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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

legte er das nasse Taschentuch, in dem er die Forellen gebracht hatte, fein säuberlich zusammen, griff nach seinem Hut und ging zur Thüre.

„Ja, Schorscherl, was hast denn?“

„Geh, Mahm’, thu mich net auch noch spotten!“ Jetzt stand zur Abwechslung das helle Wasser in seinen Augen.

„Aber Schorscherl!“

„Du bist mir die letzte Hilf’ g’wesen! Die anderen zwei haben mir eh’ schon ein’ Tritt ’geben! No also, jetzt muß ich halt schauen, daß ich mich selber durchbeiß’! Wie’s geht, weiß ich net! Daß D’ mich so in der Bredull sitzen laßt, hätt’ ich mir doch net ’denkt von Dir. Ich trag’ Dir’s net nach … der liebe Herrgott soll Dir’s gut gehen lassen … aber daß ich zu Dir noch ein Schritt in d’ Stuben setz’? Na, Mahm’! Wir zwei haben ausg’schorscherlt miteinander! B’hüt’ Dich Gott!“

„Aber Schorscherl …“

Er hörte nicht mehr. Wütend putzte er sich draußen im Flur mit der Faust die Thränen ab und stolperte über die Treppe hinunter. Auf der Straße stand er ratlos. Der Kopf brummte ihm, daß er kaum einen Gedanken fassen konnte.

Woher jetzt Geld nehmen? Vor allem mußte der Krämer bei zahlt werden – denn bei dem mußte er wieder Kredit haben, wenn er für den Gesellen in aller Ordnung die Mahlzeiten kochen wollte.

„Halt! der Grundhofer!“ Der ließ ja in der Schmiede auf Jahresrechnung arbeiten – bei dem mußtc er seit Neujahr immerhin schon ein Guthaben von fünfzig oder sechzig Mark stehen haben! Wenn er dem ein freundliches Wort gäbe?

„Der zahlt schon!“

Schorschl bekam bei diesem Gedanken einen ganz heiligen Respekt vor einem Menschen, der prompt bezahlt.

Er rannte, daß er in Schweiß geriet. Aber beim Grundhofer erwartete ihn eine Ueberraschung, die ihn vor Zorn und Verlegenheit sprachlos machte.

„Du bist mir ein Feiner!“ schalt der Bauer. „Vor acht Tag’ hast Dein’ Knecht ums Geld g’schickt … den hab’ ich ’zahlt … und jetzt kommst selber und forderst mich ein zweit’s Mal an! Ah! Das wär’ mir aber die richtige Mod’!“

Schorschl stotterte eine Ausrede, die dümmste, die ihm einfiel; denn ohne den Gesellen gehört zu haben, wollte er ihn doch nicht der Unterschlagung beschuldigen.

Daheim aber in der Werkstätte brauchte er nur zu sagen: „Steffel, ich komm’ vom Grundhofer!“ … und er wußte ganz genau, wie sich die Sache verhielt.

Das Gesicht des Gesellen redete deutlich.

„Ja um Gotteswillen, Steffel, was hast denn mit dem vielen Geld ang’fangt?“ jammerte Schorschl, als wäre das Geld bei ihm zeitlebens eine heilig ernste Sache gewesen.

Steffel versuchte der bösen Geschichte eine heitere Wendung zu geben, lachte und zuckte die Achseln, „schön langsam ’braucht hab’ ich’s halt. Du hast es gut … aber mir pumpen s’ ja nix!“

Da verging dem Daxen-Schorschl doch die Geduld: er wurde dunkelrot im Gesicht und schrie: „Jetzt packst Dich aber! Ein’ Lumpen hab’ ich dulden müssen neben meiner, denn ich bin selber einer g’wesen. Für ein’ Spitzbuben is mir mein Haus aber doch ein bißl z’gut!“

„Oho!“ Steffel faßte den Schmiedhammer; aber da kam er übel an.

„Glaubst vielleicht, ich fürcht’ Dich, Du Laubfrosch, Du?“

Mit der Faust schlug Schorschl dem Gesellen den Hammer aus der Hand, dann packte er Steffel an der Brust und schüttelte ihn, daß dem Gesellen die Zähne klapperten. „So! Und jetzt fahr’ ab! Und bist in einer Stund’ mit Deinem Ranzen net draußen zum Haus, so mach’ ich Dir Füß’!“

Ohne noch ein Wort zu erwidern, drückte sich Steffel zur Werkstätte hinaus.

Als Schorschl allein war und sein Zorn verrauchte, überkam ihn eine Niedergeschlagenheit, daß er am liebsten geweint hätte.

Er setzte sich auf den Holzblock des Amboß und drückte das Gesicht in die Hände. Ein Schritt weckte ihn.

Es war der Bauer, dessen Leiterwagen in der Werkstätte auf das Beschläg wartete.

