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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Zwingburg einquartiert ist. Rohlfs verwandte seine unfreiwillige Muße dazu, eine handschriftliche Geschichte Fezzans zu übersetzen.

Am 25. März 1866 brach er von Mursuk nach Kuka am Tsadsee auf. Diese vielbegangene, über das salzreiche Bilma führende Karawanenstraße waren vor ihm bereits Denham, Clapperton, Vogel, Beurmann gezogen, keiner von ihnen aber hat uns so gediegene und erschöpfende Nachrichten über Land und Leute gegeben wie Gerhard Rohlfs. Kuka ist die Hauptstadt von Bornu, des wichtigsten und größten, wenn auch nicht stärksten Reiches unter den Staaten des mittleren und östlichen Sudans. Sein Sultan Omar erwies sich ebenso liebenswürdig und gastfrei gegen Rohlfs, wie er sich vorher gegen Barth, Overweg und Vogel gezeigt hatte und wie er sich später gegen Nachtigal benahm; aber in das verschlossene Wadai vermochte Rohlfs ebensowenig einzudringen wie vor ihm Vogel und Beurmann, noch war es ihm möglich, die im Besitz des Herrschers von Wadai befindlichen Aufzeichnungen der ermordeten Reisenden zu erlangen. So sah er sich genötigt, sein Reiseprogramm wesentlich zu ändern und sich nach Westen zu wenden.

Während seines Aufenthalts in Kuka – es mußte hier das Ende der Regenzeit abgewartet werden, die jedes Reisen im Sudan unmöglich macht – war Rohlfs Zeuge des Aufbruchs einer großen Sklavenkarawane nach dem Norden. Viertausend Sklaven waren da vereinigt, um gemeinsam den Schrecken der Wüste entgegenzugehen, vielleicht ihnen zu erliegen oder, wenn sie das Elend überstanden, in fernen Ländern nach langer Dienstzeit dahinzusterben, ohne Aussicht, ihr Geburtsland je wieder zu sehen, die Ihrigen je wieder zu begrüßen.

Das bekannte Werfen der kleinen Wurst nach der großen Speckseite verstehen alle Afrikaner vorzüglich. Auch bei Rohlfs stellten sie sich gleich nach seiner Ankunft mit Geschenken pünktlich ein. Aber sie erwarteten auch eine Gegenleistung, die das Gebotene ganz erheblich an Wert überstieg. Und jedesmal wenn sie etwas brachten, auch als Boten, verlangten sie ein Trinkgeld, womit sie unseren civilisierten Zuständen also recht nahe kamen. Nur daß hier in anderer Münze gezahlt wird. In Kuka verausgabte Rohlfs gleich in den zwei ersten Tagen nach seiner Ankunft auf diese Weise mehr als 18 Dutzend Taschentücher, zwei Dutzend Messer und 5000 Nadeln. „Geschmiert“ muß in Afrika überall werden, um weiterzukommen; vom kleinsten Beamten wie vom höchsten Würdenträger ist nichts zu erreichen ohne Geschenke. Kindern gleich wünschen diese Neger alles zu besitzen, was ihnen gefällt, aber, da sie die Kraft von Männern, oft sehr gefährlichen, haben, vermag man ihnen nicht immer mit einer ruhigen Absage entgegenzutreten.

Der Weg vom Tsadsee zum Binuë und Niger war schon vor Rohlfs von Forschern zurückgelegt worden, aber unser erfahrener Reisender verstand es auch hier, neue, bisher unbegangene Pfade zu wandeln und eine große Menge von weißen Flecken aus der Karte Afrikas zu entfernen. Durch das mächtige Reich Sokoto gelangte er erst auf westlichem, dann auf südlichem Wege an den Binuë. „Wir zogen,“ so schreibt er am 18. März 1867, „schweigend, einer hinter dem anderen, schnell dahin durch einen Saum kolossaler Bäume, die trotz des Mondlichtes so tiefe Schatten warfen, daß wir unter ihrem laubigen Dache tappend, einander anfassend, vorwärts gehen mußten. Plötzlich hatten wir Licht vor uns, vor unseren Füßen dehnte sich die silberne Wasserfläche des Binuë aus, ruhig und majestätisch nach Westen ziehend, um dem Niger den Tribut aus dem Herzen Afrikas zuzuführen.“

Ein Boot der Eingeborenen trug die Reisegesellschaft den Binuë hinunter. An der Mündung desselben in den Niger bei Lokodscha kam Rohlfs so schwach an, daß er sich kaum im Boote aufrichten konnte. Aber der Anblick von zwei europäischen Booten am Ufer gab ihm seine ganze Kraft wieder; mit einem Satze sprang er ans Land, ehe das Fahrzeug anlegen konnte. Nur wer Gleiches durchlebt hat, vermag seine Gefühle ganz zu verstehen. Die beiden hier wohnenden Engländer hatten selbst seit einem Jahre keinen Europäer gesehen; so war die Freude gegenseitig. Nach einem kurzen Aufenthalt in den gastlichen Häusern dieser beiden Herren, der Rohlfs wie ein Traum vorkam, ging es den Niger aufwärts bis zu dem verfallenen Rabba und von da durch die Urwälder von Joruba zu der großen Seestadt Lagos, wo sich Rohlfs wie so viele Reisende vor und nach ihm zur Rückfahrt in die Heimat einschiffte.

