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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


er sein, wenn er net zugreifen thät’! … Aber was ich fragen will? Is mit der Post nix ’kommen?“

„Jesses ja!“ Karlin’ schob sich hastig hinter dem Tisch hervor. „Ein eing’schriebener Brief.“

„Aber, Linerl! Geh! Den hättst mir doch auf der Stell’ geben sollen … es könnt’ ja was Wichtigs sein, was kein’ Aufschub leidt!“

„Ich bitt’ Dich, Toni, thu’ mir net zürnen! Aber schau, in der Freud’, daß so gut mit mir g’wesen bist, hab’ ich ganz drauf vergessen!“ Sie riß das Thürchen eines Wandschrankes auf und brachte den Brief. „Da is er! Wenn nur für Dich kein’ Sorg’ net drin steht!“

Verwundert betrachtete Purtscheller die dem Couvert aufgedruckte Geschäftsadresse. „Vom Schloßbräu in der Stadt? Was will denn der?“ Wirklich schien es, als ob schon jetzt, bevor er den Brief noch gelesen hatte, eine unbehagliche Sorge in ihm aufstiege. Aber dann lachte er wieder. „Am End’ will er gar mein’ Bräunl kaufen, mit dem ich beim letzten Trabrennen sein’ Amerikanerschimmel g’schlagen hab’?“ sagte er, während er das Couvert öffnete. „Aber na, Brüderl! Fünftausend Mark kannst mir hinlegen, und der Schnabel bleibt Dir noch allweil sauer!“ Lachend begann er zu lesen.

Karlin’ wollte die geleerte Suppenschüssel vom Tisch tragen. Aber da sah sie, daß dunkle Röte über die Züge ihres Mannes flog.

„Toni?“ stammelte sie und setzte die Schüssel nieder, die zwischen ihren zitternden Händen klirrte.

„So ein hinterlistiger Heiduck, so ein verdammter!“ schrie Purtscheller und schmetterte im Jähzorn seine Faust auf die Tischplatte, daß die Teller hüpften.

Seine Frau war bis in die Lippen erblaßt. „Jesus Maria! Toni! Hat Dir einer ein Unrecht zug’fügt?“

Er antwortete nicht, sondern griff an seinen Hals, als wäre ihm der Hemdkragen zu eng geworden.

„Aber Toni! Ich bitt’ Dich um Gott’swillen, so red’ doch!“

„In Ruh’ laß mich!“ Er stürzte ein Glas Wein hinunter, sprang auf, stieß den zerknüllten Brief in die Hosentasche und wanderte durch die Stube. Vor einem Fenster blieb er stehen, starrte hinaus in die sinkende Nacht und nagte an seinem Schnurrbart.

Karlin’ hatte Thränen in den Augen, und es währte eine Weile, bis sie zu sprechen wagte. „Toni?“ sagte sie, ganz leise, als hätte sie Furcht, daß jedes laute Wort seinen Zorn noch reizen könnte. „Ich bitt’ Dich bei allem, was Dir lieb und heilig is, sag’ mir doch, über was Dich kümmern mußt! Schau mich nur an, wie ich mich sorgen thu’ um Dich!“

„Du? Und sorgen?“ schrie er über die Schulter. „In Ruh’ laß mich, hab’ ich Dir g’sagt! Und misch’ Dich net in alles, was Dich nix angeht!“

Zwei Thränen rollten über die Wangen der jungen Frau und ein müdes bitteres Lächeln zuckte um ihre Lippen. Sie wollte schweigen und suchte eine Beschäftigung am Tische. Dann wieder blickte sie in banger Sorge zu ihrem Mann hinüber, trat auf ihn zu und schob ihm die Hand unter den Arm. „Schau, Toni, ich red’ja eh die ganze Zeit her kein Wörtl nimmer … wenn ich gleich oft mein’, es druckt mir ’s Herz ab, daß ich alles bei uns so laufen sehen soll, wie’s lauft …“

„Was lauft denn bei uns? Da droben lauft der Berg! Bei uns lauft gar nix!“

„Sag’ so was net! Bei uns lauft gar viel ins Wasser ’nunter, was Du net merkst … oder net merken willst!“

Purtscheller lachte in höhnendem Zorn. „Ah! Du g’fallst mir aber!“

„Ich kann Dir net sagen, wie hart ich’s trag’, daß ich als Frau im Haus net ’s Recht haben soll, mit g’sunde Arm’ einz’greifen, wo’s notthut, und diemal bei Dir ein Wörtl zum Guten z’reden …“

„So? Meinst vielleicht, daß ich noch ein’ Schulmeister brauch’? Dank’ schön für die Predigt!“ Er schob sie mit dem Ellbogen von sich und schrie ihr ins Gesicht: „So was möcht’ ich mir aber g’hörig verbitten!“

„Ja, Toni, ja, ja … ich sag’ ja doch nix und will Dir nix in Deine G’schäften dreinreden,“ stammelte sie, um ihn zu beschwichtigen, und suchte seine Hand zu fassen, „aber schau, das eine sollst mir doch net verwehren, daß ich Dir als Frau Deine Sorgen tragen hilf’ …“

„Der Purtscheller? Und Sorgen? Zum Lachen!“

„Aber Toni!“ Sie umklammerte seine Hand und wollte sie nicht lassen. „Ich hab’ Dir’s ja doch vom G’sicht abg’lesen …“

