Seite:Die Gartenlaube (1896) 0422.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Der Roman einer Königin.

Historische Novelle von Emil Peschkau.


In der Porträtsammlung eines schwedischen Schlosses befindet sich ein weibliches Bildnis von so eigentümlichem Reiz, daß wohl jeder Besucher eine Weile still hält, auch wenn er die Erklärung des begleitenden Kastellans nicht verstehen sollte. Der Reiz des Bildes liegt jedoch nicht allein in dem sonderbar ernsten, klugen und doch süßen blonden Gesichtchen, in dem Gegensatz der auffallend hohen Stirn und der großen, streng blickenden Augen mit dem anmutigen weichen Kinn und dem kleinen Mund, den wie zum Küssen geformten Lippen. Was die Aufmerksamkeit vielleicht noch mehr erregt, ist die seltsame Kleidung des Mädchens, doppelt seltsam, wenn man weiß, daß man eine Königin von Schweden vor sich hat. Diese Kleidung ist weder königlich noch weiblich, und man denkt bei ihrem Anblick unwillkürlich an die Emancipationsbestrebungen moderner Amerikanerinnen. Christine trägt einen Männerrock, der nur etwas länger, als Männer sie gewöhnlich tragen, und vom Gürtel aufwärts ein wenig geöffnet ist, so daß man die weißen Spitzen erblickt, welche die Brust verhüllen. Unter dem Rocke gewahrt man Beinkleider, die sich über den roten mit Pelz besetzten Stiefelchen schließen, und auf dem hellen Haar sitzt eine einfache aber kleidsame Mütze aus demselben edlen Pelzwerk.

Weiß man Bescheid in den Intimitäten der Weltgeschichte, so büßt die Gestalt der jugendlichen Königin zwar an Seltsamkeit nichts ein, aber man ist doch imstande, das Rätsel dieser Tracht zu lösen.

Christine war die Tochter Gustav Adolfs, und als der große König im Jahre 1632 bei Lützen gefallen war, wurde das sechsjährige Mädchen seine Nachfolgerin auf dem Throne. Einstweilen freilich unter der Leitung einer „Regentschaft“, aber schon im Alter von achtzehn Jahren übernahm sie die Regierung selbst. Ihre Erziehung war eine ganz und gar männliche gewesen. Dazu kam, daß sie sehr begabt war, sich frühzeitig mit besonderer Vorliebe den Wissenschaften zuwandte und alles, was den meisten Menschen Vergnügen macht oder ihr Herz bewegt, als eines ernsten Geistes unwürdig verachten lernte.

Als Regentin wollte sie die Tochter Gustav Adolfs sein und ihr übriges Leben gehörte der Wissenschaft.

Mit den höfischen Formen brach sie nach jeder Richtung hin, die einflußreichen Personen ihrer Umgebung waren Gelehrte, die sie aus ganz Europa herbeizog (auch den großen Philosophen Cartesius hatte sie an ihren Hof gerufen), und als die Regentschaft, an ihrer Spitze der Reichskanzler Axel Oxenstierna, mit dem Wunsche an sie herantrat, sie möge Friedrich Wilhelm von Brandenburg (dem späteren „Großen Kurfürsten“) ihre Hand reichen, da war sie in hohem Grade empört, daß man ihr solch eine menschliche Schwäche überhaupt zumuten konnte. Sie erklärte feierlich, nie heiraten zu wollen, und hielt auch daran fest, als man ihr später die Pflichten gegen das Land mahnend vorhielt. Im Jahre 1649, dreiundzwanzig Jahre alt, wiederholte sie nochmals vor dem Reichsrat diese Erklärung, und zugleich zwang sie diesen und die Stände, ihren Vetter Karl Gustav zum Thronfolger mit dem Rechte der Erblichkeit zu wählen.

Das weitere Leben der Königin nahm die seltsamsten Wendungen, für welche man in den geschichtlichen Werken keine Erklärung findet, aus denen aber deutlich hervorleuchtet, daß auch dieses spröde Herz von der Macht der Liebe nicht unberührt geblieben ist.

*  *  *

An einem Frühlingstage des Jahres 1650 wurde Stockholm durch die Nachricht von einem unter seltsamen Umständen erfolgten Morde in Aufregung versetzt.

