Thalwiesen heraustrat, war er so atemlos, daß er ein paar Augenblicke rasten mußte.

Gerade gegenüber, auf dem andern Ufer des Baches, lag der stolze Purtschellerhof, an dem die Dorfstraße vorüberführte.

Mathes hing, solange er rastete, mit spähenden Augen an dem stattlichen Haus. Dann schüttelte er den Kopf, trocknete mit dem Handrücken die nasse Stirn und wandte sich ab.

Er folgte der Straße nicht, obwohl sie der nächste Weg zur Schmiede gewesen wäre, sondern schwang sich über die Gartenzäune und eilte hinter den Häusern an den Hecken entlang. Schließlich fand er einen Fußpfad, der in der Nähe der Schmiede auf den Marktplatz mündete, und schon wollte er auf die Straße treten, doch erschrocken fuhr er zurück und verbarg sich hinter den halbentlaubten Büschen.

Draußen auf der Straße ging die Purtschellerin vorüber, mit ihrem Bübchen plaudernd, das sie auf den Armen trug.

Mathes regte sich nicht und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Nur einmal bewegte er kaum merklich den Kopf, um in dem Gebüsch eine Lücke zu finden, die ihm besseren Ausblick bot.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0506.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)