„In Ruh’ laß mich!“ Er befreite seine Hand mit so jähem Ruck, daß Karlin’ fast in die Kniee brach. „Und wenn ich mir schon was aufg’laden hab’, so trag’ ich’s selber! Da brauch’ ich Dich net dazu!“

„Schau, Toni, ’s Härteste tragt sich leichter, wenn eins mittragen hilft in Treu’ und Lieb’! Und daß mir’s verheimlichen willst, macht mir ja doppelt Angst! Ich bitt’ Dich, sag’ mir, was in dem Brief steht …“

„Jetzt laß mir aber mein’ Fried’, sag’ ich Dir, oder …“ Vom Hall seiner Stimme zitterten die Fensterscheiben.

„Um Gott’swillen, Toni …“ Karlin’s Worte erstickten fast unter Thränen, „so laß doch in Ruh’ mit Dir reden und thu’ doch net gar so laut! Schau, drin in der Stuben schlaft unser Kind … und drunt’ hören Dich alle Dienstboten! Die tragen’s ja wieder um im ganzen Dorf!“

„Sollen mich umtragen, wie s’ mögen!“ schrie er, während ihm an den Schläfen die Adern zu dicken Schnüren schwollen. „Ich bin’s ja schon g’wöhnt! Fünf Jahr’lang schon! Was schaust mich denn an? Mit Dir hat’s ang’fangt! Ja! Mit Dir! Schau mich nur an! Oder meinst vielleicht, ich schenier’ mich, daß ich Dir’s einmal ins G’sicht sag’? Selbigsmal, wie mir der verrückte Einfall ’kommen is, daß ich am Pfarrer seiner Dienstbotenstub’ ans Fenster klopft’ hab’ … selbigsmal, mein’ ich, selbigsmal hat man dem guten Herrn Purtscheller sein’ Namen ’s erstemal um’tragen in alle Körbln!“

Karlin’ griff an ihre Brust, als wäre ihr dieses Wort wie ein brennender Stich ins Herz gegangen. Und mit verstörten Augen blickte sie zu ihrem Manne auf.

„Toni! … Thu mir doch net so weh!“

Der von Schmerz gebrochene Klang dieser Worte wirkte auf Purtscheller, als hätte ihm seine Frau den größten Schimpf ins Gesicht geschrieen. Er ballte die Fäuste und Schaum trat ihm in die Mundwinkel. „Ich thu Dir was? Ich? So? Ich thu Dir was? Allweil ich bin der Schuldig’! Und was man mir thut … das is alles Wurst! Gelt? Alles Wurst!“

„Aber Toni …“

„Jetzt geht’s mir aber bis an Hals! Ruh’ will ich haben, sag’ ich Dir! Und wenn ich mir im Guten mein’ Fried’ net schaff’, so weiß ich mir z’ helfen!“ Mit zornigem Griff umklammerte er Karlin’s Arm und zerrte sie zur Thüre.

„Heiliger Jesus! … Toni!“

„So!“ Er hatte die Thüre aufgerissen und stieß seine Frau in den dunklen Flur hinaus. „Da! … Jetzt will ich doch sehen, ob ich mein’ Fried’ net hab’!“ Er warf die Thüre zu, daß hinter der Täfelung der Mörtel rieselte. Aufatmend, als hätte sein Jähzorn Erleichterung gefunden, blies er die glühenden Backen auf und fuhr sich mit allen Fingern durch die Haare.

In der Schlafstube war das Kind erwacht und weinte.

Purtscheller hörte das klagende Stimmlein nicht. Er schleuderte die Pantoffel in einen Winkel, fuhr mit den Füßen in die Schuhe und riß den Sammetflaus vom Gewehrrechen. „So ein’ Hausfrieden hab’ ich!“ schalt er vor sich hin. „Ins Wirtshaus muß ich laufen, wenn ich ein paar Minuten Ruh’ haben will! Kreuz Teufel noch einmal! Is das ein Leben!“ Wütend stülpte er den Hut übers Haar und stapfte zur Thür hinaus.

Von der finsteren Bodenstiege klang ihm ersticktes Schluchzen entgegen. Er zögerte und tastete mit der Hand nach dem Treppengeländer, als überkäme ihn ein Schwindel. Dann fuhr er zornig auf: „So was! Und da soll man noch gut bleiben können! Hockt s’ daher auf die Bodenstieg’! … Hörst! Du! Geh ’nein in d’ Stuben!“ Ohne abzuwarten, ob sein Befehl vollzogen wurde, stieg er brummend die Treppe hinunter. Im Hausflur begegnete ihm die alte Magd mit einer Schüssel in den Händen.

„Aber Herr? Wohin denn?“ stotterte sie. „Ich bring’ ja ’s Wildbret!“

„Das kann der Hund fressen! So hat er doch auch ein’ guten Tag! Und da hat er’s besser als ich!“

Purtscheller verließ das Haus und schmetterte hinter sich die schwere Thüre zu. Mit langen Schritten stürmte er durch den Garten und hätte auf der Straße fast die Zäzil niedergerannt, die von ihrem Abendplausch nach Hause kam – freilich, sie hatte es nicht allzu eilig, ihrem Herrn den Weg frei zu geben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0434.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)