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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

heiraten, das ist nicht klar geworden. Jedenfalls aber wurde er von den beiden nun wieder versöhnten Rachegöttinnen gestellt und gezwungen, sich endgültig für eine von beiden behufs Heirat zu entscheiden. Ob der Jüngling wirklich nach der frivolen Behauptung des Hausherrn nach der alten Regel: „Kopf oder Schrift“ ein Zweimarkstück über seine Zukunft hatte entscheiden lassen, das bleibe ununtersucht – aber jedenfalls gewann ihn das Mari in diesem Glücksspiel, und der Niklas führte sie als ehrsame Frau Pferdeknecht heim. Daß eine Hochzeitseinladung an das Sofi zu dem festlichen Tage erging, an dem sie doch eigentlich hatte die Hauptperson darstellen sollen, fänden wir vom unparteiischen Standpunkt aus etwas roh und hielten es für selbstverständlich, daß das Sofi das Ansinnen tief empört zurückweisen werde, den ungetreuen Niklas zum Altar zu geleiten.

In der Brust des Sofi kämpften Selbstgefühl und Vergnügungssucht einen heftigen, aber kurzen Kampf – dann siegte die letztere. Das Sofi sagte ihr Kommen zu und kaufte nicht nur sich ein kuallblaues Gewand zu der Feier, sondern sogar eine Petroleumlampe als Hochzeitsgeschenk für das junge Paar. Die Hochzeit verlief, nach dem allgemeinen Urteil, überaus schön und glänzend; das Sofi, mit dem Hausschlüssel bewaffnet, kam erst um vier Uhr des Morgens sehr befriedigt wieder nach Hause und schien keine inneren Seelenkämpfe mehr durchlebt zu haben.

Ihre Großmut belohnte sich in hervorragender Weise, indem sie die Bekanntschaft eines wohlsituierten Ofensetzers machte, der sich als unmittelbarer Nachfolger des Niklas um ihr Herz bewarb und dasselbe auch davontrug, so daß das Sofi in der stolzen Lage war, binnen kurzem auch das Mari und den Niklas zu ihrer Hochzeit einzuladen.

Sie verabschiedete sich von uns mit den aus dem tiefsten Herzen kommenden Worten: „Ich wünsche der Herrschaft, daß sie wieder eine so gute Köchin bekommt, wie ich bin,“ was jedenfalls ein erfreuliches Zeugnis dafür ablegte, daß ihr Selbstgefühl durch die schnöde Hinterlist des ersten Bräutigams keinen tödlichen Stoß erlitten hatte.

Die Bekanntschaft des glücklichen Ofensetzers machten wir übrigens ebenfalls; wir verdanken ihm nebst einem neuen Ofen, den wir aus gemütlichen Rücksichten von ihm setzen ließen, auch noch einen denkwürdigen Ausspruch, den ich zum Schluß der Geschichte von dem Sofi und dem Mari der Öffentlichkeit nicht vorenthalten will.

Der Ofen also, den uns der Gatte des Sofi lieferte, erfreute sich einer besonderen Verzierung in Gestalt einer Sphinx, die aus einem glasierten Rundell sehr wohlwollend auf den Beschauer blickte. Abgesehen davon zeichnete sich aber leider das neue Besitztum dadurch aus, daß uns der Ofensetzer durch eine Rechnung von schwindelnder Höhe den Beweis lieferte, wie wenig bei ihm die freundschaftlichen Beziehungen unserer Familie zu seiner Gattin auf den Geldpunkt Einfluß gewonnen hätten.

Als der Hausherr den biederen Mann mit mildem Ernst darauf aufmerksam machte, daß der Ofen doch sehr teuer sei, erwiderte der junge Ehemann mit großer Ruhe, indem er auf die Sphinx deutete: „Ja, teuer ist er, aber dafür haben Sie auch den Pims!“ eine Bereicherung mythologischer Benennungen, die bei uns nun schon in der dritten Generation zum geflügelten Wort geworden ist, auch nachdem der Ofen und der „Pims“ längst das Zeitliche gesegnet haben.

Das Mari und das Sofi aber leben heute noch, wenn sie nicht inzwischen gestorben sind, was ja sogar in Märchen vorkommt – warum nicht in dieser wahren Geschichte!




Fredy.

Novelle von Marie Bernhard.
(Fortsetzung.)


2.

Frau Hildegard Bingen war aus dem Warmbad gekommen, hatte gefrühstückt, sich umgekleidet und saß nun in ihrer freundlich ausgestatteten Glasveranda, um einen Brief zu schreiben.

Es wollte nicht recht damit werden. Jetzt sah sie nach der Uhr und wunderte sich, wo ihr kleiner Sohn blieb – es war doch schon seine Stunde und Elise pflegte sonst sehr pünktlich zu sein – nun mußte sie aufstehen und ein paar welke Blättchen aus den Blumen zupfen, die in Vasen und Schalen umherstanden; meist waren es Feld- und Waldblumen, Frau Hildegard hatte eine Vorliebe für diese. Dann wieder folgte sie mit den Augen einem kleinen Rotkehlchen, das auf der Kastanie vor ihrem Hause munter zwitschernd von Zweig zu Zweig hüpfte und dazu sein Köpfchen rechts und links drehte, als erwartete es jemand.

