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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

auf mein Wort! Hier ist so ’n Gebäudchen, nennt sich ganz stolz Hotel, da ist er zu finden; Philipp der Gute hat die Quelle erschlossen. Also – begleitest Du mich?“

„N–n–ein!“ entgegnete Trutzberg zaudernd. „Kann jetzt nicht! Andermal! Augenblicklich muß – habe ich – such’ ich etwas!“

„Suchst etwas? Hier?“

„Ja!“

„Auf dieser grünen Wiese? Persönliches oder Sächliches?“

„Persönliches!“

„Ich sehe hier weit und breit nichts anderes als ein Kind!“

„Ganz recht!“

„Oder meinst Du die Bonne bei ihm? Wir sind noch nicht nahe genug heran. Falls sie etwa jung und hübsch ist, ließe es sich ganz gut begreifen, wenn –“

„Nichts da! Bleibt ganz aus dem Spiel!“

Bredwitz sah verdutzt zu dem Redner empor, der in seinem gewöhnlichen schleppenden Ton weiter sprach und die Hand am Schnurrbart hatte.

„Erlaub’ mal, Edler, Du mußt Dich in diesen anderthalb Jahren gewaltig verändert haben! Seit wann in aller Welt interessierst Du Dich denn für Kinder?“

Trutzbergs Blick ging geringschätzig über Bredwitz hinweg.

„Kommt Dir keinen Augenblick der erleuchtende Gedanke, daß Kinder auch Mütter haben können?“

„Ah so – natürlich – na, das wär’ mir schon mit der Zeit eingefallen – kam mir bloß so komisch vor, weil Du doch Kinder nie leiden konntest! Sieh mal, sieh mal! Wie ist denn der Vater?“

„Tot!“

Bredwitz’ Augen wurden ganz groß, ihm ging endlich das betreffende Licht auf.

„Witwe also?“

„Witwe!“

„Schönheit?“

„Gar nicht!“

„Und Dein heiliger Ernst?“

„Allerheiligster!“

„Gott bewahr’ mich!“ rief der Artillerist förmlich erschrocken und versank in einiges Nachdenken.

Also heiraten wollte Hans Henning Edler zu Trutzberg – alles Ernstes heiraten! Und es eignete sich kaum jemand aus Bredwitz’ ganzem großen Kameradenkreise so schlecht für die Ehe wie Trutzberg; er hatte eine grundschlechte Meinung von den Frauen, er behandelte sie danach, und sie hingen ihm an, liefen ihm nach, verwöhnten ihn, wo sie wußten und konnten, und dazu lachte er und zuckte die Achseln.

Allerdings – Zeit, höchste Zeit mochte es sein, daß der Edle zu Trutzberg sich endlich „arrangierte“! Wenn Bredwitz es recht bedachte, war dies schon vor anderthalb Jahren in der rheinischen Garnison notwendig gewesen, und er hätte es gern gewußt, wie der damals schon stark verschuldete Kamerad es inzwischen angefangen hatte, sich zu halten. Der Oberst hatte bereits recht deutliche Winke gegeben, im Regiment war allerlei gemunkelt worden, aber Trutzberg that gar nicht dergleichen, er trat sorglos auf wie zuvor. Er verstand zu leben, war ein verwegener Reiter, leidenschaftlicher Jäger, waghalsiger Spieler, und sein Glück bei den Frauen war sprichwörtlich. Ohne nennenswertes Vermögen – was er etwa besessen hatte, war längst dahin ohne reiche Verwandte … wie fing der Mensch es an, zu leben, so zu leben? Seine Versetzung in die entlegene ostpreußische Garnison war freilich ganz plötzlich gekommen … ob die damit zusammenhing? Der „Edle“ liebte es nicht, über sich und seine Empfindungen zu sprechen. Im allgemeinen faßte er das Leben auf wie ein Würfelspiel … ob ihn der große Becher hierhin oder dorthin warf, das mochte ihm ziemlich einerlei sein. Er ließ sich von den Kameraden „wegessen“, zeigte sich dabei als vorzüglicher Gesellschafter, wie immer, wenn er wollte, und verabschiedete sich in seiner sorglosen Art; von Trennungskummer bemerkte niemand die Spur an ihm. Der kleine Bredwitz hatte Trutzberg recht gern gehabt, er hatte sich willig von ihm imponieren lassen und manch liebes Mal in den verflossenen achtzehn Monaten an den „schneidigen“ Kameraden gedacht. Gehört hatte er seitdem nichts mehr von ihm, nicht einmal eine Postkarte hatte der „Edle“ für seine bisherigen Freunde am Rhein übrig gehabt.

Und jetzt war er hier in diesem entlegenen Stranddorf und wollte heiraten! Wie die betreffende Frau wohl sein – wie sie aussehen – und vor allem, wieviel Vermögen sie haben mochte? Sollte es sich wirklich dabei nur um den Versuch handeln, sich zu „arrangieren“?

