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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Der erste Gedanke Christinens beim Anblick der Fremden war eine Kritik des männlichen Geschlechtes. Daß diese Herren doch alles gleich „schön“ fanden, was weibliche Kleider trug und nicht gerade häßlich war! Wie konnte man dieses unbedeutende Gesichtchen schön nennen! Diese farblosen, von Leidenschaft oder einer andern Krankheit ausgehöhlten Wangen, diese Augen, die an die Bilder katholischer Märtyrerinnen gemahnten! Und wie wenig Geist diese Abgesandte einer Regentin hatte! Mit welch verwirrten Worten sie das Schreiben der Infantin überreichte!

Christine nahm den Brief, erbrach das Siegel und las, während die Fremde noch immer staunend die fast männliche Kleidung der jungen Königin betrachtete und dann, als ob sie plötzlich aus einem Traum erwachte oder jäh von einem neuen Gedanken erfaßt würde, ihre großen dunklen Augen mit fieberischer Spannung auf die Züge Christinens heftete. Diese verriet keinerlei Bewegung und sagte endlich in gleichgültigem Tone: „Ihr seid also Donna Luisa de – de Mendez? Das Mädchen, das sich von dem Marquis von Roche Talmont entführen ließ, demselben Manne, der sich in meiner Hauptstadt eines abscheulichen Verbrechens schuldig gemacht hat?“

Donna Luisa zuckte zusammen und es flog wie Haß über das bleiche Gesicht. „Majestät,“ stammelte sie, „Ihre Hoheit, die Infantin –“

„Ich habe den Brief Ihrer Hoheit gelesen. Es ist ein gutes Zeugnis, das der Herr Marquis da erhält, und die beredten Worte, der fast poetische Stil bringen mich auf die Vermutung, daß Ihr unserer erhabenen Schwester mit Eurer Liebesgeschichte ebenso ihre klugen Augen geblendet wie Eurem greisen Vormund und Eurem wackeren Vater, den Ihr noch auf dem Totenbette mit solchen Nichtigkeiten belästigt habt.“

Bei diesen Worten brach die Spanierin plötzlich in heftiges Schluchzen aus und Helene de la Gardie eilte zu ihr, um sie zu beruhigen.

Die Königin zuckte die Achseln, aber die willkürlich angenommene Härte schwand aus ihren nichts weniger als unsanften Zügen und ihre Stimme klang jetzt milder. „Ich wollte Euch nicht wehe thun,“ sagte sie. „Es ist ja auch nicht jedem gegeben, die Nichtigkeiten des Menschenlebens zu durchschauen und sich über sie zu erheben. Ich habe aus dem Briefe entnommen, daß Euer verdienstvoller Vater gestorben ist und Euch ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen hat. Und nun lauft Ihr diesem armen Marqnis nach und bedenkt nicht, daß er Euch wohl nur Eurer Reichtümer wegen heiraten würde.“

Donna Luisa, die sich wieder etwas gefaßt hatte, schüttelte heftig den Kopf.

„Majestät vergessen,“ stammelte sie, „daß er mit mir in die Welt gehen wollte zu einer Zeit, da ich weniger hatte als er.“

Die Königin zuckte wieder die Achseln.

„Damals wart Ihr ihm ein Spielzeug, das er bald für eine Schönere oder Reichere weggeworfen hätte. Aber lassen wir das! Es wird mir kaum gelingen, Euch von Eurer thörichten Leidenschaft, die Euch die Dinge anders zeigt als sie sind, abzubringen, obwohl ich es gern sähe, weil Ihr mir leid thut. Habt Ihr erfahren, daß das Gericht inzwischen das Urteil gefällt hat?“

Ein Fieberschauer floß über die Gestalt des Mädchens, sie stöhnte und wäre zusammengesunken, hätte nicht der Arm der Hofdame sie umfaßt. Im nächsten Augenblick aber riß sie sich los und stürzte, die Hände ringend, vor die Füße der Königin.

„Gnade!“ schluchzte sie, „Gnade für einen Unschuldigen!“

Christine schwieg. Erst nach einer Weile sagte sie ruhig, ernst und fest, aber ohne Kälte: „Die Richter haben ein gerechtes Urteil gefällt und ich werde daran nichts ändern. Steht auf und bedenkt, daß der Mann, um den Ihr Euch bemüht, einen Menschen getötet hat, und bedenkt auch, daß die Ursache des Zwistes zwischen den beiden keine andere gewesen sein kann als wieder ein Liebeshandel.“

Donna Luisa war der Aufforderung, sich zu erheben, gefolgt, und es schien, als wäre sie plötzlich eine andere geworden. Sie weinte nicht mehr und bebte nicht mehr. Etwas wie Trotz war in ihren Zügen und doch auch etwas Besseres als Trotz, in ihren Äugen lag jetzt noch mehr von einer Märtyrerin als früher.

