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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Stockholm, das damals auf begabte Leute, die es in der Welt vorwärts bringen wollten, große Anziehungskraft ausübte. Die Gelehrten und Schriftsteller, welche die Königin beschützte, die Vossius, Heinsius, Mézeray, Salmasius, Naude, Meibom, Cartesius, erfüllten ja die Welt mit ihren Lobreden auf die „nordische Pallas Athene,“ auf die große Christine, die vorurteilslos, mit bewundernswertem Scharfblick für das Talent jedem die Wege ebnete, der es verdiente. Roche Talmont wußte aber leider wie so viele nichts davon, daß die Königin von Schweden einzig und allein für Gelehrte zugänglich war. Es gelang ihm zwar, ihr vorgestellt zu werden, aber sie hörte ihn teilnahmlos an und wandte ihre Blicke fast verächtlich von ihm weg. Der arme Marquis hatte in seinem Leben allerdings nicht viel anderes geschrieben als Liebesbriefe an Donna Luisa und zudem war sein Aeußeres ganz und gar weltmännisch; was der Königin aus seinen Worten entgegenklang, war zwar nicht ohne Geist, aber es war der verhaßte Geist der Weltleute. So entließ sie ihn ziemlich ungnädig und gab Mézeray, der den Landsmann bei ihr eingeführt hatte, eine Verwarnung.

Roche Talmont sah ein, daß er hier nicht am Platze war, und hätte wahrscheinlich Stockholm sofort wieder verlassen, wäre er nicht in den Kreis von Lebemännern geraten, denen sich der Vetter Christinens, der weltlustige Pfalzgraf Karl Adolf, bisweilen bedenklich näherte. Hier lernte er auch Galeas Salvius kennen, der zwar als Gelehrter wirkte und in einem eigenen Laboratorium nicht ohne Erfolg chemische Studien betrieb, wegen seines weltlichen Lebenswandels aber aus dem Kreise der Königin verbannt worden war. Die Bekanntschaft war nach den Aussagen aller, die darum wußten, nur ganz flüchtig gewesen, so daß der nächtliche Ueberfall, mochte er nun von dem Schweden oder von dem Flamänder ausgegangen sein, gleich rätselhaft blieb.

Sehr verschlimmert wurde die Lage des Marquis jedoch durch einen Umstand, den man anfangs gar nicht beachtet hatte. Man begann sich mit dem Unbekannten zu beschäftigen, der in dem Augenblick entflohen war, als die Wache sich zeigte. Derselbe sollte nach der Aussage Roche Talmonts der Genosse des Galeas Salvius gewesen sein, aber man fand niemand unter den Freunden desselben, den auch nur der geringste Verdacht treffen konnte. Dagegen stellte es sich heraus, daß der Diener des Marquis seit jener Nacht verschwunden war und – verschwunden blieb. Roche Talmont bemühte sich vergebens, dieses Verschwinden zu erklären, das ihn stark belastete. Vor den Richtern sprach überdies gegen ihn sein Charakter als vermögensloser Abenteurer, dem dunkle Pläne wohl zuzutrauen waren.

So trug alles nur dazu bei, das Zeugnis zu unterstützen, das der Getötete in seinen letzten Augenblicken abgelegt hatte.

Nach diesen letzten Worten des Galeas Salvius, so dunkel sie auch sonst blieben, war der Marquis Roche Talmont sein Mörder, er hatte ihn hinterlistig überfallen und ihm die tödliche Wunde beigebracht. Trotzdem zögerte das Hofgericht, dem der Prozeß mit Einwilligung des Gesandten von Spanien überwiesen worden war, auffallend lange mit der Entscheidung. Es schien, als hätte die Persönlichkeit des Marquis auch auf die Richter einen so günstigen Eindruck gemacht, daß sie sich nur schwer zu seiner Verurteilung entschließen konnten. Als die Königin endlich selbst, unwillig über dieses lange Zögern, das Urteil forderte, lautete es auf Tod durch das Beil.

An demselben Tage, an dem dieses Urteil ergangen war, ließ sich Christine herbei, mit ihrer Hofdame, Helene de la Gardie, darüber zu sprechen. Das junge Mädchen war die einzige Person, zu der die Königin etwas wie eine herzliche Zuneigung empfand. Obwohl Helene – nach ihrer eigenen Erklärung – nichts weniger als gelehrt war und obwohl sie in ihrer sanften Weise es oft wagte, die Freuden des Alltagslebens zu verteidigen, genoß sie doch die besondere Gunst Christinens. Diese pflegte ihr sogar bisweilen einen zärtlichen Backenstreich zu geben und sie dann auf die Stirn zu küssen.

„Du bist ein Kind, Helene, Dir kann man’s nicht übelnehmen,“ pflegte sie dabei zu sagen. Die Politiker und Gelehrten genossen eben nur die Verehrung und Bewunderung der Königin, ihnen wollte sie nachstreben. Dem „Kinde“ aber, das nur wenige Jahre jünger war als sie, erschloß sich etwas von dem Gefühlsleben, das sie verachtete und das doch in ihrer Brust schlummerte.

