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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Mischlinge erblicken, doch wird diese Behauptung von manchen anthropologischen Autoritäten bestritten; ja, man geht sogar soweit, die ganze weiße Landbevölkerung als Guajiros zu bezeichnen. In Wirklichkeit ist die Zahl der echten typisch unterscheidbaren Guajiros im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der Insel sehr klein und sie zeichnen sich durch gewisse Charaktereigenschaften doch ganz wesentlich von der großen Masse der Kreolen aus. Straffes Haar und gewisse Gesichtslinien weisen auf indianischen Ursprung hin, ebenso die Schärfe ihrer Sinne, die sie im Kriege für den Kundschafterdienst ganz besonders befähigt. An Leidenschaftlichkeit, an fanatischer Vaterlands- und Freiheitsliebe übertreffen sie noch die Kreolen, und in den Aufständen dieses Jahrhunderts haben sie daher immer eine wichtige Rolle gespielt, durch ihren Todesmut, ihre Opferwilligkeit anfeuernd auf die übrigen Freiheitskämpfer gewirkt und nicht wenig dazu beigetragen, die Kriege in die Länge zu ziehen.

Den Hauptbestandteil der cubanischen Bevölkerung bilden die Kreolen, deren Zahl mehr als 900 000 beträgt; es sind Weiße, die nur unter dem langen Einfluß der Tropensonne gebräunt sind und überwiegend von spanischen, zum kleineren Teil von französischen und anderen europäischen Einwanderern abstammen. Außerordentlich reich begabt, würden sie bei tüchtiger Ausbildung sehr Bedeutendes zu leisten im Stande sein. Das Schulwesen ist jedoch von jeher auf Cuba völlig vernachlässigt worden und ist es auch jetzt noch derart, daß 76 Prozent der Bevölkerung des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind. Die erschlaffende Wirkung des Klimas trägt das ihrige dazu bei, die Neigung der Kreolen zur Unthätigkeit zu befördern. Ihre Apathie weicht jedoch leicht der größten Leidenschaftlichkeit. Der stete Druck, unter dem sie gelebt haben und leben, hat sie unterwürfig gegen ihre Herren, hochmütig gegen ihre Untergebenen, außerdem reizbar, empfindlich und argwöhnisch gemacht. Feurige Patrioten und freiheitsliebend, sind sie stets mit voller Kraft und Beharrlichkeit für die Erringung ihrer Unabhängigkeit eingetreten. Ihre hohen natürlichen Geistesgaben bekunden sich – bei dem Mangel an Bildung – im allgemeinen nur in ihrem Witz, ihrer Schlagfertigkeit, ihrer Gedankenschärfe; zu ernsten Studien haben sie aus dem gleichen Grunde der mangelhaften Bildung kein Interesse und daher auch wenig Befähigung; dafür lieben sie Musik, Tanz, äußeren Glanz und verwenden große Sorgfalt auf ihre äußere Erscheinung. Wenngleich nicht so schön wie manche ihrer südamerikanischen Schwestern, namentlich die Chileninnen, sind die kubanischen Kreolinnen doch noch berückender als jene, weil sie die Hebung ihrer natürlichen Reize durch ihre Kleidung und Toilettenkünste noch mehr als jene zum Hauptgegenstand ihrer Beschäftigung machen, stets lebensfroh und heiter, dabei aber auch geistreich sind. Da sie die Bewegung jedoch aufs äußerste scheuen, werden sie sehr frühzeitig korpulent und altern rasch.

Ansicht von Santiago de Cuba.

Das farbige Element, welches sich auf nahezu 500000 Seelen beziffert, weicht in seinem Charakter beträchtlich von dem der Vereinigten Staaten wie des übrigen Westindiens und der central- und südamerikanischen Nachbarländer ab. Die Negersklaven sind auf Cuba im Durchschnitt zu allen Zeiten ziemlich milde behandelt worden, sie haben mehr Freiheiten genossen als die des übrigen Amerikas; sie haben daher auch stets mehr Anteil an dem Schicksal ihrer Herren und somit auch des Landes genommen, das ihnen, ihren Vorfahren und Nachkommen Heimat geworden ist; sie haben aus diesem Grunde auch nach Aufhebung der Sklaverei mehr Interesse an dem öffentlichen und politischen Leben gezeigt und die Freiheitsbestrebungen der Kreolen kräftig unterstützt.

Die Aufhebung der Sklaverei hatte die Einführung asiatischer Arbeiter, chinesischer und indischer Kulis, zur Folge, die sich bei der letzten Volkszählung von 1887 auf ungefähr 44000 Individuen bezifferten. Sie verschwinden jedoch in der Masse und spielen keine politische Rolle.

Den Kreolen gegenüber steht nun das eingewanderte und vorübergehend auf Cuba ansässige spanische Volkselement, das kraft der Kolonialgesetze das Herrenrecht über die Insel und ihre Bevölkerung genießt und dasselbe auch in ergiebigster Weise zu allen Zeiten ausgeübt hat und heute noch ausübt. Der Umstand, daß der Großgrundbesitz, das Kapital, der Großhandel infolge der staatlichen Bevorzugung der Spanier vollständig in den Besitz der letzteren übergegangen sind, daß die Verwaltung ganz ausschließlich in ihren Händen liegt und daß die Eingebornen stets von der Regierung ihrer eignen Insel ferngehalten worden sind, hat jenen Zwiespalt zwischen den Spaniern und den Cubanern erzeugt, der die Ursache aller der Aufstandsversuche gewesen ist, die im Laufe dieses Jahrhunderts auf der großen Antilleninsel stattgefunden haben. Tödlicher Haß gegen ihre Bedrücker erfüllt die ganze Masse der einheimischen Bevölkerung, und weil die letztere, so weit sie nur immer vermag, die Aufrührer im Kampfe gegen die Spanier unterstützt, weil sie ihnen immer und überall, wo sie es nur kann, Vorschub und Hilfe leistet, so haben die Bürgerkriege und Aufstände auf Cuba auch immer eine so lange Dauer gehabt; deshalb hat der letzte derselben volle zehn Jahre, von 1868 bis 1878, gedauert und deshalb zieht sich auch der am 24. Februar 1895 ausgebrochene jetzt so in die Länge.

Was die Cubaner früher verlangten: politische Gleichberechtigung mit den Spaniern, Teilnahme an der Verwaltung ihres eigenen Landes, war eine billige und leicht zu bewilligende Forderung. Die Nichtgewährung derselben hat den Gedanken der Befreiung Cubas von Spanien, der Erlangung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Insel allmählich entstehen lassen und nunmehr zum Kriegsruf der Kreolen gemacht.

Die Zahl der großen volkreichen Ortschaften Cubas ist äußerst beschränkt; die Masse der Bevölkerung verteilt sich über das ganze ausgedehnte Land, dessen Bebauung die Haupteinnahmequelle der Insel bildet. Tabak, Zuckerrohr, neuerdings auch der Kaffeestrauch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0458.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2022)