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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

so ruhig, so zuversichtlich an die Seite des Mannes, der jetzt auf der Höhe seiner Erfolge stand, und forderte von ihm, er solle noch werben um die bereits gewonnene Braut. Und vielleicht gerade dadurch hatte sie Reinhart angezogen und zu ihrem Anbeter gemacht!

Elsa faßte dies Schweigen falsch auf, sie sagte hastig, als gälte es, ein Unrecht wieder gut zu machen: „O, Du darfst mich nicht mißverstehen. Ich wäre jeden Augenblick bereit, mein Leben für Reinhart hinzugeben –.“

„Aber nicht Deinen Willen,“ ergänzte Zenaide. „Das hast Du ihm ja schon als Kind gezeigt, bei eurer ersten Begegnung. Er wollte Dich küssen und Du wolltest es nicht leiden, da erzwang er übermütig den Kuß. Ein anderes Kind hätte sich gefügt oder geweint, Du schlugst ihn dafür im vollsten Zorne und trotztest noch wochenlang mit ihm – da fing er schon an, Dich zu lieben!“

Die junge Frau senkte die Augen und eine tiefe Röte stieg in ihrem Antlitz auf.

„O, das war eine Kinderei!“

„Und doch entscheidend für euch beide. Ein Mann wie Ehrwald erträgt nun einmal keine bedingungslose Hingebung. Die ist wertlos für ihn. Du wirst ihn zwingen, auch als Gatte immer wieder von neuem um Dich zu werben – Dich wird er lieben, bis ans Ende.“

Es lag eine kaum verschleierte Bitterkeit in den Worten und Elsa fühlte das, doch bevor sie noch etwas erwidern konnte, wurde die Thür des Gartensaales geöffnet und Percy stürmte auf die Terrasse. Er hatte eine kleine Reitpeitsche in der Hand und kam eben von dem kurzen Morgenritte zurück, den er täglich mit seinem Erzieher machte, aber er begrüßte seine Mutter mit so ungestümer Zärtlichkeit, als habe er sie tagelang nicht gesehen. Zenaide streckte ihm die Arme entgegen und strich ihm dann die Haare aus dem erhitzten Gesicht.

„Da bist Du ja, Du Wildfang!“ sagte sie zärtlich. „Aber siehst Du denn Tante Elsa nicht?“

Der kleine Lord bemerkte in der That erst jetzt die junge Frau und beeilte sich, ihr die Hand zu küssen, dann jedoch kehrte er schleunigst zu seiner Mutter zurück. Seine Aehnlichkeit mit ihr trat jetzt noch deutlicher hervor als damals vor drei Jahren. Es waren Zenaidens Züge, ihre Augen, selbst ihre Leidenschaftlichkeit, die sich in dem ganzen Wesen des Knaben verriet. Auch nicht das Geringste erinnerte an den Vater. Er begann jetzt allerlei kleine Erlebnisse von seinem Ritt zu berichten und verlangte schließlich, die Mama solle mit ihm zu dem Pony- und Eselreiten fahren, das am heutigen Nachmittag stattfand.

„Nein, mein Liebling, heute nachmittag sehe ich Gäste bei mir, das weißt Du ja,“ sagte Zenaide. „Aber ich fahre gegen Abend mit Dir aus.“

„Gäste?“ schmollte Percy, mit einem bitterbösen Gesichtchen. „O, Mama, dann sehe ich Dich wieder zwei oder gar drei Stunden nicht.“

„Du bist ein eifersüchtiger kleiner Herr,“ sagte Elsa lächelnd. „Willst Du denn Deine Mama für Dich ganz allein haben? Du mußt sie doch auch einmal der Gesellschaft gönnen.“

„Nein, meine Mama gönne ich keinem, die gehört mir ganz allein!“ erklärte Percy trotzig und legte den Arm um sie, als wollte er sein Alleinrecht wahren. Zenaide zog ihn an sich und küßte ihn.

„Sie will auch niemand gehören als Dir, mein Percy – Willst Du schon fort, Elsa?“

„Ich möchte noch zu Doktor Walter fahren und denke, dort meine Reisegefährten zu finden. Entschuldige mich für heute!“

„Nun denn auf Wiedersehen!“ sagte Lady Marwood, indem sie sich erhob und ihr die Hand hinstreckte. „Und wenn Ehrwald kommt, so sage ihm auch ein Willkommen von mir und Percy. Wir lassen ihn grüßen!“

Die junge Frau küßte den kleinen Lord und verabschiedete sich dann. Zenaide war an die Brüstung der Terrasse getreten und brach jetzt eine der dunkelroten Rosen, die sich über den weißen Marmor rankten. Eine solche duftende Purpurblume hatte einst Reinhart aus ihrer Hand empfangen und er hatte sie achtlos verloren und verwelken lassen. Doch das schöne herbe Edelweiß da droben, auf steiler Felsenhöhe, zu dem er hinaufdringen mußte mit Mühe und Gefahr, das barg er als köstliches Gut an seiner Brust.

