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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 27.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (3. Fortsetzung.)

4.

Heller Vollmondschein lag über den zerrissenen Gehängen des laufenden Berges und über den schiefen Wipfeln des Purtschellerwaldes. In der Tiefe der Erde gurgelte das versunkene Wasser, und zwischen den Bäumen ließ von Zeit zu Zeit ein Käuzlein seinen klagenden Schrei vernehmen.

In dem schwarzen Schatten, den der Waldsaum über die Wiese warf, saß Schorschl an einen Baum gelehnt. Er hielt die Arme um die aufgezogenen Kniee geschlungen und blickte bald hinunter ins Thal, in welchem der eben liegende und vom Mondschein beleuchtete Nebel sich ansah wie der matt schimmernde Spiegel eines langgestreckten Sees – bald wieder spähte er hinüber gegen die nahe Simmerau, von welcher trotz der sinkenden Nacht noch immer der Hall der rastlosen Schläge herübertönte – dann wieder starrte er brütend vor sich nieder und nickte bedächtig mit dem Kopf. Dazu sagte er sich laut und langsam die fünf Worte vor:

„Schorschl! Du bist ein Lump!“

Diese Worte hatten ihm das Geleit gegeben von der Simmerau bis hinauf in die Felswände, die das Seekar umringen, und bis hinein ins Latschendickicht, in welchem der „ausgemachte“ Hirsch sein ahnungsloses Mittagsschläfchen hielt. Was er auf diesen Wegen auch immer dachte und in Gedanken sich vor redete – alles lief am Ende auf diese kurze Weisheit hinaus:

„Schorschl! Du bist ein Lump!“

Was er auch hörte, der Tritt seiner Schuhe, das Klirren des Bergstockes, das Rollen der Kiesel, welche sein stolpernder Fuß in Bewegung brachte, und der ungestüme Schlag seines eigenen Herzens – alles und alles hatte den Klang dieser fünf „verflixten“ Worte! Und als er in seiner blinden Narretei den sichern Hirsch „verpatzt“ hatte, als das aufgescheuchte Tier, statt den von Purtscheller besetzten Wildsteig anzunehmen, in rasender Flucht durch das Latschenholz hinunterstürmte, klang es bei jedem Sprung ganz deutlich im Takt:

„Schorschl … Du bist … ein Lump … ein Lump!“

Das Wort hatte ihn um all seine lustige Ruhe gebracht. Als er sich von der Seite Purtschellers und des Jagdgehilfen hatte wegstehlen können, war er glücklich gewesen, mit sich allein zu sein. Und nun saß er hier seit langen Stunden immer auf dem gleichen Fleck, immer mit dem gleichen Wort auf den Lippen. Es hatte sich in seinen Gedanken festgeklammert, und dennoch wollte er diesen fünf verwünschten Silben nicht glauben. Er zählte sich, um diese kurze Weisheit zu widerlegen, an den Fingern all seine guten


Schwerer Dienst.
Nach einer Originalzeichnung von H. Haase.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0449.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)