Europa war freudig überrascht, als es die Nachricht von Rohlfs’ glücklicher Durchquerung des afrikanischen Kontinents empfing, denn schon waren über Aegypten Gerüchte von seiner Ermordung in Wadai zu uns gedrungen, und man beeilte sich, ihm die Ehren zu erweisen, die er sich durch seine ausgezeichneten Leistungen verdient hatte. Die größten Geographischen Gesellschaften Deutschlands wie des Auslandes verliehen ihm den höchsten Preis, der ihnen zur Verfügung steht, ihre Goldene Medaille. Rohlfs war der Erste, der den afrikanischen Kontinent in südlicher Richtung durchquert, der dritte gebildete Reisende, der den afrikanischen Kontinent überhaupt durchschnitten hatte. Die Ereignisse dieser berühmten Reise hat er in dem zweibändigen Werke „Quer durch Afrika“ geschildert.

Gerhard Rohlfs war ein echter Entdeckungsreisender, der Rast und Ruhe nicht kannte; es duldete ihn nicht lange in dem bequemen heimatlichen Leben. Schon im Jahre 1867 sehen wir ihn in Abessinien, wo er die englische Armee auf ihrem Feldzuge gegen den Kaiser Theodoros begleitete. Darauf wurde Rohlfs von König Wilhelm von Preußen mit der Absendung prachtvoller Geschenke an den Sultan von Bornu betraut, der ja einige deutsche Reisende und zuletzt Rohlfs selbst so freundlich aufgenommen hatte. Rohlfs übergab 1868 diesen Auftrag Dr. Nachtigal, der als Arzt in Tunis wirkte. Nachtigal machte infolgedessen seinen weltberühmten Afrikazug, auf dem er außer Bornu die unzugänglichen Länder Tibesti und Wadai besuchte. Rohlfs zog indessen durch das Hochland von Barka und die Oase des Jupiter Ammon nach Kairo. Hier wußte er durch Vermittelung des preußischen Generalkonsuls von Jasmund den Chedive dafür zu gewinnen, eine systematische Durchforschung der ganzen libyschen Oasenreihe bis Kufra in strengwissenschaftlicher Weise durch Gewährung reicher Mittel zu ermöglichen. In Verbindung mit einem Stab von Gelehrten, darunter Zittel, Jordan, Ascherson, durchforschte Rohlfs in den Jahren 1873 bis 1874 sämtliche ägyptischen Oasen; die Resultate der nach allen Richtungen erschöpfenden Forschungen erschienen später in einem großen Sammelwerk. Nach einer weiteren Reise quer durch den nordamerikanischen Kontinent erhielt er dann 1878 vom Deutschen Kaiser den Auftrag, dem Sultan von Wadai, der Nachtigal so freundlich aufgenommen hatte, reiche Geschenke zu überbringen, wie sie der Sultan von Bornu schon früher empfangen hatte.

Auf der großen wissenschaftlichen Expedition in den Oasen der Libyschen Wüste hatte Rohlfs Kufra nicht erreichen können, obschon das sein ursprünglicher Plan gewesen war. Er beschloß jetzt, seinen Weg über diese Oasengruppe zu nehmen. Aber das Glück war ihm zum erstenmal nicht hold. In Kufra wurde er von Arabern der fanatischen, über ganz Nordafrika verbreiteten mächtigen Snussisekte überfallen, und er konnte sich nur durch eilige Flucht und unter erheblichen Verlusten an seinem Gepäck mit seinem Begleiter Stecker vor dem sicheren Tode retten. Eine Frucht dieser Reise ist das hochinteressante Werk „Kufra“ (Leipzig, 1881).

Mit demselben Stecker ging er 1880 an den Hof des Negus von Abbessinien, um diesem ein Schreiben Kaiser Wilhelms I. zu überbringen. Darauf wurde er zum Generalkonsul für Sansibar ernannt. Aber nicht so glücklich wie Nachtigal, der mehrere Jahre einen gleichen Posten in Tunis bekleidete, gab er diese Stellung bereits nach wenigen Monaten auf, um in sein Heim in Weimar zurückzukehren, das er 1890 mit dem schönen Godesberg am Rhein vertauschte.

Im Genuß der verdienten Muße arbeitete er hier lebendige Darstellungen seiner Erlebnisse aus, die er mit gleichem Erfolg zum Inhalt fesselnder Aufsätze wie packender Vorträge zu machen verstand.

Seine Vorträge, die er in den größeren Städten unseres Vaterlandes hielt, fanden stets zahlreiche und dankbare Zuhörer. Wiederholt hat Rohlfs auch in der „Gartenlaube“ belehrende Artikel, zuletzt über den fanatischen Orden der Snussi und über den Schatz der Sultane von Marokko, veröffentlicht.

In Rüngsdorf bei Godesberg ist er am 3. Juni d. J. gestorben, nachdem er kaum in das 66. Lebensjahr eingetreten war. Bis zu seinem Ende war er ein tapferer Kämpfer, wie vordem in mntiger That, nun in Wort und Schrift, für die Aufklärung des Dunklen Weltteils, dessen bisherige Erforschung zu einem so großen Teil sein Werk ist. In den letzten Jahren, den Jahren unseres kolonialen Aufschwungs, verfolgte er mit warmem Interesse die Entwicklung unserer afrikanischen und australischen Besitzungen. In der Geschichte der Afrikaforschung wird sein Name allezeit mit goldenen Lettern verzeichnet stehen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0478.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2021)