Während sich Lutz, „das dicke Lützelchen“, wie ihn die Kameraden nannten, solche Gedanken durch den Kopf gehen ließ, waren die zwei Offiziere im langsamen Schleudern über die ziemlich große Waldwiese bis in die Nähe des Kindes gekommen. Dieses, ein etwa sechsjähriger, feingebauter Knabe, in einen hellen, zierlichen Matrosenanzug gekleidet, war eifrig beschäftigt, mit einem kleinen Spaten Pflänzchen aus der Erde zu stechen und sie in einen neben ihm stehenden blau angestrichenen Karren zu legen. Die Bonne, eine junge, nicht sonderlich hübsche Person, saß mit ihrer Häkelei auf einer Bank.

„Ist’s denn ein nettes Kind?“ fragte Bredwitz halblaut.

Hierauf hatte Trutzberg sein gewohntes Achselzucken.

„Nett?“ sagte er endlich gleichfalls leise, „eine schwierige Beigabe ist er und ein notwendiges Uebel dazu – sie betet den Jungen an!“

„Das ist doch kein Unglück!“ gab der andere zurück. „Du mußt eben machen, daß sie Dich noch mehr anbetet, und das dürfte Dir nicht zu schwer werden! Bist Du denn gut Freund mit dem Knirps?“

„Im Gegenteil! Er kann mich nicht ausstehen!“

„Ach was! Das bildest Du Dir wohl nur ein!“

„Ist nicht mein Fall sonst!“ Trutzberg lächelte spöttisch und ging dicht an den Knaben heran. „Guten Tag, Fredy!“ sagte er freundlich.

Der Kleine, der gebückt, ganz vertieft in seine Beschäftigung, dagestanden hatte, fuhr nach Art sehr nervöser Kinder erschrocken zusammen und hob ein feines, blasses Gesichtchen mit großen grauen Augen zu den Ankömmlingen empor. Die Bonne war beim Anblick des schönen Kürassieroffiziers rot geworden und erhob sich in Verwirrung von ihrem Sitze.

„Nimm doch den Hut ab, Fredy, und sag’ guten Tag,“ sagte sie vorwurfsvoll. „Was müssen denn die Herren von Dir denken? Solch’ ein großer Junge wie Du, und weiß noch immer nicht, was sich schickt!“

Fredy ließ den Spaten fallen und zog mit beiden Händen den breitrandigen Strohhut vom Kopf. Sein Mund blieb stumm.

„Soll ich denn keine Hand bekommen?“ fragte Trutzberg und hielt ihm die seine hin.

Ein schüchternes Händchen hob sich verlegen und zögernd.

„Die Rechte, Fredy, die Rechte!“ rief die Bonne eifrig.

„Wie oft hat Mama Dir das gesagt! Die Hand, in der Du den Löffel hältst!“

„Lassen Sie ihn nur, Elise!“ fiel der Kürassier ein. „Das findet sich alles! Wir werden noch die besten Freunde. Sag’ mal diesem fremden Herrn hier, wer ich bin, Fredy!“

„Herr Lieutenant Freiherr von Trutzberg!“ sagte das Kind leise.

„Schön! Aber wie hat Dir Mama gesagt, daß Du mich nennen sollst? Weißt Du noch? Neulich, wie wir auf dem Spaziergaug nach der Düne zusammen waren! Besinn’ Dich hübsch!“

„Onkel – Onkel Hans,“ half Elise nach.

Fredy schüttelte den Kopf. „Weiß nicht mehr!“

„Aber Fredy! Mit Deinem guten Gedächtnis! Wo Du sonst alles behältst, was man Dir einmal vorspricht!“

Die Bonne sah erzürnt und verlegen aus, daß ihr Zögling gerade hier, dem von ihr so sehr bewunderten Kavalier gegenüber, so wenig Ehre einlegte.

„Wenn Du meinen Namen nicht mehr weißt, den Dir Deine Mama so hübsch vorgesprochen hat, dann besinnst Du Dich am Ende auch nicht mehr auf das, was ich Dir mitbringen wollte – wie?“

Das Kind drehte langsam seinen Matrosenhut in den Händen hin und her und schwieg.

Trutzberg zog ein Päckchen aus seiner Tasche und wickelte eine grün schillernde große Eidechse heraus. Sie war aus Metall, hatte bewegliche Glieder, glitzernde Augen und spazierte, sobald man an einer kleinen Feder drückte, zierlich auf dem Erdboden hin und her.

„Sie gefiel Dir ja so gut im Schaufenster, und Du wolltest sie so gern haben. Nimm sie, ich hab’ sie für Dich gekauft!“

„Fredy – wie sagt man?“ rief Elise beinahe heftig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0466.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2022)