„Der Allmächtige mag diese Grausamkeit vergeben,“ sagte sie fast ruhig. „Eure Majestät kennen die Liebe nicht, sonst würden Sie an die Treue glauben. Der Marquis von Roche Talmont hat diesen Menschen getötet, weil er sich verteidigen mußte. Ich weiß nicht warum, aber ich nehme es auf meinen Eid, daß er sich um kein anderes Weib bemüht hat. Ist es mir gestattet, meinen Bräutigam zu besuchen?“

Die Königin ergriff die Glocke und ließ einen der wachthabenden Offiziere herbeirufen.

„Geleitet die Donna Luisa de Mendez nach der Citadelle,“ wandte sie sich dann an diesen. „Sagt dem Kommandanten, daß ich ihr erlaube, den Marquis von Roche Talmont in einem der Zimmer der Staatsgefangenen ohne Zeugen zu sprechen so lange es ihr beliebt. Und zwar drei Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.“

Dann deutete sie mit einer leichten Handbewegung an, daß Donna Luisa entlassen sei, und diese verneigte sich stumm und folgte dem Offizier …

*  *  *

Christine begab sich, von Helene de la Gardie begleitet, wieder in ihre Privatgemächer. Sie sprach nichts, aber ihre Züge verrieten, daß ihr Geist lebhaft beschäftigt war. Plötzlich blieb sie stehen und sagte: „Wenn wir den geheimen Gang benutzen, so können wir noch vor der Donna in der Citadelle sein.“

Helene sah sie erstaunt an.

„Was wollen Eure Majestät thun?“

„Wir wollen die Liebe studieren, Kind,“ erwiderte Christine sarkastisch. „Aber mach rasch! Du kannst einen Mantel von mir nehmen. Komm!“

„Majestät,“ wandte Helene nochmals schüchtern ein, aber die Königin warf ihr einen jener Blicke zu, vor dem selbst der Widerspruch eines Oxenstierna und Torstensson verstummte. In solchen Augenblicken erinnerten der Ausdruck ihres Gesichtes, ihre Haltung, das ganze Wesen so merkwürdig an ihren großen Vater, daß alles sich vor ihr beugte. Es war, als ob der unbezwingbare Geist Gustav Adolfs plötzlich lebendig geworden wäre.

Christine trat in ihre Garderobe und nahm einen jener Reitermäntel um, die sie als Ueberkleider zu tragen pflegte. Dann setzte sie ihre Pelzmütze auf, die Hofdame mußte sich ebenfalls zu Mantel und Mütze entschließen, und kaum fünf Minuten später stand die Königin schon vor dem Kommandanten der Citadelle, der über den unangekündigten Besuch nicht wenig erschrocken war.

Sie wiederholte den Auftrag, den sie kurz vorher dem wachthabenden Offizier gegeben hatte, und fragte dann, ob sämtliche Zimmer der Staatsgefangenen mit Beobachtungsluken versehen seien.

Nachdem der Kommandant die Frage bejaht hatte, befahl sie, Roche Talmont in das beste dieser Zimmer zu führen und ihn dann mit Donna Luisa allein zu lassen.

„Auch wünsche ich,“ fuhr sie fort, „daß eine gute Mahlzeit nebst Wein aufgetragen wird, zwei Gedecke … Und jetzt geleitet uns in die Loge, von der aus wir sehen und hören können, was in dem Zimmer vorgeht.“

Der Kommandant verneigte sich stumm, es schien, als ob er keine Worte fände.

Dann führte er die Königin in ein kleines Kabinett und Helene stieß einen Ausruf der Ueberraschung aus, als sie, kaum daß er die Thür des fensterlosen Stübchens geschlossen hatte, durch einige Oeffnungen in einer der Wände das Gefangenenzimmer erblickte.

„Aber hier muß man uns ja sehen, Majestät,“ sagte sie.

„Das ist unmöglich,“ erwiderte der Kommandant. „Die Luken sind in der Ornamentik des Getäfels so geschickt verborgen, daß sie kaum zu entdecken sind. Zudem ist es hier dunkel und wenn der Gefangene selbst eine Luke herausgefunden hätte, er könnte doch nichts von dem bemerken, was in dem Kabinett vorgeht.“

Christine drückte ihre Anerkennung aus und entließ dann den Kommandanten.

Kurze Zeit später sah man, wie die Gefängnisthür geöffnet wurde und der Marquis, von einer Wache begleitet, eintrat.

(Schluß folgt.)


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0424.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)