In der vergangenen Nacht war in einer jener engen steilen Gassen, die von dem „Stortorget“ genannten Marktplatz hinab nach der Schiffbrücke am Salzsee führen – kaum hundert Schritt von der Gartenmauer des königlichen Palastes entfernt, plötzlich Waffenlärm laut geworden; man hörte einen Aufschrei, und als die Wache herbeieilte, zog ein junger Kavalier eben seinen Degen aus der Brust eines Mannes in dunkler ritterlicher Kleidung, der wie tot auf dem Granitgrund der Straße lag. Die Wache sah noch, wie im Dunkel der Nacht ein Dritter verschwand, der die Richtung nach dem Mälarsee zu genommen hatte, verfolgte den Flüchtling jedoch nicht, sondern zog es vor, den Kavalier zu verhaften und Leute herbeizurufen, die dem Verwundeten vielleicht noch helfen konnten. Dieser lebte noch und plötzlich schien es, als ob er sich erheben wollte. Seine blutunterlaufenen Augen richteten sich mit einem grauenhaften Ausdruck ohnmächtiger Wut auf die jugendschöne Erscheinung seines Gegners, dann öffneten sich seine Lippen und man hörte die mühsam hervorgestoßenen Worte: „Glaubt ihm nicht – er hat mich in diesen Hinterhalt gelockt – überfallen – weil ich sein Geheimnis – er ist ein Verbrecher – er fürchtete …“

Dann hörte man nur noch ein dumpfes Gurgeln, ein qualvolles Röcheln, der Kopf des Unglücklichen fiel zurück auf den Stein, es war zu Ende mit ihm.

Einige der inzwischen aus den Nachbarhäusern herbeigeeilten Bürger hatten übrigens den Sterbenden sofort erkannt. „Herr Galeas Salvius“, hörte man sie murmeln, und nun deutete einer auch drohend auf den Kavalier.

„Wieder ein Fremder!“ rief er, und es schien, als wollte man diesem zu Leibe gehen.

Die Wache, die ihm den Degen bereits abgenommen hatte, gebot Ruhe und forderte den Verhafteten auf, seinen Namen zu nennen.

„Ich bin der Marquis Philipp von Roche Talmont,“ sagte er in einem Tone, der wohl Verwunderung, aber keine Aufregung verriet. „Den Herrn Galeas Salvius kannte ich, aber ich begreife weder seine letzten Worte noch diesen Ueberfall. Denn er war es, der mich mit einem Zweiten hier angriff, und zwar hinterrücks, aus jenem Thorbogen. Daß ich so glücklich davonkam, habe ich gewiß nur dem Allmächtigen und meinem guten Gewissen zu verdanken. Ich bin allerdings ein Fremder, liebe Leute, kaum vier Wochen in Stockholm, aber ich wüßte nicht, daß ich auch nur einer Fliege etwas zu leid that. Was den Herrn Galeas Salvius so gegen mich aufzubringen vermochte, verstehe ich nicht, und was mein Geheimnis betrifft … nun ja, ich habe ja ein Geheimnis – etwas wie ein Geheimnis, aber das eines Verbrechers ist es nicht, das könnt Ihr mir glauben!“

Dann forderte er die Wache auf, ihn abzuführen, und das Gemurmel, das sich nun wieder erhob, hatte fast etwas Beifälliges. Sein ruhiges Auftreten, die schlanke kraftvolle sympathische Erscheinung, die eigentümliche männliche Heiterkeit, die trotz der immerhin recht unangenehmen Lage aus seinem Wesen sprach, nahmen für ihn ein. Das frische kühn geschnittene Gesicht mit den hellen Augen und dem kurzen hellbraunen, nach dem Kinn zugespitzten Kavalierbart war den Stockholmern weniger fremd als das dunkle düstere Antlitz des Galeas Salvius, der zwar einem alten schwedischen Geschlechte angehörte, aber den italienischen Typus seiner Mutter, einer Livorneserin, geerbt hatte. Als man den Toten forttrug, folgten fast alle Augen nur bedauernd der elastischen Gestalt des jungen Marquis.

Das traurige Ereignis blieb in der nächsten Zeit um so mehr das Tagesgespräch der Hauptstadt, als der Marquis von Roche Talmont mit seiner Verteidigung wenig Glück hatte. Bei der Angabe seiner Personalien konnte man ihm allerdings keine Lüge nachweisen und was er von dem einzigen Geheimnis preisgab, das er nach seiner Angabe besaß, fand bald Bestätigung. Er hieß in der That Philipp Marquis von Roche Talmont und stammte aus Brüssel. Dort hatte er das Herz der Tochter eines spanischen Granden gewonnen, eines Ministers der Infantin, die in den Niederlanden die Regentschaft führte. Der reiche Spanier zeigte aber durchaus keine Lust, den armen flamändischen Marquis mit der Hand seines Kindes zu beglücken, und eines Tages entführte Roche Talmont seine Geliebte. Das Paar kam jedoch nicht weit und die Folge war, daß Donna Luisa de Mendez ins Kloster gesperrt und Roche Talmont auf Befehl der Infantin des Landes verwiesen wurde.

Unbemittelt wie er war, dachte er daran, sein Glück an irgend einem Hofe zu versuchen, und so kam er endlich nach

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0422.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)