Helene war nicht wenig erstaunt darüber, daß die Königin sichtlich Befriedigung über das Urteil gegen den Marquis zeigte. „Majestät,“ wagte sie zu entgegnen, „wenn nun der arme Marquis doch unschuldig, wenn Herr Galeas Salvius ihn überfiel –“

„Das Urteil ist unter allen Umständen gerecht,“ unterbrach Christine, heftiger, als es sonst ihre Art war. „Ein Raufbold war Galeas Salvius nicht, er war ein Gelehrter – freilich ein Gelehrter, der … Wenn er der Angreifende war, dann hatte er seine Ursache dazu.“

„Und was sollte die Ursache gewesen sein, Majestät?“ fragte Helene.

Die Königin lachte verächtlich und sagte höhnisch: „Die beiden hatten natürlich Liebeshändel! Liebeshändel und immer Liebeshändel! Als ob es nichts Besseres zu thun gäbe! Nun haben sie beide ihren Lohn und sie haben ihn beide verdient.“

Helene sah ihre Herrin verstohlen an und sagte dann schüchtern mit einem leisen Lächeln:

„Majestät sind grausam gegen die Liebe, grausam und ungerecht. Warum hätten die Dichter die Liebe in so leuchtenden Farben als das Höchste des Lebens besungen?“

„Die Dichter suchen nur nach dankbaren Stoffen für ihre eigentümlichen Geistesanlagen. Und die niedrigen Leidenschaften der Alltagsmenschen sind natürlich ein dankbarer Stoff für sie sowohl wie für die Philosophen, die ja auch die Tiere studieren. Aber warum ereiferst Du Dich – so solltest Du …“

„Nein, Majestät ich kenne die Liebe nicht, ich verteidige sie nur, wie Majestät sie verurteilen. Majestät kennen sie ja auch noch nicht. Wenn Sie sie aber eines Tages kennenlernen werden –“

Die Königin lachte auf. „Du bist ein Kind! Aber selbst ein Kind sollte einsehen, daß … wo wäre denn der Mann, der mich zur Liebe bekehren könnte? Auch den geistig hochstehenden Männern ist die Liebe ein Spiel, das Weib, das sich zur Liebe geneigt zeigt, ein Spielzeug. Die Männer brauchen Spielzeuge, und man sucht uns die Augen zu blenden, etwas vorzutäuschen, das nicht existiert, damit wir willig sind, ihnen zu dienen. Ich und die Liebe! Kind, Kind, was fiel Dir da ein! Das könnte ich Dir beinahe übelnehmen. Aber sprechen wir von anderen Dingen! Ich habe mich entschlossen, euch zu zeigen, daß ich keine Pedantin bin und auch gegen eine Lustbarkeit nichts einzuwenden habe, wenn damit etwas Vernünftiges bezweckt oder ein erhabener Gedanke gefördert wird. Nur das Sinnlose empört mich und die gemeine Vergnügungssucht. Ich habe eben die Abhandlung meiner Räte Meibom und Naude über Musik und Tanz der alten Griechen gelesen, ein vortreffliches Werk, das mich entzückt hat. Nun gut – Ihr sollt einen Ball haben, aber wir wollen das alte Hellas lebendig machen! Naude kann einigen Musikern Unterricht in der Handhabung der Tetrachorde erteilen und Meibom wird den Tanz anführen. Nun, Kind, was sagst Du?“

Helene sah ihre Gebieterin mit weitgeöffneten Augen starr an. „Meibom,“ stammelte sie dann, „Meibom – dieser alte Bücherwurm – den Tanz anführen?“

Nun schien die Königin ernstlich böse zu werden. Sie zog die Augenbrauen zusammen, so daß sich die kleine Falte, die sich dort bereits befand, drohend vertiefte, und wahrscheinlich wäre ein Gewitter über das arme Mädchen niedergegangen, hätte nicht in diesem Augenblick der Sekretär der Königin einen Brief des spanischen Gesandten gebracht. Sie las denselben und schüttelte verwundert den Kopf. „Ein Schreiben der Infantin, das mir eine Dame aus Brüssel persönlich überreichen soll – das ist sonderbar. Wie sieht die Dame aus?“

„Jung und schön und sehr traurig. Sie ist ganz schwarz gekleidet.“

„Führt sie in das Audienzzimmer und sagt ihr, daß ich nur noch eine wissenschaftliche Arbeit zu erledigen habe. Ich werde sie dann empfangen.“

Der Sekretär verneigte sich und ging, Christine aber schrieb noch zwei Briefchen an Meibom und Naude … „Sie will zeigen, daß sie nicht neugierig ist,“ dachte Helene de la Gardie. „Aber sie ist es doch – gerade so wie ich.“

Fünf Minuten später betrat die Königin den Audienzsaal.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0423.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)