„Wann krieg’ ich denn mein’ Wagen?“

Schorschl erhob sich, um nachzusehen, wie weit der Gesell die Arbeit schon gebracht hätte. „Komm halt am Abend wieder … ich mein’, daß ich ihn fertig bring’.“

„No, da bin ich neugierig! Da mußt Deinem G’sellen aber fleißig helfen!“

„So? Meinst?“

„Ja!“

Der Bauer ging, sah über die Schulter zurück und schüttelte den Kopf.

Man läutete die Elfuhrglocke, als Schorschl die Arbeit begann. In seinem Eifer übersah er den Gesellen, der mit seinem Ranzen zum Haus hinaus und über den Hof spazierte.

Steffel verließ seinen Dienst, ohne dem Meister noch einen letzten Gruß zu sagen. Drüben im Wirtshaus trank er sein „Abschiedsmaßerl“ und erzählte, daß ihm die „Lumpenwirtschaft“ in der Daxenschmiede endlich zu dick geworden und daß er dem Schorschl aufgesagt hätte, um bei einem „repadierlichen“ Meister Arbeit zu suchen.

„Ui jegerl,“ meinte der Wirt mit halbem Erbarmen, „jetzt hat er kein’ G’sellen nimmer, der d’ Arbeit für ihn macht! Da schwimmt er aber bald, der Schorschl!“

Das hörte der alte Rufel, der hinter dem Ofen im dämmrigen Winkel saß und den Gebetriemen um die Hand legte. Er seufzte und wiegte den grauen Kopf zwischen den Schultern.

Dazu tönte es immer von der nahen Schmiede herüber: kling, kling, kling, kling …

Und wenn die Hammerschläge für kurze Weile aussetzten, wirbelte dicker Rauch aus dem Schornstein der Esse.

Zur Mittagszeit schwieg aller Lärm im Dorf und auf der Straße rasselte kein Wagen mehr: nur in der Schmiede wollten die Hammerschläge nicht ruhen: kling, kling, kling, kling …

Als gegen sechs Uhr abends der Bauer um seinen Wagen kam, war die Arbeit schon seit einer Stunde fertig und Schorschl schmiedete ein paar Hufeisen in Vorrat.

„Was is denn mein’ Schuldigkeit?“ fragte der Bauer.

Schorschl stieß die Zange mit dem Eisen in die Glut und zog den Blasbalg. „Z’erst schau Dir d’ Arbeit an, ob z’frieden bist.“

Bedächtig schritt der Bauer rings um den Wagen, untersuchte die Eisenreife der Räder und prüfte das Beschläge der Deichsel. „Sauber is alles g’macht! Respekt! Wenn er mag, Dein G’sell, so versteht er sein Sach!“

„Mein G’sellen hab’ ich davong’jagt heut’ in der Fruh.“

„Was?“ Der Bauer riß Mund und Augen aus. „Und Du allein? … Ja Schorschl! Is denn der heilig’ Geist niederg’flogen über Dich? … No also, was bin ich denn schuldig?“ Er zog sein ledernes Beutelchen hervor.

„Die ganze Zeit her hast drüben im andern Dorf arbeiten lassen … oder net?“

„Ja! Und das hat seine guten Gründ’ g’habt.“

„Freilich! Wenn’s Dir net pressiert hätt’ mit dem Wagen, wärst eh net zu mir ’kommen, gelt?“

„Na!“

„Was hast denn drüben allweil zahlt für ’s Eisen und die ganze Arbeit?“

„Vierundzwanz’g Mark für ein’ Wagen.“

„So zahl’ mir halt zwanzig. Wenn ich d’ Leut’ wieder ’reinzügeln will zu mir, muß ich besser arbeiten wie die andern, und billiger.“

Schmunzelnd suchte der Bauer aus seinem Beutelchen zwei Zehnmarkstücke hervor und legte sie auf den rußigen Werktisch.

„Ich hätt’ schon noch ein bißl Arbeit für Dich!“

„Geh, sei so gut und bring mir’s.“

„Ja, morgen! … Hilfst mir den Wagen ’nausschieben?“

„Natürlich!“

Der Bauer faßte die Deichsel und Schorschl ein Rad. Mit Rasseln und Holpern rollte der Wagen über die Thürschwelle in den Hof hinaus. Draußen hatte der Bauer ein leichtes Ziehen, denn die Straße ging bergab.

Als Schorschl in die Werkstätte zurückkam, wog er die beiden Goldstücke ehrfürchtig auf der Hand und seufzte. „Die müssen fort! Und gleich! Sonst reißt’s mich heut am Abend ins Wirtshaus ’nüber! Ich kenn’ mich!“

Die Faust mit dem Geld in die Hosentasche grabend, lief er zum Krämer hinüber. Es war etwas wie verschämter Stolz in seinem Blick, als er die zwei Goldstücke mit festem Daumendruck auf die Ladenpudel legte und zur Krämerin sagte: „Da! Mehr hab’ ich net! Mit dem andern mußt halt noch ein bißl zuschauen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0474.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)