Arme Rose! Sie entglitt den Händen der schönen Frau und fiel zu Boden. Percy jedoch hob sie auf und steckte sie in seine Sammetbluse. Er war ganz Eifer und Aufregung, denn er hatte den Gruß gehört, den Elsa bestellen sollte. Der kleine Lord wußte sehr gut, wer ihn gerettet hatte bei jenem Sturme, der seinem Vater das Leben kostete, und Ehrwald, von dessen Zügen und Thaten er so viel gehört hatte, war der Held seiner Knabenphantasie geworden. Er bestürmte daher jetzt die Mutter mit allen möglichen Fragen.

„Du läßt Onkel Ehrwald grüßen, Mama – ist er denn schon da? Woher kennt ihn Tante Elsa? Sie ist ja eben erst aus Europa gekommen und er war so lange in Afrika? Und weshalb kommt er zuerst zu ihr und nicht zu uns?“

„Weil Tante Elsa seine Braut ist!“ sagte Zenaide leise.

„Ah!“ rief Percy überrascht. „Dann hat er sie wohl sehr lieb?“

„Ja – sehr lieb!“

Der Knabe fragte weiter, er wollte alles mögliche wissen, erhielt aber keine Antwort. Zenaidens Augen blickten wie traumverloren in die Ferne. Da tauchte sie noch einmal auf, die Jugendliebe, die so lange wie eine leuchtende Fata Morgana am Horizont ihres Lebens gestanden hatte. Sie grüßte zum letztenmal und entschwebte dann für immer.

„Mama, Du weinst ja!“ rief Percy und schlang beide Arme um die Mutter. Das rief sie in die Wirklichkeit zurück. Aus dem Thränenschleier, in dem jenes Traumbild unterging, dämmerte das schöne lebensvolle Antlitz ihres Knaben hervor und sie hörte seine halb angstvolle, halb schmeichelnde Bitte: „Mama, süße Mama, nicht weinen!“

Da richtete sich Zenaide empor, und ihn mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit an ihre Brust pressend, flüsterte sie: „Nein, ich weine nicht mehr. Ich habe ja Dich, mein Percy, mein geliebtes Kind, mein alles!“ – 000000000000000


Die Schwalben sammelten sich bereits zum Fluge über das Meer, um dem Norden die Botschaft des nahenden Frühlings zu bringen. Auch der Dampfer, der jetzt die Reede von Alexandrien verließ, nahm seinen Kurs nach Norden. Es war in der ersten Morgenfrühe, die Passagiere, die gestern abend schon an Bord gekommen waren, schliefen noch in den Kajüten, und außer dem Kapitän, der auf der Kommandobrücke stand, und der Mannschaft befanden sich nur ein Herr und eine Dame auf dem Deck, ein neuvermähltes Paar, das aus Kairo nach Deutschland zurückkehrte. Das Schiff steuerte der offenen See zu, noch waren die Stadt und der Hafen deutlich sichtbar, aber sie lagen im kalten farblosen Morgenlichte, nur ein aufdämmernder rosiger Schein im Osten verkündete den nahen Sonnenaufgang.

Reinhart Ehrwald hatte den Arm um seine junge Gattin gelegt, die ihm erst vor wenigen Tagen angetraut worden war, und sie blickten beide zurück nach der entschwindenden Küste. Es war kein tändelndes Liebesgeflüster, das sie tauschten, stürmisch und leidenschaftlich wie die ganze Natur des Mannes war auch seine Werbung gewesen und das verriet sich jetzt in seiner Zärtlichkeit.

In Ehrwalds äußerer Erscheinung hatten die letzten drei Jahre nichts geändert, es war noch die hohe, kraftvolle und markige Gestalt, das dunkle energische Antlitz, die flammenden gebieterischen Augen. Das alles war unberührt geblieben von den neuen Kämpfen und Thaten, die er zu den alten gefügt hatte. Aber ein Zug hatte sich in seine Stirn gegraben, der früher nicht dagewesen war, und der auch nicht jenen Kämpfen und Gefahren entstammte. Die tiefe düstere Falte, die jetzt zwischen den Brauen stand, hatte er aus der Heimat mitgebracht – vom Grabe des Freundes.

„Nun bist Du mein, endlich mein!“ sagte er, mit einem tiefen Atemzuge. „Die Verheißung, die mir vor Jahren hier aufging, hat doch Wort gehalten. Sie gab mir das Glück!“

Elsa lächelte und lehnte das Haupt an seine Schulter.

„Hast Du deshalb darauf bestanden, daß unsere Vermählung hier vollzogen werde? Freilich, Du hast Dir ja ein Heimatsrecht erobert in dieser fremden Welt.“

Reinharts Antlitz verdüsterte sich und seine Stimme sank, als er antwortete: „Das war es nicht, weshalb ich Dich bat, mich hier zu erwarten. Ich wollte Deine Hand nicht in Kronsberg empfangen, nicht dort, wo Lothar unter den Tannen von Burgheim schläft, wo er – starb.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0403.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)