„Schönheit?“ hatte Lutz Bredwitz seinen Kameraden Trutzberg gefragt und dieser mit einem entschiedenen: „Gar nicht!“ darauf geantwortet. Man mußte ihm recht geben, wenn man Frau Bingen anschaute. Sie sah unscheinbar aus und zog sich unscheinbar an, man konnte sie sehr leicht übersehen. Hätte sie eine besonders gewählte, kleidsame Toilette getragen und dadurch die Vorzüge, die die Natur ihr mitgegeben, ins richtige Licht zu setzen gewußt, so hätte man sie beachten können, aber das verstand sie nun einmal nicht, oder sie wollte es nicht verstehen. Das einzige wirklich Hübsche an ihr war die leichte zartgliedrige Gestalt mit den anmutigen Bewegungen und das sinnig und ernst blickende Augenpaar; es lag in ihm derselbe Ausdruck wie in Fredys Augen, die ihre eigene beredte Sprache zu reden und um so lieblicher zu lächeln wußten, je seltener dies geschah. Kein Fremder, der Frau Hildegard Bingen sah, hätte in ihr jemals eine reiche Witwe vermutet; sie sah mit ihrer feinen, schlanken Figur ganz wie ein junges, einfaches Mädchen aus und erschien eben dadurch auch jünger, als sie war; denn sie hatte bereits ihr siebenundzwanzigstes Jahr hinter sich.

Ihr dunkles Haar trug sie einfach gescheitelt und in ein Knötchen genommen, alle bunten, auffallenden Farben wußte sie zu vermeiden, und als einzigen Schmuck trug sie nur eine schöne antik gefaßte Broche von Perlen und Türkisen und die beiden breiten goldenen Trauringe an der rechten Hand.

Sie schob und drehte eben jetzt an diesen Ringen – ganz mechanisch geschah es, sie dachte sich nichts dabei. Wie schwer fiel es ihr, diesen Brief zu schreiben. Ihre Feder hatte erst wenige Zeilen aufs Papier gebracht, und doch war der, an den sie schreiben wollte, ihr bester Freund, genau genommen der einzige, den sie überhaupt besaß. Ein Gutsnachbar ihres verstorbenen Gatten, war er seit dessen Tode ihr treuester Berater und Helfer, ihre rechte Hand, ihre Stütze geworden … Sie hätte nicht gewußt, wie ohne ihn fertig werden! Er hatte ihr den tüchtigen Administrator ausgesucht, der ihr Gut verwaltete, er bestimmte den An- und Verkauf ihrer Wertpapiere, er kümmerte sich um Fredys Erziehung und brachte der Mutter neue, gute Bücher, dem Sohn neues Spielzeug. An kalten und langen Winterabenden, wenn das Kind im Bett lag und die einsame Frau traurig und langsam durch die stillen Zimmer ging, gleich unlustig zum Lesen wie zum Musizieren und doch auf der Flucht vor ihren eigenen Gedanken … dann klingelten seine Schlittenglocken plötzlich in dem verschneiten Hof, und gleich darauf erschien sein gutes Gesicht, von bereiftem Haar und Bart umrahmt, unter der Portière, während seine tiefe Stimme sagte: „Ich komme, Ihnen ein wenig die Einsamkeit vertreiben, Frau Hildegard! Wollen Sie mir eine Tasse Thee geben?“

Dann wurde es gemütlich in dem eben noch so stillen Raum, sie legten beide eigenhändig Holzstücke in den Kamin, und unter dem silbernen Theekessel begann das blaue Flämmchen sein heimliches Liedchen zu singen – das Lied von dem traulichen Leben zu zweien und von der lieben Häuslichkeit, die das Herz zur Ruhe kommen läßt und von allen Genüssen der Welt nicht aufgewogen werden kann. Viel, viel lebten die beiden dann in der Vergangenheit, sie hatten einen stummen Dritten bei sich im Zimmer, der leitete ihr Gespräch und blieb immer der Mittelpunkt. „Alfred sagte das auch“ und „Wissen Sie noch, wie Alfred das liebte?“ und „Alfred würde das keinesfalls gutheißen“ – so ging es hin und her, während über dem Kamin, vom aufzuckenden Flammenschein seltsam belebt, das Brustbild eines ernst und unendlich gütig blickenden Mannes auf die beiden herabsah, die sein Andenken so lebendig unter sich erhielten.

Ach ja – ja! So war das gewesen – und wenn es je zuweilen durch Frau Hildegards Sinn zog, es könnte noch einmal anders werden – anders und doch wieder so ähnlich, nur daß der Schlitten nicht mehr fortzufahren brauchte und das gute Gesicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0480.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2022)